zum Hauptinhalt
Im Zentrum von Parma.
© Reuters

Italien: Glanz und Elend von Parma

An dieser schönen Stadt lässt sich exemplarisch die italienische Misere studieren. Der Musterkonzern Parmalat: pleite. Der neue Bürgermeister: aus der Wutbewegung. Der Fußballklub: seit Donnerstag am Ende.

Schlaraffenland. Die Gassen rund um den Markt auf der Piazza Ghiaia quellen über von Köstlichkeiten. Da gibt es edle Parmaschinken von den Hügeln zwischen der fetten, flachen Emilia Romagna und dem ligurischen Meer. Oder Parmigiano, seit dem 12. Jahrhundert Italiens berühmtester Edelkäse. Feilgeboten wird feiner Aceto Balsamico aus dem Nachbarort Modena, dazu Berge von Artischocken, Saubohnen, würzigem Fenchel, seltenen Salatsorten. Und Pasta, natürlich. Der Nudelriese Barilla produziert vor den Toren der Stadt, doch in Parma mag man die Teigwaren handgemacht, aus feinen Manufakturen.

Wie überhaupt alles in dieser 178 000-Einwohner- Stadt klein und fein ist. Die Altstadt mit ihren pastellfarbenen Rokokohäusern, das herzogliche Schloss mit dem Park, in dem jetzt die Krokusse und Narzissen blühen. Das Teatro Regio, eines der schönsten Musiktheater Italiens – schließlich wurde in der Nähe der Opernzar Giuseppe Verdi geboren. Die verschwenderisch ausgestattete alte Gewürzhandlung im Kloster San Giovanni Evangelista, ein Prunkstück selbstbewusster Wissenschaft irgendwo zwischen Pharmazie und Alchemie. Kein Wunder, dass in Parma das Parfüm Acqua di Parma entstand, die feinere und teurere Cousine des Kölnisch Wassers. Und die Violetta di Parma, der Lieblingsduft von Herzogin Marie-Louise von Österreich.

Beides selbstverständlich zu erstehen in den nostalgischen Parfümerien im Schatten des achteckigen Baptisteriums, seinerseits ein filigranes Kunstwerk aus rosa Marmor. Unweit davon erhebt sich die aus Abermillionen gelber Ziegelsteine gebaute Zitadelle, die schier übervoll ist mit Werken der Parmenser Maler Parmigianino und Correggio. Und von den 700 000 Büchern und der riesigen jüdischen Manuskriptsammlung der grandiosen Biblioteca Palatina. Nur die „Kartause von Parma“, vom französischen Schriftsteller Stendhal eindringlich beschriebenes Kloster, die gibt es nicht. Ein Fantasiekonstrukt. Was hingegen existiert und sich über die Jahrhunderte fortsetzt, ist Parma als Pars pro toto der reichen norditalienischen Provinz, in der das süße Leben aufgeführt wird wie in einem Hoftheater. Und hinter den Kulissen Intrigen und Verrat, Glücksritter und Hochstapelei.

Stalingrad. Ausgerechnet dieses Kleinod, ein Kaleidoskop von Kunst, Kultur, Kulinarium, wurde von Beppe Grillo zur Frontstadt erklärt, als der bärtige Komiker in die Politik ging. „Parma ist unser Stalingrad. Wenn diese Stadt an uns fällt, erobern wir auch Rom“, sprach Grillo. Prompt wurde sein Kandidat Federico Pizzarotti mit über 60 Prozent zum ersten Bürgermeister der Fünfsternbewegung („5 Stelle“) in einer Provinzhauptstadt gewählt. Vor drei Jahren war das. Seither musste der Bürgermeister ein Wahlversprechen nach dem anderen zurücknehmen. Etwa, den verhassten Euro durch jenen Gold-Dukaten zu ersetzen, der einst im Herzogtum von Parma und Piacenza Währung war. Oder, sehr viel prosaischer, die Müllverbrennungsanlage vor den Toren der Stadt zu verhindern. Beides erwies sich als unmöglich. Sein Amtsvorgänger, ein Berlusconi-Mann, hatte dem Grillino 800 Millionen Euro Schulden hinterlassen.

Als erster Amateurpolitiker der „5 Stelle“-Bewegung wurde Pizzarotti mit der Realität politischer Arbeit konfrontiert. Als Erster überwarf er sich folgerichtig mit Grillo, der wie jeder Populist alle Tatsachen notorisch meidet. Und anstatt die neue Lehre von der italienischen Autarkie, dem Ausstieg aus dem Euro und dem Hochgeschwindigkeitszugnetz schon mal auf lokaler Ebene umzusetzen, muss sich Pizzarotti aktuell mit der peinlichsten Pleite im italienischen Fußball herumschlagen. Er, der eigentlich ein Feingeist ist und auf dem Fensterbrett hinter seinem Schreibtisch im historischen Rathaus Küchenkräuter zieht.

