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Milan Peschel wuchs in Lichtenberg auf.
© Max Sonnenschein

Interview mit Milan Peschel: „Die Volksbühne erinnert mich an einen Sarg“

Sein altes Theater hielt er für ein Wahrzeichen, jetzt meidet er das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz. Warum Schauspieler Milan Peschel die restaurierte Frauenkirche ablehnt und Joghurtbecher sammelt.

Herr Peschel, bekannt geworden sind Sie als Schauspieler an der Volksbühne, gelernt haben Sie zuerst Bühnentischler an der Staatsoper. Steckt in Ihnen ein Handwerker?

Eigentlich wollte ich Abitur machen, mein Notendurchschnitt war nur nicht supergut. Um in der DDR auf die Erweiterte Oberschule zu gehen, brauchte man einem Schnitt unter 1,5. Ich hatte am Ende 1,9, Chemie und Biologie haben mich reingeritten. Ein Lehrer hat zu mir gesagt, wenn du dich verpflichtest, drei Jahre zur NVA zu gehen und Lehrer zu werden, kannst du das Abitur machen. Habe ich gleich geantwortet: auf gar keinen Fall.

Da fielen Ihnen die Laubsägearbeiten zu Hause ein?

Der damalige Mann meiner Mutter war Klempner und sagte: Dann wird der Junge eben Handwerker. Maurer, Schlosser, Elektriker, das hat mich alles nicht interessiert. Das Arbeiten mit Holz hatte dagegen was Künstlerisches, man braucht ein Gefühl in den Händen. Mit der Laubsäge habe ich nur gearbeitet, damit ich bei der Bewerbung was vorzeigen konnte.

Sie haben einen Schwibbogen gebaut, einen Lichterbogen aus dem Erzgebirge.

Es gab Vorlagen dafür, die ich exakt aussägen musste. Viel Spaß machte das nicht. Dafür brauchte ich nämlich Geduld, und ich bin offiziell ungeduldig.

Kein Traum: die eigene Schrankwand in der Garage zu zimmern?

Eine eigene Werkstatt zu haben, das wäre noch ein Traum. Mit ein paar Maschinen drin, da sägen, hobeln, schrauben. Doch ich war leider nie gut im Scharfmachen der Arbeitsmittel. Für das Hobeleisen braucht man einen Schleifstein, den man am Blatt entlangführen muss, ganz gerade muss das geschehen, dafür fehlte mir die Ruhe.

Ihre schlimmste Verletzung?

Nach der Lehre habe ich mal in der Werkstatt der Volksbühne ausgeholfen. Ich wollte mir ungeduldig und schnell was zusammenzimmern, habe die Sicherheitsvorrichtung an der Abrichte nicht richtig geschlossen, und zack hatte ich an der Hand eine klaffende Fleischwunde. Mit fünf Stichen genäht. Hat ordentlich gezwiebelt.

Haben Sie in der Lehre etwas über sich gelernt?

Dass ich nie der superexakte, feine Tischler werde. Da ist die Theatertischlerei schon ganz gut für mich gewesen, die ist dafür verschrien, dass man da ein bisschen pfuschen kann. Es muss ja vor allem auf die Entfernung gut aussehen.

Und für die Schauspielerei?

Es ist immer gut, wenn man noch eine andere Welt kennt als die der Kunst. Das erdet. Ich weiß, was es bedeutet, sehr früh aufzustehen und einen normalen Job zu haben, wie der Aufbau einer Bühne funktioniert und wie die Bühnentechniker ticken.

Bis 1991 hatten Sie diesen Arbeitsplatz selbst an der Volksbühne. Was macht Techniker aus?

Sie sind auf jeden Fall ruhiger, werden nicht so schnell nervös, es sei denn, sie müssen auf die Bühne. Da wollen sie nicht hin, die meisten jedenfalls nicht. Bei mir war es anders. Ich wollte rauf! Ich stand nach der Vorstellung hinter dem Vorhang und dachte, ich würde auch gern den Applaus kriegen.

Wieso hat Sie das gereizt?

Warum, warum? Das musst du als Schauspieler wollen: gesehen werden. Man kann es Eitelkeit nennen, keine Ahnung. Ich will Menschen zum Lachen bringen, zum Weinen, sie berühren. Es freut mich, wenn ich das schaffe.

In der Pubertät wollten Sie es noch nicht.

Mit 14 Jahren habe ich meine kindliche Naivität verloren, fühlte mich hässlich und von den Erwachsenen ständig beobachtet. Zu der Zeit lag das Thema Schauspielerei auf Eis, doch davor, mit neun Jahren, war ich in einer Sprechergruppe am Haus der Jungen Pioniere in Lichtenberg. Wir haben Gedichte rezitiert, Stücke eingeübt, einmal für einen Unesco-Kongress die Grußworte der Kinder gesprochen – mein erster Auftritt in der Volksbühne. Am Ende der Saison schrieb die Lehrerin eine Bewertung für jeden Schüler. Bei mir stand der schöne Satz: Milan findet den Gestus zum Wort selbst.

