Holländischer Käse: Gelb-Fieber
Das Gastland der Frankfurter Buchmesse kann nicht nur große Literatur – sondern auch Käse. Gouda schmeckt richtig gut, wenn es der richtige ist.
Arnon Grünberg zog in den Krieg. Als „embedded journalist“ begleitete er niederländische Soldaten nach Afghanistan. Vor ihm im Flugzeug saß Sergeant Jordy. Jordy hatte seine eigene Munition mitgebracht: holländischen Käse. Der Käse, erklärte der Soldat, werde zwar flüssig in der Hitze Afghanistans, aber das mache nichts, das gute Stück sei ja eingeschweißt, im Kühlschrank werde es wieder fest. Mit einem Faustschlag pflegte Sergeant Jordy ihn in Form zu bringen.
„Die Welt roch nach Schlachthaus“, notiert der Schriftsteller Arnon Grünberg in seiner Reportage „Prélude zum Glück“. „Doch in der KDC-10 der niederländischen Luftwaffe roch es nach Käse.“
In Grünbergs niederländischer Heimat gibt es ihn morgens, mittags, abends und zwischendurch, gehobelt, gewürfelt oder gebröckelt, kalt aufs Butterbrot oder geschmolzen im Tosti, mit Nüssen oder im Fondue, jung oder alt, pur oder extravagant gewürzt, mit Brennesseln, Bockshornklee, Kümmel, Nelken, Knoblauch oder Schnittlauch.
Auch auf der Frankfurter Buchmesse, deren Gastländer die Niederlande und Flandern sind, wird’s Gouda geben. Nachdem Grünberg am Dienstag die literarische Eröffnungsrede gehalten hat, wird im niederländischen Pavillon „Beemster“ kredenzt. Der „Premium-Gouda“ aus der gleichnamigen Polder-Region in Nord-Holland, den man nur frisch an der Käsetheke, nicht eingeschweißt bekommt, steht auch bei der Königsfamilie auf dem Tisch.
Käse, der kracht
Literarisch sind die Niederlande schon lange anerkannt. Kulinarisch hat das Land ein Imageproblem: Gewächshaustomaten, Fritten, Kroketten und Lakritz – damit kann man nicht unbedingt Sterne gewinnen. Und dann Edamer und Gouda. Kinderkäse!, schimpfen die Snobs und rümpfen ihre von französischen Produkten verwöhnten Nasen. Riecht nach nix und schmeckt nach nix.
Was für Ignoranten. Haben wohl noch nie einen echten Holländer probiert, üppigen, cremigen, karamelligen Rohmilch-Gouda. Käse, der kracht – wenn man auf die charakteristischen Kristalle der gereiften Exemplare beißt.
So kann man ihn im Kreuzberger Fine Dining Restaurant Lode & Stijn kosten. Dort würzen Lode van Zuylen und Stijn Remi ihren Salat mit geriebenem Gouda. (So gut, dass die Kritikerin der „Süddeutschen Zeitung“ sich gar nicht fassen konnte vor Glück.) Sie setzen ihn auf die Käseplatte, dazu gibt’s schon mal Appelstroop, Apfelkraut aus eingekochtem Apfelsaft.
Kaufen kann man guten Gouda bei Ivo Knippenberg, der in jungen Jahren selber in den Niederlanden Käse gemacht hat. An seinen Berliner Marktständen, etwa in der Marheinekehalle, hat der Händler zwischen Pecorino, Roquefort und Alpenkäse immer auch ein paar Holländer liegen. Kräftigen Gourmet Superieur zum Beispiel, von einer Bauernkooperative hergestellt, beim Affineur gereift.
Gouda ist gut für Allergiker
Echter Käse aus Holland: Das ist es, was Frau Antje den Deutschen seit 55 Jahren anpreist. Nur greifen viele Germanen zu falschem Käse. Der Gouda, der, in Plastik eingeschweißt, im Regal der Supermärkte und Discounter liegt, ist im Zweifelsfalle gar kein Holländer. Die Deutschen stellen nämlich mehr Gouda (277 600 Tonnen) und Edamer (223 400 Tonnen) her als die Niederländer. Die produzieren lediglich 250 000 Tonnen Gouda und gerade mal 14 5000 Tonnen Edamer.
Gouda ist ein ungeschützter Begriff. Den Käse zeichnet aus, dass der Bruch bei der Herstellung kurz mit warmem Wasser abgewaschen wird, was dazu führt, dass er – gute Nachricht für alle Allergiker – kaum Laktose enthält. Charakteristisch ist die Karamellnote, ein Grund, warum Kinder den Holländer so lieben.
Gouda stammt auch nicht aus der Stadt, deren Namen er trägt, dort wurde er nur ursprünglich gehandelt. Man sollte sich von Ortsnamen ohnehin nicht täuschen lassen. Leerdamer und Maasdamer, leicht zu erkennen an ihren großen Löchern, sind eine Neuerfindung aus den 1970er beziehungsweise 1980er Jahren. Auch Old Amsterdam stammt nicht aus Amsterdam, sondern ist ein Markenname der Firma Westland. Es gibt ihn erst seit rund 30 Jahren, während Käse in den Niederlanden bereits seit 800 v. Chr. hergestellt wird. Exportiert wird er seit dem 17. Jahrhundert, das als Goldenes Zeitalter gilt.