Die Mutter aller Pleiten: der Lebensmittelkonzern Parmalat

Beppe Grillo und Federico Pizzarotti (rechts), der vor drei Jahren Bürgermeister von Parma wurde..
Beppe Grillo und Federico Pizzarotti (rechts), der vor drei Jahren Bürgermeister von Parma wurde.
© Laif

Pannen. Die Mutter aller Pleiten und Betrugsskandale ereignete sich im Winter 2003, als der Lebensmittelkonzern Parmalat Bankrott ging, damals einer der größten in ganz Europa. Ein Loch von acht Milliarden Euro, tausende betrogener Kleinanleger, eine schockierte, gedemütigte Stadt. Parmalat war zuvor ein Juwel Parmas gewesen, finanzierte die Kultur und den Fußballklub AC Parma, der drei Europapokale in die kleine Stadt gebracht hatte: 1993 den der Pokalsieger, 1995 und 1999 den Uefa-Cup. Da spielten große Talente in Parma, der Franzose Lilian Thuram, die Italiener Gianluigi Buffon und Fabio Cannavaro, allesamt spätere Weltmeister. Brasilianische und argentinische Spieler wurden in die Stadt geholt, als Werbeträger für die Parmalat-Milchprodukte auf dem südamerikanischen Markt. Parma bezeichnete sich selbstzufrieden als piccola Parigi, kleines Paris. Mit besserem Essen natürlich.

Heute sagt Giuliano Molossi, Chefredakteur der 1735 gegründeten Lokalzeitung „Gazzetta di Parma“, er habe das Gefühl, es gehe jetzt steil abwärts mit seiner Stadt: „Und zwar an allen möglichen Fronten. Dass das Stadion geschlossen bleibt, weil kein Geld mehr da ist, um ein normales Fußballspiel zu veranstalten ...“ Es gab schon andere Pleiten im italienischen Fußball, doch keine so dramatische und absurde wie in Parma. Den AC Florenz erwischte es 2001, den SSC Neapel 2004, Lazio Rom wurde im selben Jahr nur gerettet, weil die Politik in der Hauptstadt die Dauerbelagerung organisierter Hooligans fürchten musste. 2013 verlor der AC Siena seine Profi-Lizenz, die Drittligisten Pavia und Venedig behielten sie, weil chinesische und russische Unternehmer die Klubs übernahmen. In den vergangenen 15 Jahren erlebte der einst so glanzvolle Fußball Italiens einen unaufhaltsamen Abstieg und Ausverkauf, wie ja das ganze Land, in dem bis Ende 2011 Silvio Berlusconi politisch dominierte. Berlusconi gehört der AC Mailand – noch, denn er verkauft gerade nach Thailand.

In Parma übernahm 2007 Tommaso Ghirardi, ein bulliger Bauunternehmer, den Verein zu einem Spottpreis vom Konkursverwalter. Es folgten sieben gute Jahre. Parma schaffte den Wiederaufstieg in die Serie A, ergatterte in der vergangenen Saison sogar Platz sechs und damit die Qualifikation für die Europa League. Doch die Uefa verweigerte die Lizenz wegen 300 000 Euro Steuerschulden, an Stelle von Parma rückte der FC Turin nach. Der Anfang der aktuellen Turbulenzen.

Im Dezember 2014 verkaufte Ghirardi den Klub an die albanisch-zypriotische Holding Dastraso Limited. Dahinter stand der Albaner Rezart Taci, ein Bekannter Berlusconis, der die Firma kurz zuvor gegründet hatte. Stammkapital: 1000 Euro. Taci tauchte in Parma nicht auf, zum Klubpräsidenten beförderte er zunächst einen Juwelier, dann einen Anwalt, schließlich eine 29-Jährige ohne jede Erfahrung in irgendeinem Beruf. Diesen Februar verkaufte Taci den Verein weiter an die Mapi-Grup von Giampietro Manenti, Stammkapital 7500 Euro, Stammsitz Nova Gorica, Slowenien. Manenti zahlte für den 1913 als Verdi Football Klub gegründeten Verein einen Euro. Innerhalb von sechs Wochen war der ruhmreiche FC Parma zwei Mal für den Preis eines Cappuccino verschachert worden und hatte fünf Präsidenten erlebt. Man weiß nicht, wer der windigste von ihnen war. Um das herauszufinden, hat die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Der Verdacht: Hinter dem Gemauschel könne die kalabrische Mafia-Organisation ’Ndrangheta stehen, deren Strohmänner mit dem Fußballklub Geldwäsche betrieben.