"Man kann Geschichte nicht übermalen"

Der ehemalige Palast der Republik. Das Schloss zu sprengen, war bauliches Unrecht, findet Peschel.
Der ehemalige Palast der Republik. Das Schloss zu sprengen, war bauliches Unrecht, findet Peschel.
© imago/Raimund Müller

Kannten Sie nie die Angst, ausgebuht zu werden?

Mit Angst auf die Bühne zu gehen, das bringt gar nichts.

Was ist mit Lampenfieber?

Nee, das ist eine extreme Aufregung, keine Angst. Ich wage zu behaupten, ein Skispringer hat auch keine, wenn er oben auf der Schanze steht. Dessen Adrenalinspiegel steigt nur, weil er den besten Sprung hinlegen will. Lampenfieber ist ein toller Zustand, ein geiles Gefühl, man ist so am Leben und spürt sich ganz doll.

Und danach fällt man in ein Loch.

Nicht zu Unrecht heißt es, dass Schauspieler zwei Stunden nach der Vorstellung nicht zurechnungsfähig sind. Ich könnte auch nicht direkt nach der Vorstellung nach Hause, ab ins Bett, ich muss erst mal runterkommen.

Hat schon seinen Sinn, dass sich alle nach einer Vorstellung in der Kantine treffen.

Die der Volksbühne war die allerbeste dafür, so ein alter Ort. Die Kantine ist das letzte Mal Mitte der 80er Jahre modernisiert worden. Seitdem sind die Lampen zerschlagen, weil besoffene Schauspieler oder Techniker darauf rumgekloppt haben.

Wie haben Sie sich verewigt?

Als Bühnentechniker habe ich Gesichter in die Tische reingeschnitzt, wenn ich schon ein paar Biere intus hatte. So schönes Holz. Sollten noch zu finden sein.

Während Sie hinter den Kulissen arbeiteten, ging die DDR unter. Ihre Schauspielkollegin Jördis Triebel sagte über die Wende: „Das Land, aus dem ich kam, habe ich geliebt. Plötzlich war es nicht mehr da.“ Kommt Ihnen bekannt vor?

Für mich war das Land ganz lange da. Weil in der Volksbühne auch nach der Wende noch dieser renitente Geist existierte, sich nicht dem Konsens unterzuordnen. Sie war ein Ort des Widerspruchs, dann eben gegen die kapitalistische Gesellschaft.

Drumherum veränderte sich die Stadt. Ahornblatt, Palast der Republik, Lenin-Denkmal, alles weg. Fühlten Sie sich um Ihre Vergangenheit betrogen?

Man hatte schon das Gefühl, dass die Stadt von den Siegern gestaltet wird. Als der Palast der Republik abgerissen wurde, habe ich das als schweren Verlust empfunden. Vielleicht war es ein bauliches Unrecht, das Schloss in den 50er Jahren zu sprengen. Man kann es jedoch nicht ungeschehen machen, indem man das Gebäude, das an seiner Stelle errichtet wurde, abreißt und dort das Humboldt-Forum hinsetzt. Es wäre günstiger gewesen, den Asbest rauszuholen, den Palast zu sanieren und ein bisschen Gnade walten zu lassen. Wahrscheinlich fühlten sich die Sieger so schwach, dass sie solche starken Zeichen setzen mussten.

Der DDR mit der Abrissbirne beikommen.

Ja, aber man kann Geschichte nicht übermalen. Genauso schlimm finde ich zum Beispiel, was in Dresden mit der Frauenkirche passiert ist. Ich weiß noch, wie mich als Kind dieser Schutthaufen in der Stadtmitte erschüttert hat. Jetzt steht da eine Kulisse, ein Potemkinsches Dorf. Und die Dresdner im Tal der Ahnungslosen sind stolz darauf. Wie viel Geld dafür verschwendet wurde!

Das kam viel über private Stiftungen zusammen.

Mir geht es nicht um Steuergelder. Ein Denkmal an eine grauenhafte Nacht im Zweiten Weltkrieg wurde zerstört, eines, das bei meinen Kindern Fragen hätte aufwerfen können. Manchmal muss man schockieren.

Sie wollen den Schutthaufen Ihrer Jugend wiederhaben, die Überlebenden des Bombenangriffs die Kirche ihrer Kindheit zurück.

Ja, warum ist sie denn zerstört worden? Deutschland hat einen furchtbaren Eroberungskrieg angefangen. Das ist doch kein Wunder, dass an einer deutschen Stadt ein Exempel statuiert wird. Natürlich war die Nacht für die Dresdner schrecklich. Meine Tante war neun Jahre alt, als das passiert ist. Für sie ist das bis heute ein Trauma. Ich will das auch nicht in Abrede stellen. Das Unrecht fängt jedoch nicht am 13. Februar 1945 an.

Sie sind in Lichtenberg aufgewachsen. Ist der Osten Berlins noch Ihre Stadt?

Das wird er immer sein, Berlin ist meine Heimat. Ich habe mit 18 Jahren Prenzlauer Berg entdeckt, fand es toll, wie viel im Untergrund los war, die illegalen Konzerte und Galerien. Natürlich finde ich nicht alles gut, was jetzt passiert. Dass sich nur noch eine bestimmte Schicht Prenzlauer Berg leisten kann, dass so eine Stadt extrem auseinanderdriftet.

