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Der Traum aller faulen Töchter: die Mikrowelle.
© Johnson, Eric Anthony / StockFoo

Mikrowellen-Hymne: Pling, Essen ist fertig!

Die Mikrowelle hat ein Image wie ein AKW. Strahlengefahr! Unsere Autorin kommt ganz gut damit zurecht – zum Ärger ihrer kochenden Mutter.

Meine Mutter ist eine sehr gute Köchin. Sie hatte gehofft, mich zur Genießerin erzogen zu haben, zu jemandem, der Freude am Kochen hat und einen Braten gerne einen ganzen Sonntag lang durchs Ofenfenster beobachtet. Stattdessen wünschte ich, Teenager, mir eine Mikrowelle. Ich mochte warme Milch vor dem Einschlafen und brachte sie auf dem Herd regelmäßig zum Überkochen. Kalten Tee wollte ich wieder erhitzen. Und vor allem mochte ich die Tupper-Dosen, in denen meine Freundinnen sich das Essen ihrer berufstätigen Mütter aufwärmten.

Es begann ein jahrelanger, vergeblicher Kampf mit meiner Mutter, in denen sie viele Anti-Mikrowellen-Reden schwang. Die Mikrowelle sei des Teufels, sagte sie. Etwas für Dumme. Man müsse ja nicht einmal wissen, wie lange man welches Fleisch erwärmen soll, solange man nur „Fisch“ von „Huhn“ unterscheiden und den Drehknopf entsprechend einstellen kann. Auch lesen müsse man nicht können, denn neben dem Drehknopf für Zeit und Temperatur befinden sich Bilder der aufzuwärmenden Speisen.

Für meine Mutter war die Mikrowelle der Inbegriff von Kleinbürgerlichkeit, dem Wunsch nach einem durchorganisierten Tag. Das Geräusch allein. Pling!

Die Kölner Punkband Chefdenker sieht das in ihrem Song „Mikrowelle“ ähnlich. Es geht darin um Routine, Abläufe, Kuckucksuhren, einen spießigen Vater. In der Vorstellung meiner Mutter hätte uns der Besitz einer Mikrowelle automatisch zu einer jener amerikanischen Familien gemacht, die vor dem Fernseher essen und nicht mehr miteinander sprechen.

Dabei galt die Mikrowelle lange Zeit als Symbol für die Befreiung der Frau, die dank ihr weniger Zeit in der Küche verbringen muss. Ich erklärte meiner Mutter, dass sie das Essen nun vorkochen könne, einfrieren. „Jeder kann essen, wann er mag“, rief ich begeistert. Genau das wollte sie nicht.

Vor allem aber hielt meine Mutter die Mikrowelle für gefährlich. Damit ist sie nicht allein. Noch heute erscheinen alle paar Jahre Studien, die einen Mikrowelleneffekt nachweisen wollen. Videos zeigen vertrocknende Blumen, die mit mikrogewelltem Wasser gegossen worden waren. Englische Katzen sollen nach ein paar Wochen Mikrowellenfutter „verhungert“ sein. Der Schweizer Ernährungswissenschaftler Hans Ulrich Hertel veröffentlichte 1989 eine Studie, die belegen wollte, dass Mikrowellenessen das Immunsystem zerstört, Migräne hervorruft, die Hormonproduktion stoppt, Zellen beschädigt. Dass man schon wenige Minuten nach dem Verzehr von mikrogewellter Nahrung schlechtere Blutwerte messen könne, man langsamer denkt und schlechter schläft. Aber Hans Ulrich Hertel ist auch Priester der Sekte „Universale Kirche“ und glaubt, „das Judentum“ habe den Zweiten Weltkrieg angezettelt.

Trotzdem bleibt es gruselig: Goldrand platzt von den Tellern, Alufolie sprüht Funken, Eier explodieren. In der Sowjetunion sollen Mikrowellen bis 1976 gar verboten gewesen sein. Das Innere der Box, der Garraum, erwärmt sich nicht, die Suppe in ihrer kalten Schale aber wird wie von Zauberhand heiß.

Percy Spencer, ein amerikanischer Erfinder mit mehr als 120 Patenten, soll 1945 vor einem Radar gestanden und plötzlich gespürt haben, wie ein Schokoriegel in seiner Hosentasche zerschmolz. Er hatte eine Ladung Wellen abbekommen. Ein Jahr später kam die erste Mikrowelle auf den Markt – so groß wie ein Kühlschrank und etwa 3000 Dollar teuer. Es dauerte bis 1965, bis kleinere, günstigere Geräte in Serie produziert wurden.

In denen passiert Folgendes: ein Generator, genannt Magnetron, erzeugt kurze Wellen. Kürzer als Radio oder Fernsehwellen, aber länger als sichtbares Licht. Die Wellen bringen Wassermoleküle zum Schwingen, 2,45 Milliarden Mal in der Sekunde, und erzeugen dadurch Reibung. Das Wasser gibt die Hitze an das Essen weiter, bis zu zehn Zentimeter dringt sie in die Lebensmittel ein. Je mehr Wasser in einer Speise ist, desto wärmer wird sie.

„Es entsteht aber nichts, was nicht auch beim herkömmlichen Garen entsteht“, sagt der Physiker Günter Nimtz. Er war jahrelang Mitglied der Kommission für nicht ionisierende Strahlen, hat tausende Arbeiten untersucht und Mimosen mit 100-facher Mikrowellenstrahlung beschossen – keine Reaktion. „Es kommt bei Mikrowellen nicht zu chemischen Veränderungen in den Lebensmitteln.“ Wer sich vor Elektrosmog fürchtet, an eine Belastung durch Radiostationen und Handys glaubt, der sollte freilich auch Mikrowellen meiden.

