Emilia Romagna für Feinschmecker: Pasta non basta: Wie man sich durch Bologna schlemmen kann
„La grassa“ - die Fette - nennen die Italiener ihr Bologna. Der Tourist hat es gut: Neben jeder Attraktion wartet eine Köstlichkeit.
In der Via Pescherie Vecchie 3/e hängt ein rotbrauner Boxsack von der Decke. Daneben baumeln, zu dichten Trauben gebunden, zwei Dutzend birnenförmige Punchingbälle. An Sportgeräten wie diesen trainieren Faustkämpfer gern ihre Schlagkraft und Kondition. Doch das hier ist kein Boxcamp, sondern ein Restaurant, das „Zerocinquantino“. Ungläubiges Staunen, dann nähergetreten und mit den Fingerknöcheln gegen den Sack geklopft. Eine Kellnerin kichert und sagt: „Alles echt, eine Mortadella. Sie wiegt 115 Kilogramm und wird bald angeschnitten, dafür hängen wir eine neue auf.“ Ein Monstrum von Wurst. Und die Punchingbälle entpuppen sich als eingewickelte Schinken, die den Gästen nach und nach serviert werden. Merkwürdiges Bologna.
Duft von Küchen und Kaffee durchweht die Gassen
Links und rechts vom essbaren Boxsack stapeln sich in den Geschäften glitzernde Fischleiber, goldgelbe Käselaibe, knusprige Brotberge neben farbenprächtigem Gemüse und Obst, Männer in Metzgerkluft schleppen blutige Fleischbrocken auf den Schultern. Bei „Paolo Atti & Figli“ (Via Caprarie 7), einem antiken Laden mit Marmorboden und geschnitztem Holztresen, verkaufen sie seit 1886 hausgefertigte Delikatessen. Um die Ecke im „Sfoglia Rina“ (Via Castiglione 5/b) werden die frischen Tortellini und Tagliatelle präsentiert wie Edelsteine oder Armbänder bei Swarovski, selbstverständlich kann man die Pasta auch vor Ort verspeisen.
Überhaupt wird, vor allem in diesem Teil der Stadt, von früh bis spät getrunken, gekaut, Eis geschleckt, gelacht, sich zugeprostet. Duft von Küchen und Kaffee durchweht die Gassen. Und mit jeder Stunde wird einem klarer, warum Bologna „la grassa“ genannt wird, die Fette.
Das alles lässt sich spielend zu Fuß erkunden. Denn ein weiser Rat hat im frühen Mittelalter angeordnet, die Häuser müssten, um Wohnraum zu schaffen, die Bürgersteige überdachen. So ziehen sich bis heute gut 40 Kilometer Bogengänge (die sogenannten portici) durch die Stadt, ein Traum für schwach pigmentierte Flaneure, die stundenlang im Schatten herumstromern können und nebenbei Paläste, Hinterhöfe, Eisdielen oder Kirchen entdecken.
Alles da für Kopf und Bauch
Dieser Verkehr hier, sehr unitalienisch. Nach elf Tagen (geschworen beim flüssigen Blut des Heiligen Gennaro von Neapel!) ist die erste Autohupe zu hören, und das auch nur, weil ein Busfahrer drei leichtsinnige Jungs vor einem frühen Tod bewahren wollte. Ansonsten dominieren Fahrräder. Sie sehen allesamt aus, als wären sie kürzlich aus einem Kanal in Amsterdam gefischt worden: mit einer ansehnlichen Rostschicht überzuckert. Gesteuert werden sie mit mediterraner Somnambulität.
Es wirkt ein wenig, als würden die Radler an einem wissenschaftlichen Feldversuch teilnehmen, bei dem ermittelt wird, wie langsam man sich fortbewegen kann, ohne umzukippen. Weitere Studien zum Thema lassen sich in der Via de’ Coltelli 21 treiben. Dort werkelt Claudio Gironi in einer winzigen Reparaturwerkstatt, etwa 120 Räder sind da wie Kletten miteinander verklebt; ab und an hängt er ein Pappschild ins Fenster, nun ginge wirklich keine Speiche mehr rein.
