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Lesen und lesen lassen. Bei der Vielzahl der neuen Comics fällt mitunter die Auswahl schwer. Die Tagesspiegel-Kür soll bei der Orientierung helfen.
© Jens Kalaene/dpa

Comic-Bestenliste: Die besten Comics 2015 – Micha Wießlers Favoriten

Welches sind die besten Comics des zu Ende gehenden Jahres? Das wollen wir von unseren Lesern und von einer Fachjury wissen. Heute: Die Top-5-Titel von Fachhändler Micha Wießler (Modern Graphics).

Auch in diesem Jahr fragen wir unsere Leserinnen und Leser wieder, welches für sie die besten Comics der vergangenen zwölf Monate waren. Parallel dazu war wie bereits in den vergangenen Jahren wieder eine Fachjury gefragt worden – die in diesem Jahr allerdings neu zusammengesetzt wurde. Die Jury bestand diesmal, mit Ausnahme des Tagesspiegel-Vertreters, komplett aus Comicschaffenden und Fachhändler/innen:
Sarah Burrini, Comic-Autorin und Zeichnerin ("Das Leben ist kein Ponyhof" u.a.) - ihre Favoriten finden sich unter diesem Link
Gesine Claus, Comic-Fachhändlerin (Strips & Stories, Hamburg) - ihre Favoriten finden sich unter diesem Link
Michel Decomain, Comic/Manga-Autor ("Demon Lord Camio", "Dead Ends" u.a.) - seine Favoriten finden sich unter diesem Link
Mawil, Comic-Autor und Zeichner ("Kinderland" u.a.) - seine Favoriten finden sich unter diesem Link
Daniela Schreiter, Comic-Autorin und Zeichnerin ("Schattenspringer" u.a.) - ihre Favoriten finden sich unter diesem Link
Lars von Törne, Tagesspiegel-Redakteur (www.tagesspiegel.de/comics) - seine Favoriten finden sich unter diesem Link
Micha Wießler, Comic-Fachhändler (Modern Graphics, Berlin) - seine Favoriten finden sich unter diesem Link
Frank Wochatz, Comic-Fachhändler (Comics & Graphics, Berlin) - seine Favoriten finden sich unter diesem diesem Link
Barbara Yelin, Comic-Autorin und Zeichnerin ("Irmina" u.a.) - ihre Favoriten finden sich unter diesem Link

Alle Mitglieder der Jury haben bis Ende November 2015 ihre fünf persönlichen Top-Comics des Jahres gekürt, die in den bis dahin vergangenen zwölf Monaten auf Deutsch erschienen sind. Jeder individuelle Favorit wurde von den Jurymitgliedern mit Punkten von 5 (Favorit) bis 1 (fünftbester Comic) beurteilt. Daraus ergab sich dann die Shortlist, auf der alle Titel mit mindestens fünf Punkten landeten. Diese Shortlist wurde dann abschließend von allen neun Jurymitgliedern erneut mit Punkten bewertet - daraus ergibt sich die Rangfolge der besten Comics des Jahres, die sich hier findet.

Hier dokumentieren wir die Favoriten von Fachhändler Micha Wießler (Modern Graphics, Berlin)

Platz 5:
Fiona Staples, Brian K. Vaughan: Saga (Cross Cult)
"Saga" ist meine liebste dauerhaft erscheinende US-Heftchenserie, deren deutsche Ausgabe bei Cross Cult aktuell bei Band 4 angelangt ist. Frisch, jung und frech vermengen hier der Autor Brian Vaughan und die Zeichnerin Fiona Staples zahlreiche Fantasy- und Science-Fiction Elemente zu etwas Einzigartigem und modernem Neuen. Ein großer Spaß.

Micha Wießler.
Micha Wießler.
© Privat

Platz 4
Charles Burns: "Zuckerschädel" bzw. die "Nitnit" Trilogie (Reprodukt)
Charles Burns ist einfach einer der besten Comicschaffenden dieses Planeten. Sein Stil, seine Kraft, seine Fähigkeit, den Leser in seinen Bann zu ziehen ist einzigartig, man kann sich den Bildern und der eigentlich lakonischen Darstellungsweise nicht entziehen. Der Slacker Doug treibt sich, wie Burns selbst damals, im Seattle der späten Siebziegern mit Punkbands rum, trägt eine Tintin-artige Maske, nennt sich "Johnny 23" und tritt mit einer Spoken-Word Performance auf, in der er William S. Burroughs berühmte Cut-Ups zitiert. Er lernt ein nettes Mädchen kennen, verliebt sich, diese hat aber einen gewalttätigen Ex und als sie dann auch noch schwanger wird, flüchtet Doug aus der Verantwortung. In einer parallel erzählten freudianischen Traumhandlung spaziert Doug im Bademantel und einer vereinfachten "Johnny 23" Maske, die nun endgültig nach Tintin aussieht, durch eine merkwürdige Horrorwelt. Das kann man alles versuchen zu verstehen, im Zweifel kann sich aber auch einfach der Wirkung hingeben. Ein bisschen wie Burroughs' Cut-ups eben.

