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Massenmörder Anders Breivik ist erklärter Antifeminist.
© dapd

Das Netzwerk der Antifeministen: Wenn fragile Männlichkeit gefährlich wird

Sie halten Feminismus für „die größte Bedrohung seit Bestehen der Bundesrepublik“, wollen Gesetze beeinflussen. Auf diese Ideen berufen sich auch Terroristen.

Zum Beispiel im „Tatort“. Da findet Matthias Enderle oft die Rollenverteilung ungerecht. Der männliche Kommissar sei grundsätzlich der weniger empathische, weniger clevere. Enderle sagt: „Die Frauen werden ausgeglichener dargestellt.“ Das sei ein Zeichen für die Diskriminierung des Mannes.

Von diesen Zeichen gebe es noch viel mehr. Glaubt man dem Verein „Manndat“, dem Matthias Enderle vorsteht, herrscht in Deutschland eine „generelle Hasskultur gegen Männer“. Es gibt „Dauerhetze gegen weiße Männer“, insbesondere die SPD befinde sich in einem „Krieg gegen Männer“. Am Telefon sagt der 52-Jährige, es sei schade, dass über viele „männerfeindliche Thesen“ kaum sachlich diskutiert werden könne. Etwa über die Behauptung, Frauen würden schlechter bezahlt.

In der Szene der sogenannten Männerrechtler, die in den letzten Jahren in Deutschland gewachsen ist, gilt Enderles Verein Manndat als einer der wichtigsten Akteure. Es gibt Vereine, Initiativen, Kongresse, Blogs. Gemein ist allen die Überzeugung, der Feminismus habe in Deutschland großen Schaden angerichtet – die wahren Benachteiligten seien heute die Männer.

Dagegen gehen die Aktivisten an, ringen um politischen Einfluss, wollen in der Öffentlichkeit ernst genommen werden und männerfreundliche Gesetze durchsetzen. Mit ihrer Lobbyarbeit, in der sie ihre Gefühle als Fakten verkünden, haben sie einige Erfolge erzielt. Sie wirken sogar bereits in einer Bundestagspartei mit, und es ist nicht mal die AfD.

Sind Männer in Deutschland nur „Wegwerfartikel“?

Das Spektrum der Antifeministen ist weit und gut vernetzt. Es gibt langjährige Streiter wie den Berliner Publizisten Gunnar Kunz, der Feminismus für die „größte Bedrohung der Demokratie seit Bestehen der Bundesrepublik“ hält. Männer seien „Wegwerfartikel“, um deren Wohlergehen sich niemand sonderlich sorge. Für ein Interview mit dem Tagesspiegel steht Kunz nicht zur Verfügung.

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Es gibt den Blogger Hadmut Danisch, der über das Wesen der Frau Folgendes schreibt: „Einerseits fordert sie Posten in den Vorständen der größten Unternehmen, andererseits kann sie nicht mal selbstverantwortlich und zuverlässig entscheiden, mit wem sie bumst.“ Jede Beischlafentscheidung sei unverbindlich, und wenn die Frau es sich später anders überlege, werde „die Sache auf Kosten des Mannes rückwirkend zur Vergewaltigung erklärt.“ Für ein Interview steht Danisch nicht zur Verfügung.

Der Nationalsozialismus sei weiblich gewesen

Sehr populär ist unter Antifeministen die Webseite wgvdl.com, das steht für „Wieviel ,Gleichberechtigung‘ verträgt das Land?“ Hass auf Frauen wird dort offen ausgelebt. Im Forum erklären Männer, Lesben gehörten vergewaltigt, um sie heterosexuell zu prägen. Der Nationalsozialismus sei in seinem Innersten weiblich gewesen. Und die Affäre um Harvey Weinstein habe nur eines bewiesen: was Frauen für Geld und Aufmerksamkeit zu tun bereit seien. Weinsteins Opfer werden im Forum als „Klageweiber“ verspottet. Für ein Interview steht der Betreiber der Seite nicht zur Verfügung.

Matthias Enderle, der Vorsitzende von „Manndat“, sagt, mit Frauenhass ließen sich keine Lösungen finden. In seinem Verein gebe es definitiv keinen Hass. Er wehrt sich auch gegen das Etikett Antifeminismus. Sein Verein sei lediglich feminismuskritisch. Seine Worte über Hassforen wie WGvdL sind mit Bedacht gewählt. Enderle geht auf Distanz, verurteilt sie aber nicht.

