Parkinson: Signalstörung
Zellen kommunizieren mithilfe des Botenstoffs Dopamin. Der ist bei Parkinson jedoch Mangelware. Die Folge: Bewegungsstörungen. Doch auch die Behandlung hat Tücken.
Am Anfang waren es nur Kleinigkeiten. »Ich war müde, fühlte mich schlapp und ziemlich kraftlos«, sagt Torsten Römer. Abgespannt, überarbeitet – man kennt das ja. Vor allem er, als Bauleiter: alles überblicken, alles protokollieren, für alles verantwortlich. Immer zu tun, immer im Stress. Da kann es schon mal vorkommen, dass der Körper schwächelt. Dass das linke Bein etwas nachzieht. Dass der linke Arm einfach nur so herunterhängt. Oder? Es störte allerdings schon, zum Beispiel bei dem ganzen Papierkram: Torsten Römer ist Linkshänder. »Meine Schrift wurde immer schlechter und schlechter«, sagt er. Irgendwann konnte er sie selber kaum noch lesen. Dann konnte er nicht mehr schreiben. Bald zehn Jahre ist das jetzt her. Torsten Römer – 48 Jahre alt, Lachfalten um die Augen, beginnende Geheimratsecken und vereinzeltes Grau im ansonsten braunen Haar – lächelt. Viel passiert seitdem. Schlechtes, ja, sicher. Zuletzt aber vor allem Gutes. Er hat viel gelernt, viel verändert. Schreiben zum Beispiel kann er längst schon wieder. Bauleiter dagegen ist er nicht mehr – und möchte es auch erst mal nicht sein: zu viel Stress. »Das ist Gift für uns Parkis«, sagt er. Und meint: für mich und alle anderen, die an Parkinson erkrankt sind.
Damals war es keine Überarbeitung, keine Abgespanntheit, die ihn zunehmend außer Gefecht setzte. Es war Morbus Parkinson, eine der häufigsten Erkrankungen des Nervensystems, chronisch fortschreitend im Verlauf und bisher nicht heilbar. Schätzungen zufolge leiden in Deutschland bis zu 400 000 Menschen daran, Jahr für Jahr erkranken rund 12 500 neu. Bei den ersten Symptomen – beispielsweise einseitigen Verspannungen im Schulterbereich, Riechstörungen, depressiven Verstimmungen, Verstopfungen oder einem langsameren Gang mit kleineren, vorsichtigeren Schritten – sind die meisten von ihnen zwischen 50 und 60 Jahren alt. Nur rund jeder Zehnte ist wie Torsten Römer jünger als 40 Jahre. Vielleicht war auch das ein Grund dafür, weshalb er die Beschwerden so lange wie möglich ignorierte, beiseiteschob, mit Überarbeitung erklärte: Wer denkt denn mit Ende 30 schon an Parkinson? Das haben doch diese alten Menschen, die vornübergebeugt am Stock gehen, langsam, mit Trippelschritten, die Hände zitternd. Dieses Zittern – den Tremor – hatte Torsten Römer nicht. Dafür andere sehr typische Symptome. »Ich hatte zunehmend Probleme, Geschwindigkeiten einzuschätzen und Bewegungen zu koordinieren«, sagt er. Besonders deutlich wurde das beim Autofahren: Er näherte sich Kurven zu schnell, und selbst wenn der Kopf schon längst das Bremskommando gegeben hatte, passierte erst einmal – nichts. Es dauerte, bis der Fuß endlich reagierte. Das Gleiche an der Ampel: Bei Grün blieb Torsten Römer stehen, kam einfach nicht weg. Denn sein Fuß trat und trat nicht auf die Kupplung. »Der Wille dazu war zwar da«, sagt er. »Aber er kam einfach nicht beim Fuß an.«
Man könnte auch sagen: Es fanden sich keine Boten, die die Befehle des Gehirns dorthin brachten, wo sie ausgeführt werden sollten. Denn diese Boten sind bei Menschen mit Parkinson Mangelware. Der früher gebräuchliche Name der Krankheit – Schüttellähmung – ist daher irreführend: »Mit einer Lähmung hat Parkinson nichts zu tun«, sagt Andrea Kühn, Oberärztin der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité. Denn an Muskelkraft mangele es den Betroffenen nicht. Wohl aber an der Fähigkeit, diese Muskeln zu aktivieren und damit Bewegungen zu initiieren. Der Grund dafür sind Signalstörungen im Gehirn, die auf einen Mangel des Botenstoffes Dopamin zurückgehen: Aufgrund eines Defekts in den sogenannten Basalganglien, einem Areal, das innen unter der Hirnrinde des Großhirns liegt und unter anderem für die Motorik zuständig ist, sterben die Neuronen ab, die den Neurotransmitter Dopamin produzieren.
»Wenn Signale wegen eines Dopaminmangels nicht mehr fehlerfrei zwischen den Basalganglien und der Hirnrinde übertragen werden können, sind bestimmte Körperfunktionen gestört«, sagt Kühn, die auch die Sektion Bewegungsstörungen und Neuromodulation der Charité am Campus Virchow-Klinikum leitet. Dann kommt es beispielsweise zum Tremor, dem Zittern, das vor allem im Ruhezustand auftritt. Oder zu feinmotorischen Störungen, die das Schließen eines Knopfes oder das Binden einer Schleife zur Herausforderung werden lassen. Oder zu der zunehmenden Verlangsamung von Bewegungen. »Im fortgeschrittenen Stadium kommt es dann häufig zu plötzlich auftretender Unbeweglichkeit, dem sogenannten Freezing«, sagt Kühn. Auch die Mimik verarmt mit der Zeit. Tödlich sind all diese Erscheinungen für sich genommen nicht. In einem fortgeschrittenen Stadium der Krankheit, in dem die Patienten beispielsweise bettlägerig sind, können jedoch Schluckstörungen und Lungenentzündungen zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen. Dass die Krankheit unbehandelt bereits ab einem sehr viel früheren Stadium die Lebensqualität der Betroffenen erheblich einschränken kann, liegt jedoch auf der Hand.
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