Frauen in der bundesdeutschen Politik: Die halbierte Republik
Torsten Körner erklärt, wie Westdeutschland zur "Männerrepublik" wurde - obwohl Politikerinnen die Bundesrepublik von Beginn an prägten.
Gäbe es den alten weißen Mann nicht, man müsste ihn erfinden. Seit er im öffentlichen Reden existiert, ist es möglich geworden, bisher Selbstverständliches, quasi Naturwüchsiges als Ergebnis von Privilegien und Ausgrenzung zu durchschauen – auch über engere Aktivistinnenkreise hinaus. Statt aufs Für und Wider von Frauenquoten fällt seither auch Licht auf die Hundert-Prozent-Männerquoten in Konzernvorständen, Chefredaktionen oder Behördenleitungen.
Womöglich ist der Entdeckung der Denkfigur des alten weißen Mannes auch dieses ausgezeichnete Buch von Torsten Körner zu verdanken: „In der Männer-Republik“ ist eine Geschichte von 70 Jahren Bundesrepublik aus Geschlechterperspektive, nach deren Lektüre wenig übrig bleibt vom idyllischen Bild vor allem der ersten Jahre, das die Geschichtsbücher bis heute malen: die Adenauerrepublik, frauenfrei, aber glücklich mit Wirtschaftswunder und Wiederaufbau beschäftigt, also Wichtigerem. Und die Frauen selbst, die es ja irgendwie nicht anders wollten: Bis 1969 wählte die Mehrheit der westdeutschen Frauen, anders als die Männer, verlässlich konservativ.
Adenauer wehrte sich lange gegen eine Ministerin
Ein trügerisches Bild. Von Anfang an verfügte die junge Bundesrepublik in allen Parteien über engagierte, teils brillante Politikerinnen, und es kostete die diversen Männerkartelle ordentlich Kraft, sich im Innern der Macht gegen die Türen zu stemmen, durch die sie wollten. Der Patriarch Adenauer schaffte es nur gegen heftigen Widerstand der Unionsfrauen bis 1961, seine Kabinette völlig frauenfrei zu halten. Die wollten schon lange Elisabeth Schwarzhaupt durchsetzen. Die promovierte Juristin hatte bereits 1932 gewarnt, welche Rechte der NS-Staat den Frauen nehmen würde. Sie verlor 1933, weil Frau, ihr Amt als Richterin und setzte sich 20 Jahre später als CDU-Bundestagsabgeordnete dafür ein, das patriarchalische Familienrecht aus der Kaiserzeit zu reformieren. Natürlich wäre sie die Idealbesetzung als Justizministerin gewesen, aber da wollte der Alte aus Rhöndorf sie ebenso wenig wie – als ledige Kinderlose – im Familienministerium. Fürs Bundesratsministerium, das später abgeschafft wurde, attestierten ihr Parteifreunde zu wenig von jener Trinkfestigkeit, die in den Sitzungen spätabends vonnöten sei.
Als die Unionsfrauen den Kanzler schließlich per Sitzstreik vor dem Saal der Koalitionsverhandlungen mit der FDP zur Räson brachten, bugsierte er Schwarzhaupt widerwillig in ein eigens für sie geschaffenes neues Ministerium – für Gesundheit.
Es gab viele Politikerinnen ihres Formats, und es ist ein großes Verdienst von Körners Buch, dass er diesen weitgehend vergessenen Biografien Platz schafft: Die Sozialdemokratin Jeanette Wolff, Mitgründerin der Arbeiterwohlfahrt, verlor ihren Mann und zwei Töchter im KZ und arbeitete im Bundestag für die Entschädigung von NS-Opfern. Gegen die Beschlagenheit und Schlagfertigkeit von Margot Kalinke (CDU) wussten sich die Herren, auch Helmut Schmidt, nur mit sexistischen Kommentaren zu helfen. Nach Marie- Elisabeth Lüders (FDP) wurde zwar ein Bundestagsgebäude benannt, doch was wissen wir über sie als originelle Rednerin und (Frauen-)Politikerin?
Skandal - Bundestagsreden über Sex
Jüngeren Leserinnen und Lesern von Körners Buch dürften die Kapitel über die 1980er Jahre Neues bieten, als die grünen Neulinge, aber bevorzugt ihre Frauen, Gaby Potthast etwa oder Waltraud Schoppe, von Männerchören im Hohen Haus mal niedergeflüstert, mal niedergebrüllt wurden. Auch wer die Szenen kennt, liest noch einmal atemlos, mit welcher Courage die Pionierinnen zum Thema machten, was bis dahin stillschweigend als nicht politikfähig und im Parlament als unverhandelbar galt: Körper und Sexualität. Schoppes ruhig vorgetragener Satz, es gebe „Formen des Liebesspieles, die lustvoll sind und die die Möglichkeit einer Schwangerschaft völlig ausschließen“, brachte 1983 den Saal in wütende Wallung und machte Parlamentsgeschichte.
Den Frauen der Grünen attestiert Körner ohnedies, die Türen geöffnet zu haben für Außenseiterinnen wie Rita Süssmuth, unter Helmut Kohl „Kanzlerin der Herzen“, und schließlich für Deutschlands erste Kanzlerin Angela Merkel. Für die „anhaltende Trübung des politischen Langzeitgedächtnisses“, in dem gerade die ersten Frauen bis heute praktisch nicht vorkommen, waren hingegen nicht nur deren Parteifreunde verantwortlich, sondern auch Medien, die den männlichen Politiker als Norm setzten und Politikerinnen gern lächerlich machten. Körner zitiert verächtlichste „Spiegel“-Passagen vom „Fräulein Schwarzhaupt“ mit dem gänzlich „unnützen“ Gesundheitsministerium bis zu Gabor Steingarts misogynem Porträt der SPD-Finanzpolitikerin Ingrid Matthäus-Maier im Jahre 1993.
Alles lange her? Körners Buch über eine Republik, in der lange nur die Hälfte der Bevölkerung repräsentiert war, kommt in eine Zeit, da der Frauenanteil im Parlament wieder schrumpft und die wachsende ethnische Diversität Deutschlands noch gar nicht angemessen vertreten ist. Das Projekt ist nicht abgeschlossen. Extra schön, dass ein Mann darauf hinweist.
Torsten Körner: In
der Männerrepublik. Wie Frauen die Politik eroberten. Verlag
Kiepenheuer &
Witsch, Köln 2020. 368 S., 22 €.
Andrea Dernbach
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