Das mit den Fahrrädern mag an den Studenten liegen. Beinahe ein Viertel der 400 000 Einwohner besucht die Universität, 1088 gegründet und damit die älteste Europas. Das erklärt nicht unbedingt die hohe Dichte an Eisdielen, aber die an teils sehr spezialisierten Buchhandlungen (ganz nebenbei hatte Bologna mal die höchste Dichte an Klöstern in Italien, von denen inzwischen die meisten säkular genutzt werden). Und ganz allmählich wird einem klar, warum die Stadt auch „la dotta“ genannt wird, die Gelehrte.
Senf und Sartre, Grisham und Grissini
Es gibt einen Ort, an dem die Fette und die Gelehrte aufs Wunderbarste verschmelzen. Das „Ambasciatori“ (Via degli Orefici 19) war bis vor zehn Jahren ein Kino, seitdem gibt es auf drei Etagen Lektüre und Kulinarisches zu kaufen, wild gemischt. Weinladen, Café, Tausende von Büchern, Osteria, Feinkost. Senf und Sartre, Umberto Eco (er lehrte an der Uni) und Essig, Grisham und Grissini, Moleskin und Malvasia, Reiseführer und Reis.
Alles da für Kopf und Bauch. Mit diesem Motto können die Streifzüge durch Bologna beginnen. Wo immer es etwas Interessantes zu sehen gibt, sind es zur nächsten Schlemmerei nur wenige Schritte. Und so lässt sich diese Stadt am besten paarweise erklären, jeweils eine touristische Entdeckung und eine kulinarische Besonderheit zusammen.
Zum Wein darf man sein Essen mitbringen
Jesus & Der Kommissar
Die Gesichter sind verzerrt vor Verzweiflung und Entsetzen. Sechs fast lebensgroße Terrakottafiguren stehen um den toten Christus, eine Szene von erschütterndem Realismus. Drei Mal wurde der Ton gebrannt und dann bemalt, doch die Gruppe der „Beweinung“ befand sich seit der Renaissance lange im Freien, die Farbe ist abgewaschen. Nun stehen die Figuren in der Kirche Santa Maria della Vita, an der linken Wange von Maria Magdalena ist noch ein roter Farbtupfer zu sehen. Der Künstler Niccolò dell’Arca soll zuvor in Krankenhäusern Mimik und Gestik von Trauernden und Leidenden beobachtet haben. Glaubt man sofort.
Ein Messingschild mit seinem Namen, auf den kleinen Holztisch im Hof der Kneipe geschraubt, erinnert an „Commissario Tonino“, einen legendären Schluckspecht. Der Beamte war häufiger in der „Osteria del Sole“ (Vicolo Ranocchi 1/d) als an seinem Schreibtisch in der Questura und trank munter Merlot. Seit 1465 schenken sie hier Wein aus, das Lokal finster, die Wände bedeckt mit Fotos und Zeichnungen, alte Männer spielen Karten, im winzigen Hof blättert der Putz auf Plastikkisten und auf ranziges Mobiliar herunter. Ein Schild ermahnt „Auf den Boden spucken verboten“.
Über der Eingangstür der Osteria steht kaum erkennbar „Vino“. Tagsüber findet man klösterliche Ruhe, 20 offene Weine werden angeboten, und wie in bayerischen Biergärten darf man sein Essen aus den umliegenden Feinkostläden mitbringen. In der „Salumeria Simoni“, Via Drapperie 5/2a, verkaufen ältere Herren mit Weste, schwarzer Krawatte und weißer Mütze Antipasti, Käse oder Wurst, jede Bewegung zeigt souveräne Grandezza, Auswahl wie Qualität der Lebensmittel sind grandios.
Am Abend wachsen die Zahl der Besucher und der Lärm munterer Zecher ins Infernalische. Damit Gaffer nicht das Gässchen verstopfen, steht da „Der Eingang ist für die reserviert, die Wein, Bier und Champagner trinken“. Nutzt nichts. Auf einigen der aufgehängten Fotos ist der vor wenigen Jahren verblichene Commissario Tonino zu sehen, ein Herr mit Schnauzer und hoher Stirn. „Schade“, sagt der Wirt, „vor fünf Minuten ist der beste Saufkumpan des Commissario nach Hause gegangen, der hätte Ihnen Geschichten erzählen können.“ Und gießt zum Trost noch ein Glas ein.