Wo auch Sie wohnen und vermutlich auf Partys jeder die Frage stellt: mieten oder kaufen?

Hätte man vor 20 Jahren nicht gedacht. Es ist eine Schere, die aufgeht. Schon tragisch, denn so entstehen in anderen Vierteln Slums. Das hat alles mit Kapitalismus zu tun, mit Geld, und das macht mich traurig. Wie verhalte ich mich dazu? Ich bin in einer privilegierten Situation, weil mir mein Beruf Spaß macht. Arbeitern in einem afrikanischen Diamantenbergwerk wird das anders gehen.

"Acht Vorstellungen pro Monat auf der großen Bühne, ich bitte Sie"

Aus der Volksbühne weht Leichengeruch, sagt Milan Peschel.
Aus der Volksbühne weht Leichengeruch, sagt Milan Peschel.
© imago/Schöning

Sie können auf der Bühne stehen, weil es Menschen woanders schlecht geht?

Darauf beruht doch unser Wohlstand. Unser Lebensstandard hier ist die Folge der Armut vieler Menschen dort.

Das können Sie ja ändern und sich engagieren.

Ich versuche zum Beispiel, weniger zu verbrauchen, alles, was Plastik ist, zu vermeiden. Diese ganze Umweltverschmutzung ist eine Folge der Massenproduktion. Den Menschen in der ersten Welt wird es immer bequemer gemacht. Ich habe auch meine schwachen Momente, wenn ich mir was im Internet bestelle, und bin da nicht konsequent. Meine zwei Kinder aber nerve ich beispielsweise damit, nicht bei Edeka die abgepackte Wurst zu kaufen, sondern – verdammt noch mal – zum Fleischer zu gehen. Ich habe angefangen, sämtliche Joghurtbecher aufzuheben und mehrmals zu benutzen, um etwas in unserem Garten anzupflanzen oder auszusäen.

Sie beziehen gern klar Stellung. Als der Vertrag von Frank Castorf an der Volksbühne nicht verlängert wurde, haben Sie dies scharf kritisiert.

Weil keine Notwendigkeit bestand. Frank Castorf ist einer der wesentlichen Theatermacher der letzten 30 Jahre. Wie er das Publikum angesprochen hat, wie Theater politisiert wurde, immer wieder neue Medien eingeflossen sind. Damit ist die Volksbühne zu einem Wahrzeichen von Berlin geworden. Und das wird nach 25 Jahren de facto geschlossen. Das ist totaler Unsinn!

Man könnte auch sagen: Das Haus ist lediglich unter eine neue Leitung gestellt worden.

Es findet doch nicht mal Theater statt, jetzt kommt die dritte Eigenproduktion, acht Vorstellungen pro Monat auf der großen Bühne, ich bitte Sie. In meinen Augen gleicht das einem Vertragsbruch.

Es gab großen Widerstand gegen Intendant Chris Dercon. Im September besetzten Aktivisten das Haus. Wo waren Sie?

Ich wäre gern dabei gewesen, war aber nicht in Berlin. Ansonsten habe ich keinen Grund mehr, in das Haus zu gehen. Neulich bin ich daran vorbeigelaufen, es erinnerte mich an einen Sarg. Da weht schon ein Leichengeruch raus. Vom Panzerkreuzer zum Totenschiff, habe ich auf Instagram gepostet.

Wo Sie noch der Volksbühne folgen. Sind Sie Masochist?

Keine Ahnung, kann sein. Ich überprüfe das gleich mal.

Beobachten Sie in den sozialen Medien, was Ihre Kollegen gerade treiben?

Ich bin selbst ganz überrascht, dass ich mir einen Account eingerichtet habe. Naja, ich langweile mich manchmal. Das ist wahrscheinlich die Aufmerksamkeit, die man als Schauspieler braucht. Ah, so viele Likes schon wieder. Erschreckend, dass ich die meisten Kommentare bekomme, wenn ich ein Bild von mir poste.

Verwundert nicht. Schauspieler sind die Idole unserer Zeit. Brad Pitt, Til Schweiger, Julia Roberts …

Vielleicht brauchen wir solche Superhelden, die Stellvertreter sind. Dahinter steckt auch die Frage, wie viel Aufmerksamkeit brauche ich. Ist ein bisschen wie eine Droge. Viele Schauspieler kriegen alles hinterhergetragen, werden umsorgt, aber vom echten Leben da draußen bekommen sie gar nichts mit. Manager, Agenten, Produzenten sind dann ihre Familie.

Auch in Deutschland?

Eigentlich sind wir in Deutschland sachlicher. In Amerika ist der Markt größer. Viel mehr Umsatz, höhere Gagen, größere Entourage, es gehört dazu, dass du einen eigenen Fahrer, Personenschützer, Koch und Make-Up-Artist hast.

Wäre manchmal ganz schön.

Auf gar keinen Fall. Ich bin froh, dass ich unentdeckt U-Bahn fahren kann.

Ulf Lippitz

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