Intendanz der Volksbühne: So lief das Berliner Trauerspiel um Chris Dercon
Um die Volksbühne wird mit härtesten Bandagen gekämpft, das zeigt der Abgang von Chris Dercon. Verantwortlich dafür ist auch Kultursenator Lederer, der Feind des gescheiterten Intendanten im Senat.
Am Donnerstag wird Chris Dercon in die Brunnenstraße bestellt, dort sitzt die Senatskulturverwaltung. Dem Intendanten der Volksbühne – das ist er zu dem Zeitpunkt gerade noch – werden zwei Briefe ausgehändigt. In dem einen spricht ihm Kultursenator Klaus Lederer die Kündigung zum 30. September dieses Jahres aus. In dem anderen wird Dercon mitgeteilt, dass er ab sofort freigestellt sei. Das hat es in der Berliner Kulturszene so auch noch nicht gegeben.
Dercon fährt ins Theater zurück, packt seine Sachen und ruft Peter Raue an. Der Theaterliebhaber und Rechtsanwalt, der schon viele prominente Künstler vertreten hat, macht momentan zwar auf der anderen Seite der Weltkugel Urlaub, aber regelt die Angelegenheit mit der ihm eigenen Ruhe und Geschwindigkeit und spricht von einer „vernünftigen Lösung“, die er im Gespräch mit Lederer gefunden habe. Details gibt es nicht. Es ist davon auszugehen, dass Dercons Fünfjahresvertrag mit einer Abfindung aufgelöst wird.
Das dicke Ende, Knall auf Fall
Wer gedacht hat, dass im Drama um die Volksbühne keine weitere Umdrehung möglich sei, nach all dem Krach und Krampf und Chaos, Attacken und Kränkungen, sieht sich im Irrtum. Hier kommt, Knall auf Fall, das dicke Ende.
An der Rampe klingt es so: Der Senator für Kultur und Europa, Klaus Lederer, und der Intendant der Volksbühne, Chris Dercon, haben sich einvernehmlich darauf verständigt, die Intendanz von Chris Dercon mit sofortiger Wirkung zu beenden. Die am Freitag dann offiziell verbreitete Erklärung lautet: „Beide Parteien sind übereingekommen, dass das Konzept von Chris Dercon nicht wie erhofft aufgegangen ist, und die Volksbühne umgehend einen Neuanfang braucht. Mit der einvernehmlichen Einigung zwischen Kultursenator Lederer und Intendant Dercon ist nun die Chance gegeben, diesen notwendigen Neustart einzuleiten.“ Die meisten Medien sprechen vom „Rücktritt“ des 60 Jahre alten Dercons. Der geschah aber nicht ganz freiwillig.
Auf der Personalversammlung am Freitag wird versichert, dass alle anderen Verträge an der Volksbühne eingehalten werden. Einen Nachfolger für Dercon, den nun gescheiterten Nachfolger von Frank Castorf, hat Klaus Lederer noch nicht. Erst einmal soll Klaus Dörr die Intendanzgeschäfte am Rosa-Luxemburg-Platz übernehmen. Dörr wurde kürzlich erst als neuer geschäftsführender Direktor der Volksbühne engagiert. Es ist ein erfahrener Theatermann, kennt aus seiner Zeit am Maxim Gorki Theater die Berliner Szene und war zuletzt bei Armin Petras am Staatsschauspiel Stuttgart. Dörr will 70 Prozent seiner Zeit in Berlin sein, dreißig Prozent in Stuttgart, um dort seine Arbeit zu Ende zu bringen. Armin Petras wird in den nächsten Jahren wieder als freier Regisseur arbeiten. Über ihn wurde viel spekuliert. Dercons Nachfolger kann er mit all seinen Regieverpflichtungen in Bremen und auch in Berlin kaum werden.
Man werde in der Intendantenfrage nichts überstürzen, sagt Klaus Lederer, der sich eine höchst schwierige Personalentscheidung vorgenommen hat.