Schöne Aussicht & Emma
Mit dem Bus 30 oder zu Fuß von der Porta Castiglione den Hügel hinauf zu San Michele in Bosco, einer unbedeutenden Kirche. Der Platz davor bietet die wohl beste Aussicht auf die Stadt, ein breites Panoramafoto mit Markierungen hilft bei der Orientierung. Man begreift rasch, warum die Stadt auch „la rossa“ heißt, die Rote. Überall Backstein und Ziegel, Ziegel und Backstein.
Bolognas Eisdielen lassen sich grob in zwei Stile des Designs einteilen: cool oder nostalgisch. Die „Sorbetteria“ (Via Castiglione 44/d) ist ebenso cool, viel Weiß und Glas, wie traditionsreich. Die mit einem ® gekennzeichneten Sorten sind eigene Kreationen, etwa Dolce Emma aus Ricotta, karamellisierten Feigen und Traubensaft. Bisweilen entsteht kurz vor Mitternacht noch eine endlos lange Schlange, als sei’s das Berghain. Kein Türsteher.
Terror & Kochkunst
Wer auf den Bahnhof schaut, ist verwirrt. Links und rechts am neoklassizistischen Gebäude hängen Uhren, doch bei der linken verharren zu jeder Tages- und Nachtzeit die Zeiger auf 10.25 Uhr. Am 2. August 1980 detonierte zu dieser Minute eine Bombe und riss 85 Menschen in den Tod, die Uhr blieb stehen. Was zuerst den Roten Brigaden zugeschoben wurde, erwies sich als Anschlag von Neofaschisten. Auf einer unscheinbaren Glastafel sind Namen und Alter der Opfer verewigt: „Um nicht zu vergessen“.
Von hier aus wenden sich alle Besucher nach Süden, ins historische Zentrum. Doch jenseits der Gleise wartet die „Trattoria di Via Serra“ (Via Luigi Serra 9/b). Drei kleine Räume, Wand und Boden helles Holz, eine Tafel zeigt handschriftlich die Tagesgerichte, auf einer anderen liest man „Die Trattoria di Via Serra ist nur eine einfache Trattoria“. Würde das stimmen, stünde es nicht da.
Wenige Minuten nach Öffnung ist das Lokal knallvoll, der Chef erklärt in Englisch für alle Gäste die Speisekarte, auf der steht die Liste der Lieferanten von Käse, Olivenöl, Mehl, Kartoffeln … Ein Liter Hauswein zu zwölf Euro. Auf dem Teller ein ausgelöstes und mit Kräutern mariniertes Huhn, in seiner eigenen Haut zu einem Päckchen verschnürt und bei hoher Hitze im Ofen gegart, saftig wie eine reife Birne. Kartoffelscheiben kross, Spargel knackig. Wer nicht viele Tage vorher reserviert, hat keine Chance.
Das müsste jeder Mensch vor seinem Tod probiert haben
Wein & Gesang
Sie spielen Chopin, Brahms und Mendelssohn Bartholdy, sie singen Puccini, Mozart und Bizet. Auf der Bühne ein schwarzer Flügel, dahinter eine wuchtige Orgel, an der hohen Decke Kronleuchter und Trompe-l’oeil-Malereien, schließlich war dies mal ein Kloster. Es sind Schüler des Conservatorio di Musica (Piazza Rossini 2), die regelmäßig Konzerte geben, Eintritt frei. Entweder geht man vorbei und fragt nach Terminen oder man klickt sich über www.consbo.it auf Concerti. Es lohnt auch, sich im nahen Teatro Communale nach Konzerten der Talente zu erkundigen.
Schaut aus wie eine Kreuzung aus ehrwürdiger Apotheke und Beichtstuhl, rötlicher Terrazzoboden, Tresen und Regale aus dunklem Holz, Marmorplatten. Ist trotzdem die Weinhandlung „Antica Drogheria Calzolari“ (Via G. Petroni 9). Sie sagen, auf Lager hätten sie 2000 verschiedene Weine, nur ein Bruchteil davon ist im Laden zu sehen. Wenn man jedoch erklärt, welche Geschmacksrichtung einem behagt und wie viel es kosten darf, verschwindet jemand in den Katakomben und taucht mit Flaschen wieder auf. Ecco, das würden wir empfehlen! Die Trefferquote ist beachtlich.
