Intendant der Berliner Volksbühne: Chris Dercons Rücktritt ist ein Absturz mit Ansage
Volksbühnen-Intendant Chris Dercon gibt auf. Was Kultursenator Lederer dazu sagt, kann man nur als blanken Hohn verstehen. Ein Kommentar.
Dass Chris Dercons Amtszeit an der Volksbühne über die vertraglich vereinbarten fünf Jahre hinausgehen würde, hatte eigentlich niemand mehr erwartet. Trotzdem überrascht die Rücktrittserklärung am Freitag wohl auch Dercons härteste Kritiker.
Den belgischen Starkurator umgab bis zum Schluss eine Aura der Unantastbarkeit. Zu spüren war aber auch, dass Dercons Reaktionen auf die Kritik an seiner Person – und gerade die anfängliche Kritik, bevor er überhaupt erstmals Gelegenheit hatte, seine inhaltliche Ausrichtung zu konkretisieren, war in erster Linie persönlicher Natur – immer dünnhäutiger wurden.
Nun hat Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke) vollzogen, was er mit seinem monatelangen Lavieren in der Causa Dercon von langer Hand vorbereitet hatte. Seine Stellungnahme, dass „die persönlichen Angriffe und Schmähungen aus Teilen der Stadt gegen Chris Dercon in der Vergangenheit inakzeptabel waren“, kann man in diesem Zusammenhang nur als blanken Hohn verstehen.
Lederer hatte Dercon mit seiner frühen Weigerung, überhaupt mit dem von seinem Vorgänger Tim Renner eingesetzten Volksbühnen-Intendanten inhaltlich zu diskutieren, von Beginn an zum Abschuss freigegeben. Dass ein Großteil des Volksbühnen-Ensembles, das in Wirklichkeit längst keines mehr war, Dercon ebenfalls die Zusammenarbeit aufkündigte, war auch dem Klima in der Stadt geschuldet.
Dercon konnte die Erwartungen nicht erfüllen
Interessanterweise fällt die Rücktrittserklärung Dercons fast zeitgleich zusammen mit der Ankündigung des ehemaligen Volksbühnen-Intendanten Matthias Lilienthal, seinen Vertrag bei den Münchner Kammerspielen über das Jahr 2020 hinaus nicht zu verlängern. Lilienthal war mit seinem avancierten Programm zwischen Ensemble-Theater, Performance-Kunst und politischer Intervention beim konservativen Münchner Publikum gescheitert.
Nun sind beide Fälle grundverschieden: Lilienthal hatte im Gegensatz zu Dercon drei Jahre Zeit, sein Profil zu schärfen (es gab in diesem Zeitraum unter anderem zwei Einladungen zum Theatertreffen), während Dercon mit seinen ersten Premieren nicht einmal die ohnehin schon niedrigen Erwartungen erfüllen konnte. Bis heute haben es Chris Dercon und seine Programmleiterin Marietta Piekenbrock nicht geschafft, außer ein paar prominenten Namen auch ein überzeugendes Konzept für ihre Arbeit in den nächsten Jahren zu präsentieren. Das ist nun nicht mehr nötig.
Das Scheitern von Dercon und Lilienthal gegen massive politische Widerstände ist auch als Rückschlag in dem Versuch zu werten, das überholte Modell des Stadttheaters neu zu überdenken. Die restaurativen Kräfte haben gesiegt, immerhin dürfte das Berliner Debakel die Nachfolgersuche diesmal erleichtern. Auch Dercon ist als Castorfs Nachfolger nicht die erste - und dem Vernehmen nach auch nicht die zweite - Wahl gewesen. Das Erbe von 25 Jahren wog schwer. Nun kann die Volksbühne tatsächlich tabula rasa machen. Auf diese Weise allerdings hat sich das Klaus Lederer sicher nicht vorgestellt.
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