Gorillaz: Der Müll, die Insel und das Geld
Ohrwürmer und Sirenengeheul: "Plastic Beach", das neue Album der Gorillaz, rückt alle Stärken der Comic-Popband ins Scheinwerferlicht.
Die Finanzkrise macht auch Rockstars zu schaffen. Gorillaz-Bassist Murdoc Niccals zum Beispiel kaufte windige Papiere vom Spekulanten-Scharlatan Bernard Madoff und ging pleite. Einen Ausweg sah er im Waffenhandel, was nicht lange gut ging: Da er minderwertige Second-Hand- Ware verscherbelte, bekam er es bald mit einer Reihe unzufriedener Kunden zu tun. Besonders eine Piraten-Gruppe ließ nicht locker und verfolgte den kettenrauchenden Exzentriker rund um den Globus.
Murdoc versteckte sich tief im Südpazifik auf einer Insel aus pink lackiertem Plastikmüll. Obendrauf thront ein weißer Bungalow nebst Palmen. Das perfekte Ambiente, um sich endlich wieder auf die Musik zu konzentrieren. Irgendwo muss ja auch das Geld herkommen.
Die Vorgeschichte zu „Plastic Beach“, dem dritten und laut Murdoc wohl letzten Album der Gorillaz enthält noch mindestens hundert weitere absurde Details, die wie immer einen Großteil des Spaßes mit dieser Band ausmachen. Die 2001 von Tank-Girl-Zeichner Jamie Hewlett und Blur-Sänger Damon Albarn erfundene Cartoon-Gang besteht aus Murdoc, dem blauhaarigen Sänger 2D, der japanischen Gitarristin Noodles und dem schwarzen Drummer Russel. In ihren Videos erleben sie allerlei Abenteuer mit Zombies, Riesen-Elchen und fliegenden Felsen. In ihrem neuesten Clip treten sie erstmals animiert auf und liefern sich eine wilde Auto-Verfolgungsjagd mit Bruce Willis.
Dass der medienscheue Damon Albarn hinter den Manga-Figuren verschwinden kann und gleichzeitig megapräsent ist, gehört zu seinen zahlreichen Geniestreichen der letzten Dekade. Es ist beinahe beängstigend, mit welcher Stilsicherheit Albarn seit dem Ende seiner Band Blur agiert. So hat er mit der Supergroup The Good The Bad and The Queen ein hoch gelobtes Album herausgebracht, die Chinaoper „Monkey: Journey to the West“ komponiert, das afrikanische Popduo Amadou & Mariam produziert und das Londoner Label Honest Jon’s finanziert.
Das faszinierendste Projekt des 41-Jährigen sind aber nach wie vor die Gorillaz, die sowohl ihr Debüt als auch das zweite Album „Demon Days“ (2005) rund sechs Millionen Mal verkauften. Sie feierten sogar – immer noch eine Seltenheit für Briten – Erfolge in den USA. Ihre Mischung aus Hip-Hop, Dub, Electro und Pop ist derart konsensfähig, dass sie sowohl auf Hipster-Partys als auch auf Kindergeburtstagen aufgelegt wird. Zu Hits wie „Clint Eastwood“, „Feel Good Inc.“ oder „Dare“ muss man einfach tanzen.
Ein Knaller von diesem Kaliber gelingt Damon Albarn auf „Plastic Beach“ nicht. Dennoch ist es wieder ein tolles Album geworden, das noch einmal alle Gorillaz-Stärken ins Scheinwerferlicht rückt: eingängige Melodien, souveränes Genre- Crossover, kluge Produktion und eine beeindruckende Gästeliste. Nach einem orchestralen Intro begrüßt Gangsta-Rap-Altmeister Snoop Dogg die Hörer im lässig groovenden „Welcome to the World of The Plastic Beach“ auf der Müllinsel, die ein erstaunlich guter Nährboden für Synthesizer-Gewächse zu sein scheint. Wie Albarn auf diesem Album die fiepsenden, wimmernden und rotierenden Spuren über- und nebeneinander schichtet, das ist schlicht großartig. Dabei vermeidet er den derzeit omnipräsenten Achtziger-Touch, für den Bands wie La Roux, Cold Cave oder die Editors mit ihrer Tasten-Begeisterung stehen.
Auffällig ist ohnehin die künstlerische Autonomie des dritten Gorillaz-Albums. Albarn hat den Status des Nichts-mehr-beweisen-Müssens erreicht, der es ihm erlaubt, einfach mal auszuprobieren, wie es klingt, das libanesische National Orchestra For Arabic Music mit den britischen Grime-Größen Kano und Bashy zusammenzuspannen. Gern biegt er wie bei „Empire Ants“ in der Mitte eines Songs noch einmal in eine völlig andere Richtung ab oder nervt auch mal richtig wie mit der Sirenengeheul-Nummer „Glitter Freeze“.
„Plastic Beach“ driftet dabei aber nie ins Esoterische oder Experimentelle ab. Der Wille zum großen Pop ist jederzeit spürbar. So hat Albarn mit „Stylo“ genau den Track zur ersten Single gemacht, der aufgrund seiner aufreizend simplen, endlos wiederholten Bassline ein Instant-Ohrwurm ist. Und immer wenn es ein bisschen monoton wird, passiert etwas Neues wie etwa ein explosiver Auftritt von Gastsänger Bobby Womack.
Ein Herz für in die Jahre gekommene Stars wie Ike Turner oder Ibrahim Ferrer hatten die Gorillaz schon immer. Doch diesmal setzen sie noch eins drauf: Neben Snoop Dogg und Bobby Womack sind Lou Reed und Mark E. Smith dabei. Eine kleine Sensation: Mick Jones und Paul Simonon haben erstmals seit dem Ende von The Clash vor 25 Jahren wieder zusammen einen Song aufgenommen. Weitere Gäste sind Gruff Rhys, De La Soul, Mos Def, Little Dragon und das Klassikensemle Sinfonia ViVa, die alle äußerst sachdienlich eingesetzt werden.
Die markantesten Melodien singt Damon Albarn aber immer noch selbst. Sein klarer Bariton – wie oft leicht verzerrt – erklingt erstmals auf „Rhinestone Eyes“, dem vierten und stärksten Stück der Platte. Es beginnt wie ein alter Computerspielsoundtrack und entwickelt sich nach einer Minute, in der ein Schlagzeug und ein Synthie-Riff eingeführt werden, zu einem dieser makellosen Pop-Juwelen, für die man Albarn nicht genug preisen kann.
„Plastic Beach“ erscheint heute bei EMI.
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