Beim Arztbesuch kamen Enderle erste Zweifel

Dass er als Mann diskriminiert werde, habe er erstmals mit Mitte 30 gefühlt. Da sagte er zu seiner Hausärztin: „Ich hätte ganz gerne eine Krebsvorsorge.“ Die habe ihm erklärt, dass er die erst ab 45 bekomme, noch zehn Jahre warten müsse. Enderle sagt: „Das war der erste Riss.“

Matthias Enderle, Vorsitzender von Manndat.
Matthias Enderle, Vorsitzender von Manndat.
© privat

Mit Manndat wolle er aufklären, zum Beispiel über den „Glaubenssatz“, Männer neigten eher zu häuslicher Gewalt: „Ich hatte immer das Gefühl, da kann irgendwas nicht stimmen. Ich habe mich nicht so erlebt, habe auch andere Männer nicht so erlebt. Ich war nie gewalttätig.“

Aktuelle Statistiken wie die der Bundesregierung, wonach 81 Prozent aller Opfer von Partnerschaftsgewalt weiblich sind, bei sexuellen Übergriffen in Partnerschaften sind es sogar 98 Prozent, werden von Männerrechtlern angezweifelt, kleingeredet, als „ideologisch motiviert“ abgelehnt. Solche Zahlen dienten nur der „Dämonisierung“ des Mannes. 

Die Aktivisten kontern mit eigenen Studien. Eine besagt, dass Männer, die ihre Oberarme und Schultern mit Testosteron-Gel einreiben, anschließend eher bereit sind, Geld für wohltätige Zwecke zu spenden.

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Matthias Enderle sagt, die Diskriminierung seines Geschlechts zeige sich auch in der Berichterstattung über Tötungsdelikte: „Wenn ein Mann tötet, ist sofort klar, dass er es aus niederen Beweggründen tat.“ Dass dieser aus purer Lust an der Gewalt gemordet habe. Bei einer Frau heiße es schnell, dass sie „jemanden schützen wollte, dass sie in einer Ausnahmesituation war und nicht anders konnte.“

Jungen, sagt Enderle, erführen Nachteile im Bildungswesen. Dies liege etwa daran, dass unter den Lehrern zu wenig Männer seien und auf die Interessen von Jungen zu wenig Rücksicht genommen werde. Sein Verein hat deshalb eine Liste von Büchern erstellt, die er Pädagogen für den Unterricht empfiehlt. Darunter finden sich eine Menge Fußball-, Drachen- und Abenteuergeschichten, aber auch der Roman „Ausgezickt“, in dem es die Hauptfigur Jan „den dummen Zwillingszicken mal so richtig zeigt“.

Zufällig finden sich auf der Empfehlungsliste gleich mehrere Bücher von Gunnar Kunz. Das ist der Autor, der den Feminismus für die „größte Bedrohung der Demokratie seit Bestehen der Bundesrepublik“ hält.

Wie verbreitet der Antifeminismus im Land ist

Das Bundesfamilienministerium geht davon aus, dass fünf Prozent aller deutschen Männer offen antifeministisch eingestellt sind, etwa dem Satz zustimmen: „Frauen sind von der Politik genug gefördert worden, jetzt sind die Männer dran.“ Ein Drittel aller Männer sei für einzelne antifeministische „Einstellungen oder Facetten empfänglich“.

Zu den ärgsten Feindbildern der Bewegung zählen junge Frauen wie Greta Thunberg. Aber auch Männer, die sich für Frauenrechte einsetzen. Die werden als „lila Pudel“ beschimpft. Es heißt, sie hätten ihr eigenes Geschlecht verraten.

Auf der anderen Seite haben die Antifeministen einige Heldinnen. Etwa die verstorbene Schauspielerin Hannelore Elsner, weil die vor drei Jahren die Metoo-Debatte als „verlogen“ bezeichnete. Sie sehen Elsner als Kronzeugin ihrer These, dass sich Weinsteins Opfer in Wahrheit „hochschlafen“ wollten.