Wachsfiguren & Bergamotte
Die meisten gehen in den Palazzo Poggi, um die berühmten Wachsfiguren zu bewundern. Kaum jemand geht ins Istituto di Anatomia Umana Normale (Via Irnerio 48). Im ersten Stock gibt es, kostenlos und wochentags von 10 bis 14 Uhr, zu Studienzwecken eine umfangreiche Sammlung von wächsernen Modellen menschlicher Extremitäten und diverser Erkrankungen, Klumpfuß, Lepra, siamesische Zwillinge, Geschwüre und Beulen jedweder Sorte, Schnitte durch Schädel mit feinsten Adern, Sehnen und Muskelsträngen, Knochenteile und innere Organe. Wer das nicht faszinierend und lehrreich, sondern eklig findet …
… geht besser direkt zum „Gelatauro“, dem Platzhirsch der Eismacher (Via San Vitale 98/b). Der Chef lässt einen gerne probieren, bei der Visite reicht er Löffelchen um Löffelchen über den Tresen, am Ende sind es 17 verschiedene Sorten, freundlich referiert er über Kalorien und Bekömmlichkeit. Die britische „Times“ schrieb, dieses Eis gehöre zu den 30 Genüssen, die jeder Mensch vor seinem Tod probiert haben müsste. Etwa Kürbis mit Zimt. Oder Principe di Calabria (Bergamotte, Jasmin, Keks). Grüner Tee. Zabaione mit Mandeln und Rosinen. Composto Italiano (karamellisierte Ananas und Pistazien) und so weiter. Eiskalter Alchemismus. An den Wänden hängen Schaukästen mit alten Dosen und Schachteln, ein Streifzug durch die Geschichte des Verpackungsdesigns.
Malerei & Markt
War schon ein seltsamer Kauz, dieser Giorgio Morandi. Wohnte zeitlebens mit seinen Schwestern in einer Wohnung und verließ diese äußerst ungern. Als Blick auf die Welt genügte ihm ein Blick aus dem Fenster, auf den (noch stehenden) Olivenbaum. Die letzte der Damen verschied 1994, seit einigen Jahren ist die Casa Morandi (Via Fondazza 36) ein picobello Museum.
Das Zimmer, in dem der Künstler unablässig malte, rauchte und auch schlief, ist original erhalten. Ein simples Bettgestell. Ein Stuhl, auf dem ein Hut liegt, über der Lehne ein Jackett und ein Schirm. Pinsel. Papierrollen. Und Vasen, überall Vasen. Das waren die Objekte seiner Begierde. Die hat er arrangiert und gemalt und neu arrangiert und gemalt, wieder und wieder und wieder. Der Vasen-Morandi. Verrücktes Leben, ein Stillleben.
Viele seiner Bilder hängen im MAMBO, dem zeitgenössischen Museum auf der anderen Seite der Stadt. (Das historische Bologna ist kreisrund, um diesen Kreis fahren die Busse 32 und 33 in entgegengesetzte Richtungen, immer am Bahnhof und allen Stadttoren vorbei. Sehr praktisch.)
Wenige Schritte ums Eck liegt die Piazza Carducci, jeden Sonntag ab neun Uhr stehen hier ein Dutzend Marktstände mit laubfroschgrünem Sonnenschutz. Verkauft wird Bioware von Produzenten aus der Umgebung unter der Obhut von Slow Food. Reis, Gemüse, Käse, Wurst, Honig, Brot, Biscotti, Mehl, Butter, das Angebot ist üppig.
Der Morgen startet in der besten Konditorei der Stadt
Partisan & Parmesan
Wem zwischendurch nach politischer Bildung ist, der geht ins Museo Della Resistenza, das Widerstandsmuseum (Via Sant’Isaia 20) im Kloster San Mattia. In vier Räumen wird Geschichte aufgerollt, Fotos, Dokumente, Landkarten, Fallbeispiele. Aus einem Video kräht Joseph Goebbels. Verblüffend: Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs fiel Bologna kurzzeitig an polnische Streitkräfte. Vielleicht hatte der Ironiker Matthias Beltz hier die Inspiration zu seinem Vierzeiler: „Parmesan und Partisan / wo sind sie geblieben / Parmesan und Partisan / alles wird zerrieben“.