Lederer weiß, wie Machtpolitik funktioniert
Zack – und weg! Das hat der Bürgermeister und Kultursenator sauber hinbekommen. Lederer weiß, wie Machtpolitik funktioniert. Und weil er auch immer so freundlich-verbindlich ankommt, gilt er als beliebtester Politiker der Stadt. Seine Erklärung endet mit einer bemerkenswerten Pointe: „Im Übrigen ist es mir wichtig zu betonen, dass die persönlichen Angriffe und Schmähungen aus Teilen der Stadt gegen Chris Dercon in der Vergangenheit inakzeptabel waren. Solche Formen der Auseinandersetzung sind unwürdig und entbehren jeder Kultur.“
So spricht Lederer, der an dem einen oder anderen Angriff auf Dercon beteiligt war. Der sich stets klar auf die Seite der Castorfianer gestellt hat und schon über eine Trennung von Dercon laut nachdachte, kaum dass er auf dem Senatorenstuhl saß. Der an der Volksbühne aufgeräumt hat, als der Regierende Bürgermeister Michael Müller auf Staatsbesuch in Jordanien weilte.
Was oft vergessen und woran der Regierende nicht gern erinnert wird: Es war Müller, der, damals auch Kultursenator, Dercon an die Volksbühne geholt hat, nach einer überraschenden Idee des Kulturstaatssekretärs Tim Renner. Den hatte noch Klaus Wowereit in die Verwaltung geholt. Wowereit hielt Dercon für eine Fehlbesetzung und sagte das auch. Der Riss ging durch die Politik wie durch die ganze Stadt.
Castorf, Dercon und die Volksbühne: Es war ein ausgewachsener Kulturkampf, von Anfang an. Im März 2015 tauchte der Name des belgischen Kurators, zu der Zeit noch Direktor an der Tate Modern in London, auf dem Berliner Theatermarkt auf. Seitdem herrscht Misstrauen, ja Hass. Dercon wurden Fäkalien vor die Tür gekippt.
Die Kulturpolitik hat den Stil der Straße übernommen
„Tschüss Chris“. Solche Aufkleber finden sich seit Monaten in Prenzlauer Berg und Mitte auf Plakaten der Volksbühne, auf denen die wenigen Stücke angekündigt sind, die Dercon im Angebot hat. Die Kulturpolitik hat nun den Stil der Straße übernommen. So manches hat sich geändert in den zurückliegenden drei Jahren, auf die man nun mit einem schlimmen Kater zurückblickt.
Es waren mindestens drei harte Spirituosen, die in diesem ewigen Horrorstück in viel zu großen Mengen durcheinandergereicht wurden. An denen sich manch einer geradezu berauscht hat. Für die beinharte Castorf-Fraktion gibt es nur – Castorf, am liebsten sieben Stunden lang. Danach hätte er die Volksbühne bis ans Ende seiner Tage behalten müssen, egal, was da läuft. Und selbst wenn er selbst, wie häufiger geschehen, seine Unlust am Intendantensein bekundete. An Castorf hingen Regisseure wie René Pollesch und Herbert Fritsch, aber da sollte man nicht allzu romantisch sein. Castorfs Volksbühne konnte zu den eigenen Stars sehr hart und unfair sein. Trotzdem stellten sich langjährige Volksbühnen-Mitarbeiter öffentlich gegen Dercon. Sophie Rois kündigte mit Aplomb. Zuletzt sagte der Schauspieler Milan Peschel, die Volksbühne erinnere ihn an ein Totenschiff oder einen Sarg, „da weht schon ein Leichengeruch raus.“
Sicher war die Berufung von Chris Dercon mehr als unglücklich. Auf der anderen Seite hatte er keine Chance und wie man mit ihm umgegangen ist, ist für mich nahe am Mobbing.
schreibt NutzerIn timmel
Als der Abgang feststand, hinterließ Castorf verbrannte Erde. Die Wahrzeichen, das Rad und der Ost-Schriftzug, wurden abgebaut, nicht unbedingt legal. Fritschs Bühnenbilder wurden geschreddert, Castorfs „Faust“-Bühne dagegen eingelagert, sodass man die Inszenierung demnächst beim Theatertreffen in Berlin noch mal sehen darf – im Haus der Festspiele, weil Castorf in all seiner Herrlichkeit sein altes Haus nicht mehr betreten wollte, solange Dercon dort weilt. Der ist nun gegangen, doch der sündhaft teure Aufbau des „Faust“ bei den Festspielen dürfte nicht mehr umzuorganisieren sein.