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Gunnar Kunz beklagt in seinem Blog, die Coronakrise werde von Feministen missbraucht. Die behauptete Zunahme häuslicher Gewalt sei bloß eine „feministische Fantasie“, eine gezielte Lüge, um in der Pandemie nicht von „der Spitze der Opferolympiade“ vertrieben zu werden. Kunz schreibt: „Die Versuche, das Leid anderer Menschen auszubeuten, ihnen Hilfsmaßnahmen wegzunehmen und für eigene Zwecke zu verwenden, sind immer schon Bestandteil der feministischen Bewegung gewesen.“

Zum Spektrum des Antifeminismus gehören auch die sogenannten „Incels“. Männer, die nach eigener Aussage keine Aussicht auf Sex haben und dies Frauen verübeln. Ihre Überzeugung: Frauen seien oberflächlich, grausam und einfach böse. Incels fordern, der Staat müsse Frauen zu Sex mit Männern verpflichten.

Frauenhass als Motiv bei Terrortaten

Immer öfter führt der Hass im Netz zu Gewalt in der realen Welt. Etliche rechte Attentäter der vergangenen Jahre waren Antifeministen: Anders Breivik genauso wie die Mehrfachmörder von Halle und Hanau, Christchurch, El Paso und Toronto. Das Motiv Frauenhass werde bei vielen Terrortaten noch unterschätzt, sagt der Soziologe Andreas Kemper am Telefon: „Dieser Faktor wird zu wenig beleuchtet.“ Kemper hat sich jahrelang mit Antifeminismus und seinen Folgen beschäftigt. Es gebe in der Szene etliche „Breivik-Versteher“, die den Attentäter eigentlich für ein Opfer hielten. Dieser habe letztlich ausrasten müssen, weil der Feminismus und die politische Korrektheit ihn drangsaliert hätten.

Die Szene der Männerrechtler ist bunt und gut vernetzt,.
Die Szene der Antifeministen ist bunt und vernetzt.  
© getty images

Was Frauenhasser zu Mördern werden lasse, nennt Andreas Kemper „apokalyptische Männlichkeit“. Eine Männlichkeit, die auf die Vernichtung des Feindes ausgerichtet sei. Eine Männlichkeit, die „abrechnet“.

Erst Klagen eingereicht, dann gemordet

Oft erst nach langer Vorlaufzeit. In den USA versuchte ein Antifeminist vorigen Monat, eine angeblich zu frauenfreundliche Bundesrichterin zu erschießen. Zuvor hatte der Mann als Rechtsanwalt jahrelang gegen Benachteiligungen von Männern geklagt, etwa gegen Clubbetreiber, die Frauen an „Ladies’ Nights“ günstigere Drinks versprachen. Beim Versuch, das Haus der Richterin zu stürmen, tötete der Rechtsanwalt ihren Sohn.

Auch die anonymen, mit „NSU 2.0“ unterschriebenen Todesdrohungen richteten sich zunächst ausschließlich gegen Frauen, enthielten sexistische Schmähungen und Vergewaltigungsfantasien.

Zuweilen mischt sich der Frauenhass mit Antisemitismus. In seinem Bekennervideo erklärte der Attentäter von Halle, geheime Mächte hätten den Feminismus erfunden, um die Geburtenzahlen zu senken und so die Völker des Westens auszurotten. Und diese geheimen Mächte seien natürlich die Juden.

Sie wollen seriös auftreten und gestalten

Andreas Kemper, der Soziologe, sagt am Telefon, das Spektrum der Antifeministen sei zwar breit gefächert. Doch die Schnittmengen der verschiedenen Lager seien größer, als nach außen hin suggeriert werde. „Und die Übergänge sind fließend.“ Tatsächlich gebe es Berührungspunkte zwischen Vereinen der Männerrechtsbewegung und Frauenhasser-Portalen. „Die Bewegung hat sich vor zehn Jahren gespalten“, sagt Kemper. Der moderatere, sich seriös gebende Flügel habe eine strategische Entscheidung getroffen. „Die Vereine wollen gesellschaftlich anerkannt werden, vertrauenswürdig und wissenschaftsgeleitet wirken.“ Um dann in Fernsehsendungen als Experten geladen zu werden. Um Medien mit Statistiken versorgen zu können. Um ernst genommen zu werden und gestalten zu können.