Lucio Dallas sonore Stimme ist in der „Osteria Bottega“ (Via Santa Caterina 51) ständig zu hören, der Wirt ist ein Fan und spielt den Sänger in der Endlosschleife. Schon die Gläser (Spiegelau) künden von Stil, und was da auf den Teller kommt, irre: rautenförmige Nudeln (Maltagliati) mit Ragout vom Kaninchen, knackiger Zichorie, schwarzem Pfeffer – süß, salzig, bitter, pikant.
Butterzart gebratenes Kalbsbries in Brotkruste liegt auf einer Creme aus Bohnen und Erbsen, und drüber papierdünn gehobelter Parmesan. Ein mürber Kuchen gefüllt mit einer Paste aus Quitte, Pflaume und Birne. Oh Herr, schenk mir den Magen eines Elefanten!
Goethe & Bio-Eis
Die beiden schiefen Türme, Asinelli und Garisenda, waren bei diesem Besuch gesperrt, doch das macht nichts, denn Goethe war schon mal oben und notierte: „Die Aussicht ist herrlich!“ Jede mächtige Familie des Mittelalters wollte einen hohen Turm haben, ein Zeichen von Macht und Reichtum. Bologna war mit fast 200 Stück voll davon, ein Stadtmodell im Museo Comunale zeigt eine Skyline, die an Manhattan erinnert. Vielleicht um sich abzuheben, ließen zwei Familien ihre Türme schräg bauen. Torre Asinelli ist 97 Meter und 498 Stufen hoch, 2,20 Meter misst die Neigung. Der Geheimrat staunte: „Mit gutem, bindendem Kitt und eisernen Ankern kann man schon tolles Zeug machen.“ Goethe schrieb tatsächlich „tolles Zeug“. Toll.
In die Kategorie coole Eisdielen gehört ganz klar das „Stefino“ (Via San Vitale 37/a), Edelstahl, Glas, großes Schild „Gluten Free“. Alle Zutaten zu 100 Prozent biozertifiziert. Überwiegend vegane Eissorten. Exotisches wie Wasabi, Matcha oder Kurkuma. An der Wand Fotos und Adressen der Lieferanten für Milch, Früchte, Kakao, Zucker ... So viel Transparenz wünschte man sich bei deutschen Autokonzernen.
Jazz & Törtchen
Gleich jenseits der historischen Stadtmauer, zwischen Porta Castiglione und Porta Santo Stefano, liegen die Giardini Margherita, quasi ein kleiner Tiergarten, natürliches Habitat von Joggern, Schulschwänzern und Liebespaaren. Eichen, Zedern, Zypressen, Platanen, Pinien, kleiner See. Am Rand stehen Gewächshäuser, betrieben von „Kilowatt“, einem Mix aus Start-up und Kooperative: Restaurant, Bar, Coworking Space, politisches Programm. Jeden Abend in der warmen Jahreszeit gibt es – umsonst und draußen – einen Film oder Livemusik. Entspannt im Liegestuhl fläzend lauscht man bei Craftbeer den Bands.
Der Morgen danach startet in der besten Konditorei der Stadt, „Regina di Quadri“ (Via Castiglione 73/a). Ofenwarmes Gebäck in vielen Formen, pur, gefüllt mit Cremes oder Schokolade, Törtchen wie Kunstwerke, Kekse, auch Reiskuchen, eine lokale Spezialität. Man schnappt sich seinen Cappuccino und sein Süßfutter und sitzt draußen auf der Straße im luftigen Pavillon.
Chorgestühl & Tortellini
Die Kunst- und Kulturführer von Eckart Peterich begleiten Scharen von Bildungsbürgern seit Jahrzehnten durch Italien, trotz ihrer sprachlichen Verstaubtheit („der Automobilist“) sind sie immer noch lesenswert; dieser universell Gebildete war, heute würde man sagen – ein Nerd. Über Bologna schrieb er verzagt: „Wir dürfen uns von dieser Stadt keine überwältigenden künstlerischen Eindrücke versprechen.“ Es gibt keinen Vatikan und keine Uffizien und keinen Markusplatz, deretwegen Rom, Florenz und Venedig im Touristentsunami untergehen und japsend nach Rettung rufen.