An der Castorf-Verehrung hängt die zweite Droge: der Glaube nämlich, dass Dercon für Gentrifizierung der Stadt und Eventisierung des Theaters stehe. Auch ein Irrtum: Dercons Programm stand für fast gar nichts. Es war ja kaum zu sehen; etwas vom alten Beckett oder der jungen Susanne Kennedy, etwas Tanz und Palaver. Was soll es denn da für Events gegeben haben? Vielleicht die einwöchige Besetzung des Hauses durch Abenteuerspielplatzgruppen, die auch noch die Dercon-Künstler von der Arbeit abhielten?
Aber auch die andere Seite, auf der Tim Renner steht, hat sich an Visionen eines ewig kreativen Berlin besoffen. So jedenfalls trifft es nicht ein. Die tägliche Realität zeigt eine vom eigenen Wachstum und Erfolg überrumpelte Stadt, in der die Aggression zunimmt. Dercon hat das zu spüren bekommen. Er wurde übel behandelt, war aber auch wehleidig und arrogant. Schnell beklagte er sich über das Berliner Klima und trat vor allem gern bei Kunstterminen auf. Es wäre anders gekommen, hätte er im Herbst und Winter einen starken Auftakt wenigstens angedeutet. Man darf Dercon nicht zum Märtyrer machen, aber wenn Berlin schon immer als hartes Theaterpflaster galt, dann kann man es jetzt als unbetretbar bezeichnen.
Dercon hat nicht einmal eine Spielzeit geschafft. Um die Volksbühne tobte ein symbolischer Kampf – um Berlin. Auch die Berliner Festspiele mit dem Intendanten Thomas Oberender – er war ebenso einmal als Castorf-Erbe im Gespräch – machen ein seltsam sprödes Programm mit ihrer neuen „immersiven“ Ausrichtung. Doch sie sind in der Stadt nicht so zentral wie die Volksbühne.
Angeblich soll dem Haus ein „finanzieller Kollaps“ drohen
Chris Dercon hat sich furchtbar verschätzt: Im Fall Volksbühne wird mit härtesten Bandagen gekämpft, die normalen Regeln greifen hier nicht. Angeblich soll dem Haus ein „finanzieller Kollaps“ drohen, wegen schlechter Besucherzahlen und ausbleibender Sponsoren, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“ im Verbund mit NDR und RBB. Dercon, heißt es, fehlten Hunderttausende Euro, wenn nicht Millionen. Geld war bei Frank Castorf egal. Keiner fragte nach. Castorf war ein toller Regisseur der Volksbühne, in Machtfragen clever, und er hatte Freunde in der Politik.
Im Übrigen kann ein Staatstheater gar nicht pleitegehen. Der Senat steht dafür ein. Hätte Lederer es gewollt, dann hätte der Senat der Volksbühne jetzt auch geholfen. So läuft das sonst. Berlin hat genug Geld für die Kultur, die Etats steigen bis in die Freie Szene hinein. Dercon hatte Pech. Bei ihm wurde auf jeden Nagel geschaut. Er hat es auch provoziert. Und er hatte einen Feind im Senat.
Noch nie gab es bei einem Theater so viel Druck von außen und so wenig künstlerische Gegenwehr. Das geht in die Geschichte ein – als Volksseelenbühne.
"Es gibt an der Volksbühne zu wenig zu spielen"
Klaus Dörr könnte nun über den Sommer hinaus Interimsintendant bleiben. Er macht eine Bestandsaufnahme: „Es gibt an der Volksbühne zu wenig zu spielen. Wir müssen jetzt eigene Produktionen erstellen, die repertoiretauglich sind.“ Die finanziellen Probleme sieht Dörr allerdings nicht so dramatisch. Aber: Auch nach seiner Meinung war die Volksbühne nicht auf dem richtigen Weg, die Werkstätten nicht ausgelastet, die Produktionen nach Festivalart zu teuer.
Am Montag gab es in der Senatsverwaltung noch ein Treffen mit Dercon. Dabei kamen die strukturellen Probleme des Hauses zur Sprache. Lederer sagte, er wolle umsteuern. Dann gab er Vollgas und trat gleichzeitig auf die Bremse.