Platz 3:
Frederick Peeters: Aâma, Band 2 (Reprodukt)
"Aâma" von Frederick Peeters ist ein seltenes Beispiel für einen wirklich guten Science-Fiction-Comic. Wer Stanislaw Lem oder die Brüder Strugatzki mag, sollte hier mal reinlesen. Leider ist bisher erst der zweite Band von vier auf Deutsch bei Reprodukt erschienen. In einer Zukunft, in der die Menschen alle möglichen Implantate in sich tragen, die ihnen das Leben einfacher und sicherer machen, ist der altmodische Bücherwurm und Technikverweigerer Verloc Nim ein Außenseiter. Als ihn die Frau verlässt und ihm seine Tochter entzieht, verliert er den Halt und wird nach diversen Drogenexzessen von seinem Bruder, der als Troubleshooter für einen Großkonzern arbeitet, aufgelesen und auf eine Mission zu einem fernen Planeten mitgenommen, wo ein Experiment fehlgeschlagen zu sein scheint. Und ausgerechnet da trifft er ein Mädchen wieder, die wie seine Tochter aussieht. Frederick Peeters erzeugt mit seinen phantasievollen und eigentlich altmodischen Bildern sowie einer gekonnten Panelaufteilung eine fantastische Atmosphäre, die sich mit der geheimnisvollen Story zu etwas ganz Besonderem vereint. Bei wenigen Serien bin ich so gespannt wie es weitergeht.

Das hier sind die beiden Top-Titel von Micha Wießler

Platz 2:
Mawil: The Singles Collection (Reprodukt)
Meine einzige Nominierung mit kürzeren Geschichten, also garantiert keine Graphic Novel, sondern sie repräsentiert quasi die Ursuppe des Medium Comics: den Zeitungsstrip. Natürlich gibt es in dem Bereich auch in Deutschland noch mehr gute Reihen, aber Mawil ist für mich der Beste. Alles stimmt bei ihm: tolle, lockere Zeichnungen, ein guter Witz, verrückte Ideen, geniale Ausführung und origineller Materialeinsatz. Mal Buntstift, mal Post-It, mal Cut-out, mal normal. Genial. Für mich das Beste, das Mawil je gemacht hat.

Platz 1:
Manu Larcenet: Blast, Band 4 (Reprodukt)
Der Abschlussband von "Blast" beschließt diese einzigartige Reihe um einen anfangs nicht unbedingt sympathischen, körperlich und in seinen Exzessen sogar abstoßenden Protagonisten, dem man durch sein Aussteigerleben in den französischen Wäldern folgt. Immer auf der Suche nach dem "Blast", diesem mystischen psychischen Zustand, den er einmal erlebt hat und seitdem immer wieder sucht. Erst zum Schluss erfährt man, was hinter dem "Blast" steckt und ich musste sofort, nachts um zwei, alle Bände noch einmal lesen, mit einem Kribbeln im Nacken. Das Ende kommt so überraschend, weil Manu Larcenet es schafft, den Leser abzulenken. Man beginnt den ekligen Außenseiter wirklich zu mögen. Man ist gefangen in den wunderschön düsteren Bildern, in den nächtlichen Naturbetrachtungen durch die Augen eines exzessiven wahnsinnigen Alkoholikers, durch die poetische Sprache, in der er seine Geschichte den beiden Polizisten in der Vernehmung, die sich durch alle vier Bände zieht, schildert. Das ist große Kunst und für mich einer der besten Comics aller Zeiten.

Lesen und lesen lassen. Bei der Vielzahl der neuen Comics fällt mitunter die Auswahl schwer. Die Tagesspiegel-Kür soll bei der Orientierung helfen.
Lesen und lesen lassen. Bei der Vielzahl der neuen Comics fällt mitunter die Auswahl schwer. Die Tagesspiegel-Kür soll bei der Orientierung helfen.
© Jens Kalaene/dpa

Micha Wießler

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