In Bolognas reich bestückter Pinakothek steht man ganz allein vor der heiligen Cäcilia Raffaels (die Goethe angelockt hatte). Auch die Kirche San Domenico hat man fast für sich. Dort alles ignorieren, selbst Michelangelo in einer der rechten Seitenkapellen, und schnurstracks nach vorne zum hölzernen Chorgestühl, einem Renaissancewunder handwerklicher Kunst. Die filigranen Intarsien zeigen Szenen aus dem Alten und Neuen Testament und können einen stundenlang in den Bann ziehen.
Stärkung in der „Trattoria Collegio di Spagna“ (Via Collegio di Spagna 15/b). Auch dort gibt es selbstverständlich keine Spaghetti Bolognese, denn diese Tomatensauce mit Hackfleisch existiert nur für deutschsprachige Zungen. In Bologna essen sie „Tagliatelle al ragù“. Frisch gemachte Pasta mit einem sämigen Schlag gebratenem Fleischbrei, in dem sich Tomaten bestenfalls als Spurenelemente finden. Der Wirt bringt genau das – und eine Flasche Pinot noir mit den Worten, der Wein habe exakt zwölf Grad und werde ja leider meist zu warm getrunken, eine selten zu findende Aufmerksamkeit. Dicke grüne Tortellini gefüllt mit Ricotta, Kräutern und feingehackter Mortadella.
Wie lange haben die Bars nachts geöffnet?
Kanäle & Sorbet
Von den Wasserwegen des Mittelalters ist Bologna nicht viel geblieben. Nur selten erhascht man noch einen Blick darauf. In der Via Piella 16 haben sie in die backsteinfarbene Wand ein Quadrat mit Fensterladen geschnitten, Finestra sui Canali. Putzig, ja, aber diesen paar Meter schmalen Kanal gleich „Klein Venedig“ zu nennen? Leute!
Die Schokolade macht durch ihre Intensität: bumm! Die Sorte Griechischer Jogurt erfrischt wie eine kalte Dusche. Das Limonensorbet erinnert an ein französisches Zwölf-Gänge-Menu, bei dem das vor der Hauptspeise servierte Sorbet einem den Magen aufreißen soll. Der Eisimbiss „Galliera 49“ (Via Galliera 49) war der heiße Tipp einer Eismacherin, die ihre Konkurrenz neidlos empfahl.
Maserati & Naturwein
Bronzeskulpturen verrotten im Freien. In Rom etwa haben sie das Reiterstandbild des Mark Aurel längst durch eine Kopie ersetzt und hüten das Original im Museum. Der Bologneser Brunnen des Neptun bröselt seit fünf Jahrhunderten vor sich hin. Vier Mal wurde er allein im 20. Jahrhundert restauriert, seit vielen Monaten ist der Meeresgott mit seiner Lanze (deren dreizackige Spitze Maserati zum Logo gemacht hat) nun in einen Folienwürfel gehüllt wie einst der Reichstag von Christo. Generalsanierung für geschätzt 15 Millionen Euro. Wer sich nebenan in der Touristeninformation für eine Führung anmeldet, kommt Neptun trotzdem nahe.
In der Weinbar „Medulla“ (Via G. Oberdan 18/a) schenken sie ausschließlich biologische oder biodynamische Weine aus. Skeptiker können aus dem reichhaltigen Sortiment munter gegen ihre Vorurteile antrinken. Die jungen Gastgeber sind unkompliziert. Du hast Hunger? Wir lassen dir eine Pizza kommen, oder du holst dir etwas eine Tür weiter in der Salumeria „Bruno e Franco“. Wie lange wir nachts geöffnet haben? Solange Wein im Glas ist.
Panorama & Pasta
Der Weg hinauf zur Madonna di San Luca führt fast vier Kilometer unter einem Bogengang entlang. Anfangs blickt man direkt ins Stadion des FC Bologna. Dort halten sie bei Heimspielen in der Fankurve ein Transparent mit einem aufgemalten Blondschopf in die Höhe. Das Konterfei von Helmut Haller, genannt „il biondo“. Die letzte Meisterschaft hat der Verein mit dem deutschen Nationalspieler geholt, 1964 war das. Kultische Verehrung genießt er immer noch.
Oben in der Basilika, 130 Stufen zur Aussichtsplattform. Am Horizont schimmert Modena. Der Monte Cimone, höchster Berg der Emilia-Romagna. Die Apenninen, das Gebirge wälzt sich in Richtung Florenz.
