Verbreiteter Irrtum: Die Geschmacksrezeptoren sitzen überall
Auch wenn viele das zu glauben wissen: Die Zunge nimmt verschiedene Geschmacksrichtungen nicht an verschiedenen Orten wahr.
Manche Irrtümer halten sich hartnäckig, so auch die Vorstellung, dass verschiedene Geschmacksrichtungen auf der Zunge an unterschiedlichen Orten wahrgenommen werden.
Viele Schulkinder lernen noch heute, dass etwa die Rezeptoren für Süßes ganz vorne an der Spitze der Zunge sitzen und die für Bitteres ganz hinten. „Aber diese Karte ist ein Mythos und längst widerlegt“, sagt die Geschmacksforscherin Linda Bartoshuk von der Universität von Florida.
Der Fehler geht auf die Arbeit „Zur Psychophysik des Geschmackssinnes“ von 1901 zurück. Darin hatte der deutsche Forscher David Hänig gezeigt, dass verschiedene Bereiche der Zunge unterschiedlich empfindlich auf Süßes, Saures, Bitteres und Salziges reagieren.
Edwin Boring, ein Historiker an der US-amerikanischen Harvard-Universität, übersetzte die Arbeit Anfang der 40er Jahre ins Englische. Dabei stellte er es allerdings so dar, als seien Gegenden mit etwas geringerer Empfindlichkeit gar nicht mit Rezeptoren ausgestattet.
Inzwischen ist klar, dass die Realität anders aussieht: Im Zentrum der Zunge befinden sich weniger Geschmacksrezeptoren als am Rand. Aber die Rezeptoren für die verschiedenen Geschmacksqualitäten sind dabei ungefähr gleich verteilt. Das gilt auch für Umamirezeptoren, die Aminosäuren wie Glutamat detektieren. Dieser Geschmack war zu Hänigs Zeiten noch gar nicht bekannt gewesen.
Kai Kupferschmidt
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