Früher schrieb er im „Compact-Magazin“

Tatsächlich waren Manndat-Mitglieder wie der Publizist Arne Hoffmann vor zehn Jahren noch im Hassforum von WGvdL aktiv, Hoffmann bezeichnete es als „zentrales Diskussionsforum der Männerbewegung“. Eines seiner Bücher veröffentlichte er im Verlag des extrem rechten Götz Kubitschek, schrieb auch für dessen Blog „Sezession“ und rechte Plattformen wie „Die Freie Welt“, deren Herausgeber der Ehemann von Beatrix von Storch ist. Mehrfach gab Hoffmann der „Jungen Freiheit“ Interviews, warnte dort etwa vor „faschistoiden Aspekten“ im Feminismus. Im „Compact“-Magazin von Jürgen Elsässer veröffentlichte er den Text „Von Hitler bis Breivik: Das Elend der Vaterlosigkeit“.

Manndat interviewte auch Hans-Thomas Tillschneider (hier bei Pegida).
Manndat interviewte auch Hans-Thomas Tillschneider (hier bei Pegida).
© Arno Burgi/dpa

Manndat wiederum gab AfD-Rechtsaußen Hans-Thomas Tillschneider ein Forum. Im Interview sagte Tillschneider, zwischen Mann und Frau sollte eine „unterschiedliche, ihrem Wesen angemessene Gewichtung von Rechten und Pflichten herrschen“.

Wie sie in der FDP bereits Einfluss nehmen

Mit ihrer Taktik, sich seriös und keinesfalls rechts zu geben, hätten die Männerrechtler bereits ein Stück Normalisierung erreicht, sagt Andreas Kemper. Das nächste Ziel sei, auch auf der politischen Bühne als akzeptable Gesprächspartner angesehen zu werden. Im besten Fall auf Augenhöhe und gleichberechtigt mit den Frauenverbänden.

Ein paarmal ist dies schon gelungen. Zwei Aktivisten von Manndat wurden, auf Anfrage der FDP, als Experten zum Thema Gesundheitspolitik im nordrhein-westfälischen Landtag angehört. Arne Hoffmann schrieb danach: „Bislang war die Männerrechtsbewegung ein Teil der außerparlamentarischen Opposition. Mit der FDP gewinnen wir aktuell Zugang auf die parlamentarische Ebene.“

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Überhaupt hat die Bewegung in der FDP – neben der AfD – am stärksten Fuß gefasst. Parteimitglieder riefen vor drei Jahren einen eigenen Verein ins Leben, der in die Partei und aus ihr heraus wirken soll: die „Liberalen Männer“. Initiiert wurde die Gründung von Mitgliedern des Männerrechtsvereins Manndat. Es heißt, ähnliche Bestrebungen in anderen Parteien seien angedacht.

Matthias Enderle findet es ungerecht, dass bei Männern, sobald sie einen Verkehrsunfall bauten, als Grund gleich „überhöhte Geschwindigkeit“ genannt werde. Bei Frauen heiße es dagegen „aus ungeklärter Ursache“. Dabei erlebe er im Straßenverkehr, dass „bei vielen Frauen die Augen sonst wo sind, zum Beispiel auf dem Handy. Das ist Unaufmerksamkeit.“

Für Gewaltausbrüche gebe es Gründe, sagt er 

Enderle findet auch ungerecht, dass so wenig über die gefährlichen Männerberufe gesprochen werde, die tödliche Betriebsunfälle mit sich bringen. „Es ist bezeichnend, dass dort niemand nach Gleichverteilung schreit.“ Und er hat eine Erklärung für manche männlichen Gewaltausbrüche: Perspektivlosigkeit. Unterlassungssünden in den letzten 30 Jahren, gerade auf dem Bildungssektor, hätten dazu geführt, dass es „heute eine hohe Zahl von perspektivlosen Männern“ gebe.

Herr Enderle, gibt es denn Ihrer Meinung nach gar keine Fälle, in denen heute noch Frauen diskriminiert werden? 

Doch, sagt Matthias Enderle, und seine Antwort spricht für sich. Frauen hätten „mehr Aufklärung“ über die Frage verdient, was sie im Leben wollten, welche Konsequenzen das habe und ob sie bereit seien, diese zu tragen. Viele Frauen seien in Situationen geraten, die sie als Benachteiligung empfänden, weil sie sich „einfach für etwas entschieden“ und nun Probleme mit den Folgen hätten. „Entweder weil sie die Folgen nicht bedachten, oder sie haben diese nicht ernst genommen.“ Das beträfe etwa Frauen, die beschlossen haben, das Kind alleine zu erziehen, und dann „feststellen, dass sie allein überfordert sind“. Enderle sagt: „Da könnte man vermitteln, dass man mit etwas mehr Weitblick einiges vermeiden kann.“

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