Ausgangspunkt des Spaziergangs war der Arco del Meloncello, ein kitschiges Stück Rokoko. Schräg gegenüber liegt die Haltestelle der Buslinie 20 ins Stadtzentrum und die „Trattoria Meloncello“ (Via Saragozza 240/a), die mit einhundertjähriger Tradition und verrumpeltem Interieur erfreut. Aber: Tischdecken und Servietten aus Stoff. Die Wände sind geradezu museal mit Bilderrahmen bestückt, mit handschriftlichen Elogen, Autogrammen, Fotos und Zeichnungen von italienischen Prominenten. Die tafeln hier, wenn sie ihren Auftritt im Stadion hinter sich haben.
Wo der Name Meloncello herkommt? Achselzucken. Nicht von Melonenlikör. Der Koch meint, es könnte mal einen Fluss dieses Namens gegeben haben. Am Nebentisch bekommt ein Mädchen fürs Quengeln eine saftige Kopfnuss. Schüchterne Frage: Ob man zwei Mal Pasta bestellen könnte, ohne als Barbar durchzugehen? Die Wirtstochter lacht und sagt, so esse sie auch meistens. Im tiefen Teller schwimmen 31 goldgelbe Tortellini in einer leichten Brühe mit Fettaugen.
Trödel & Barbara
Drei Dinge sind an der Kirche San Francesco bemerkenswert. Die von keinem barocken Mumpitz verschandelte schlichte Würde, pure Gotik. Der fein ziselierte Marmoraltar. Und der Kreuzgang des Klosters, in dem jeden Tag ein Trödel, der Mercatino Dell’Usato, aufgebaut wird. Unter den Steinreliefs mit religiösen Motiven lauter Kleiderständer, Puppen, Bücher, Töpfe, Krimskrams. Ab und an schlurft sogar ein Kuttenträger vorbei und schaut, ob er ein Schnäppchen machen kann.
Zum Haupteingang raus und über den Platz liegt die „Cremeria San Francesco“ (Piazza San Francesco 1/b). In dem cool-nostalgischen Amalgam drückt Barbara ihr Eis in Becher und Waffeln. Das Sole di Sicila ist eine schmelzige Cassata, so leicht, als sei Eischnee daruntergehoben. Das Geheimnis? 30 Prozent Ricotta. Sorte für Sorte wächst die Verehrung, und als sie mit Lobpreisungen überschüttet wird, sagt sie: „Ich verkaufe und ziehe aufs Land.“ Himmel, nein! Doch, sagt sie und streckt einem ihre nackten Arme entgegen (Farbe: Fior di latte), sie sei berufsbedingt seit mehr als zehn Jahren ohne Sonne und entsetzlich bleich, das ginge so nicht weiter, sie wolle nicht mehr.
Schnell zurück ins Gotteshaus gelaufen und beim Heiligen Franz eine Kerze angezündet mit der Bitte, er möge dieses Unheil abwenden.
Nur 17 Tage lang streifte der Autor durch die Hauptstadt der Emilia-Romagna auf der Suche nach kulturellen wie kulinarischen Besonderheiten. Fand er per Zufall welche, fragte er: Wo schmeckt es Ihnen? Kennen Sie etwas Interessantes? Ehe die besten Paare für diesen Text destilliert waren, mussten Dutzende von Kirchen, Restaurants, Konzerten, Gelaterien, Parks und Geschäften besucht werden. Im Notizblock: allein 22 Varianten von Schokoladeneis, elf Mal Tortellini. Beim Einchecken zum Rückflug war der Autor froh, dass nur sein Gepäck auf Übergewicht kontrolliert wurde.
Reisetipps für Bologna
Hinkommen
Ryanair fliegt nonstop nach Bologna von Schönefeld (ab 35 Euro ohne aufgegebenes Gepäck). Einmal umsteigen muss man mit der Lufthansa oder Austrian Airlines von Tegel (ab 180 Euro).
Unterkommen
Nahe der Fußgängerzone und fünf Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt liegt das moderne Royal Hotel Carlton. Das Vier-Sterne-Haus kostet ab 130 Euro pro Nacht im Doppelzimmer. Zu buchen unter royalhotelcarltonbologna.com
Info
Alles Wissenswerte über die Region gibt es unter emiliaromagnaturismo.it