Eigentlich entsteht in Mikrowellen nur Hitze. Und Hitze hat Effekte. Deshalb kann man alte Schwämme damit steril machen, in großen Mikrowellenreaktoren Keramik herstellen, sogar Asbest abtöten. Man kann Wunderkerzen hineinlegen, die dann brennen, und mit wenig Wasser gefüllte Luftballons, die sich aufblasen, weil das Wasser verdampft. Keine Wissenschaftssendung ohne Versuche in der Mikrowelle.

Immer wieder steckt jemand mit dieser Hitze seine Socken in Brand, und der „Chaos Computer Club“ rief 2007 dazu auf, den Chip seines Reisepasses damit zu zerstören. Wegen der Hitze warnen US-Gebrauchsanweisungen vor dem Trocknen von Tieren in der Mikrowelle. Auch sollte man nicht mit den Augen direkt an die Tür des Geräts gehen. Ein Drahtgitter schützt zwar vor einem Austreten der Strahlen, die dann das Wasser im Körper erhitzen könnten, aber nach einigen Jahren lecken die Türen oft.

Meine Mutter sprach auch von Salmonellenbildung. Gern hätte ich ihr damals schon von Professor Ashim Datta erzählt, dem Herrn der Mikrowellen. An der Cornell-Universität in den USA forscht er zu Wärmeverteilung in Mikrowellenessen. Weil durch die stehende Welle – die Wellen prallen gegen den Metallrahmen – sogenannte Hotspots entstehen, wird das Essen in der Mikrowelle uneinheitlich erhitzt. Datta experimentiert, damit Teile eines Fertigessens nicht zu trocken werden, während größere Stücke ungegart bleiben und dann möglicherweise Salmonellen entstehen. Anfangs, erzählt Datta, hatten die Herde einen Aluminiumventilator, der die Wellen verteilen sollte, heute haben alle Mikrowellen einen Drehteller.

Meine Mutter, die gute Köchin, glaubte auch an den Verlust von Vitaminen. Das tun viele. Homöopathen sprechen von „uniformiertem Essen“. Weil Wassermoleküle gleichförmig angeordnet werden, sich damit die Struktur des Wassers verändern würde oder die Aminosäuren in der Milch. „Natürlich denaturieren Proteine – wie bei jedem anderen Kochen auch“, sagt Thomas Vilgis, Physikprofessor in Mainz und Sternekochberater.

Vilgis trocknet Kräuter in der Mikrowelle ohne Öl, er bereitet Knusperchips aus Gemüse darin zu, am liebsten aber Spinat („Spinat putzen, trockenschleudern, mit wenig Butter, Olivenöl, Salz, Muskatnuss, Kardamom durchmengen, 30 bis 60 Sekunden bei 850 Watt in die Mikrowelle, kein Wasserverlust, knackig, bombig“). „Für einen Vitaminverlust bräuchte es viel höhere Temperaturen“, sagt er.

Ungesund, erklärte ich meiner Mutter damals, sei doch nur das Glutamat in den eigens hergestellten Mikrowellengerichten, die ich natürlich niemals anfassen würde. Sogar die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hält Mikrowellenessen für unbedenklich. Es braucht kein zusätzliches Fett, es wird nicht braun. Leckere Röstaromen entstehen zwar nicht – deshalb heißt es bei Beschwerden in Restaurants häufig, etwas habe „nach Mikrowelle geschmeckt“ –, krebserregende Verbrennungen aber auch nicht.

In einer ihrer Anti-Mikrowellen-Reden sorgte sich meine Mutter auch, dass das Teil wie ein Raumschiff unsere Küche verschandeln würde. Ich hatte gehofft, die Boxen hätten sich in der Zwischenzeit weiterentwickelt. Doch sie sehen aus wie immer schon. Im Elektrofachhandel stehen sie weit hinten in einer Ecke. Sie kosten zwischen 45 und 250 Euro, sind schwarz, weiß oder aus Edelstahl. Die teuren haben Innenräume aus Emaille, die sich leichter reinigen lassen. Sie fassen etwa 17 Liter, Hauptsache ein Mittagsteller passt darauf, sie können auftauen, warm halten, garen. Inzwischen gibt es extra Pfannen, die die Wellen absorbieren und mit Heißluft und Grill ausgestattet eine Pizza backen können. Manche, erzählt mir der Berater im Elektrofachhandel, besäßen einen Toaster an der Seite, manche ein integriertes Radio, das wollte aber niemand kaufen. Ein neues Modell sieht aus wie ein Weidenkorb, eines ist gleichzeitig eine Dunstabzugshaube, und bald soll es gar eine Mikrowelle in der Schublade geben.

Weil aber 74 Prozent der deutschen Haushalte bereits eine Mikrowelle besitzen, ist die Nachfrage so gering, dass es sich für die meisten Firmen nicht lohnt, Mikrowellen in Serie zu produzieren – das Unternehmen Matsushita stellt sie für große deutsche Firmen in unterschiedlichem Design her. Wenigstens hier hatte meine Mutter recht: Mikrowellen sehen nach billiger Zukunft aus.

Zu meinem Auszug schenkte ich mir selbst eine Mikrowelle. Pling! macht es seither abends manchmal in meiner Küche. Ich koche vor, friere ein, besitze Tupper-Dosen und habe manchmal kaum Abwasch. Ich spare Energie, weil ich keinen ganzen Topf erhitze. Und wenn ich nicht schlafen kann, wärme ich eine Tasse Milch mit Honig. Die Mikrowelle ist besser als ihr Ruf – aber sie bleibt hässlich.

Meine Mutter besitzt jetzt ein kleines Ferienhaus, mit einer winzigen Küche, kaum Platz für einen Ofen. Willst du meine Mikrowelle, Mama?

Julia Prosinger

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