Aroma braucht Zeit
Seit ein paar Jahren geschützt sind allein Noord-Hollandse Gouda und Gouda Holland als geografische Ursprungsbezeichnungen der EU. Der darf nur aus der Milch von holländischen Kühen gemacht werden. Man schmeckt den Unterschied: Wind, Wetter und Wiese, das Meersalz aus der Luft und das nasse Gras geben dem holländischem Käse das gewisse Etwas. Kenner sprechen gar, wie beim Wein, von Terroir.
Hinzu kommt der natürliche Geschmacksverstärker Zeit. Je jünger der Käse, desto milder, je älter, desto intensiver, lautet die einfache Formel. Man unterschiedet im Allgemeinen zwischen sechs Altersstufen beim Gouda: jong, jong belegen, belegen, extra belegen, oud und overjarig – „überjährig“, also mehr als ein Jahr lang gereift.
Wer auf Nummer sicher gehen will, greift beim Gouda zu Boerenkaas. Ein amerikanischer Händler hat ihn als den Käse beschrieben, den die Holländer selber essen. Er wird vom Bauern, also nicht industriell in der Fabrik, selbst gemacht, aus der frischen Rohmilch der eigenen Kühe statt aus pasteurisierter Milch.
Die Bauernfamilie Van de Voort zählt auf ihrer Website auf, was ihr preisgekrönter Remeker (den man bei Ivo Knippenberg in Berlin bekommt) alles nicht enthält: Kunstdünger, Pflanzenschutzmittel, Impfstoff, Entwurmer, Antibiotika, aufbereitetes Futter, synthetische Vitamine, Kraftfutter, Kalziumchloride, Salpetersäure, synthetisches raffiniertes Salz im Übermaß. Stattdessen: Milch von besten Jersey-Kühen und wenig Salz.
So wie ein Gutteil des Billigkäses aus dem Supermarktregal ist auch die berühmteste Holländerin ein deutsches Produkt: Frau Antje wurde als Kunstfigur zu Werbezwecken anno 1961 im niederländischen Büro für Molkereiprodukte in Aachen auf den vermeintlich holländischen Namen getauft. Das wandelnde Klischee in Rot-Weiß-Blau, von den blonden Zöpfen unter der weißen Haube bis zu den Füßen, die in Holz-Klompen stecken.
Die Deutschen wollen betrogen werden
Es hat funktioniert. Der Absatz boomte, die Werbeikone wurde so berühmt wie der Weihnachtsmann: Briefe an „Frau Antje, Aachen“ kamen an. Frau Antje (die den Niederländern außerordentlich peinlich ist) brachte die deutsche Hausfrau auf die Idee, den gut schmelzenden Gouda auf den Toast Hawaii zu legen. Den Jingle dazu „Frau Antje bringt Käse aus Holland“ dachte sich der Jazzmusiker Klaus Doldinger aus.
Dass Frau Antje im Laufe der Jahrzehnte von verschiedenen Darstellerinnen verkörpert wurde (eine verlor ihren Job, weil sie sich für den „Playboy“ auszog), hat keine Rolle gespielt. Hauptsache, sie war da. Als sie einmal in die Mottenkiste gesteckt wurde, musste sie schnell wieder rausgeholt werden. Die Deutschen wollten ihre Frau Antje wiederhaben! Inzwischen hat sie sogar ihren eigenen Käse, Frau Antje Pikantje, mittelalter Gouda, mindestens vier Monate gereift.
Die Deutschen wollen betrogen werden. Deswegen strömen sie auch in Scharen zum Käsemarkt im nordholländischen Alkmaar, der vom Frühjahr bis Herbst jeden Freitagmorgen stattfindet. Der Weg ist leicht zu finden. Immer den Massen nach. Der Markt war einmal ein wichtiger Umschlagplatz, auf dem Hunderte von Bauern ihre Güter anboten; heute ist er Folklore. Lustig sieht es aus, wie die Männer ihre mit Käse beladenen Gondeln im Laufschritt schaukeln. Das ganze Schleppen und Prüfen und Verhandeln und Wiegen – reine Show für Touristen, aufgeführt von Veteranen des Geschäfts. Die wagenrädergroßen Gouda, jedes ungefähr zwölf Kilo schwer, stammen von zwei Produzenten. Der eine, Friesland Campina, gehört zu den internationalen Giganten der Branche, auch Landliebe ist Teil davon.
Reif fürs Museum
Immer noch echt ist der Stolz der Männer, zur Gilde der Käseträger zu gehören, die 1593 gegründet wurde. Es ist ein Ehrenamt; wer es ausfüllen will, muss erst zwei Jahre als Lehrling bestehen. Nicht bei jedem macht der Rücken mit.
Gleich neben dem Markt liegt das holländische Käsemuseum, in dem die Besucher zwei historische Edamer bestaunen können, die aussehen wie Jahrhunderte alte Kanonenkugeln oder wie ein Kunstwerk von Joseph Beuys: „De laatste Edammers uit enkele Noord-Hollandse cooperatieve fabrieken“, heißt es traurig auf der Beschriftung. In den Niederlanden ist der kleine kugelige Käse heute fast ganz verschwunden.
Was nicht allein eine Frage des Geschmacks ist (Edamer hat weniger Fett als Gouda), sondern vor allem mit der industriellen Herstellung zu tun hat: die großen flachen Gouda-Wagenräder lassen sich leichter stapeln und von Robotern wenden. Hersteller, die es sich noch leichter machen wollen, produzieren von vornherein eckigen Käse.
Den Käse gibt’s bei www.knippenbergs.de.