Ghirardi hatte vor zwei Jahren unfassbare 230 Profis unter Vertrag. Ziel der bulimischen Einkaufskampagne war es, aus diesen 20 kompletten Mannschaften ein oder zwei Riesentalente zu sieben und meistbietend zu verhökern. Einstweilen wurden die vermeintlichen Goldstücke in unteren italienischen Ligen und in Slowenien geparkt, ein neuer Messi war dann doch nicht dabei. Ebenso hektisch, wie die 230 zusammengerafft worden waren, mussten sie also wieder abgestoßen werden. 100 Spieler wurde Ghirardi innerhalb von einem Jahr los, blieben noch 130. Am Ende musste man sie zu Dumpingpreisen anbieten, zuletzt ging der Angreifer Nicola Pozzi für 1000 Euro. Da war schon ruchbar, dass die Spieler von Parma seit Juli kein Gehalt mehr bekamen. Aber erst diesen Februar lösten die ersten ihren Vertrag auf, allen voran Ex-Nationalspieler Antonio Cassano. Andere Gläubiger setzten dem Klub eine Frist. Der Fiskus fordert 16 Millionen Euro, die Angestellten und Lieferanten insgesamt 180 Millionen. Eine gigantische Summe für den kleinen Verein, der seit Saisonbeginn in der ersten Liga einen soliden letzten Platz besetzt. 12 Punkte in 25 Spielen, drei Strafpunkte Abzug – wegen nicht bezahlter Steuern und Gehälter – macht neun. Zuletzt gab es eine 1:4-Klatsche beim Lokalrivalen Sassuolo.

Zum Einzug der Mannschaft spielte immer Verdis Triumphmarsch

Ein Bild aus besseren Zeiten: Parmas Fußballteam.
Ein Bild aus besseren Zeiten: Parmas Fußballteam.
© Picture Alliance

Schurken. Der neue Präsident Manenti ließ alle Fristen verstreichen. Morgen komme die Kohle, beteuerte er jedes Mal, er habe tolle Investoren aus Bulgarien, Russland und den USA akquiriert. Doch an jedem neuen Morgen war kein Geld da. Der Jugendmannschaft und ihrem argentinischen Trainer Hernan Crespo, einst strahlender Stürmer bei Parma, Lazio Rom, Inter Mailand und Chelsea London, wurde das warme Wasser für die Duschen abgedreht. Die beiden Mannschaftsbusse wurden konfisziert und versteigert, die Trainerbänke ebenso abmontiert wie die Schränke der Umkleidekabine. Ein Fan ersteigerte das Mobiliar für 2000 Euro und schenkte es der Mannschaft und ihrem Coach Roberto Donadoni zurück. Donadoni war mal italienischer Nationaltrainer. Er bleibt stoisch, genau wie sein Kapitän Alessandro Lucarelli und die Mannschaft. „Es muss irgendwann wieder besser werden“, glaubt Donadoni. Dabei konnte er zu zwei Spielen nicht antreten. Ein Match in Genua fiel wegen starken Regens aus. Das zweite, in Parma, weil die Ordner des Stadions nicht bezahlt werden konnten.

Erst als der Ligaverband einen Vorschuss von fünf Millionen Euro gewährte, konnte in Parma wieder Profifußball gespielt werden. Zum Einzug der Mannschaft wurde wie stets der Triumphmarsch aus Verdis Oper „Aida“ gespielt. Das Stadion war voll, als gehe es gegen Juventus Turin, dabei trat nur Atalanta Bergamo an. Die Partie endete torlos, die Ticketeinnahmen wurden umgehend konfisziert. Und Kapitän Lucarelli sagte: „Wir spielen einfach weiter, so lange es geht. Wir lassen Fans und Klubangestellte nicht im Stich.“

So lange es geht. Bürgermeister Pizzarotti hatte da bereits den Präsidenten Manenti in seinem Amtszimmer empfangen und den Fußballmann nach einer knappen halben Stunde rausgeworfen. „Mit dieser Person rede ich nicht mehr“, verkündete Pizzarotti später, es klang angeekelt. Auf der Straße wurde Manenti von gut gekleideten Bürgern bespuckt; die Leute fühlen sich und ihre schöne Stadt betrogen, verraten und verkauft. Seit vergangenem Mittwoch nun der gesteigerte Irrsinn: FC-Präsident Manenti (seit sechs Wochen im Amt) wurde von der Finanzpolizei verhaftet, Razzien in 60 Wohnungen, Vorwurf: Geldwäsche; seit Donnerstag ist der Klub offiziell insolvent, Zukunft unklar.

Rattenfänger. Die oberen Zehntausend hüllen sich in Schweigen. Barilla investiert lieber in seine Stiftung für eine bessere Welternährung als in einen hoffnungslos überschuldeten Fußballklub. Das Konsortium für Parmaschinken und der Verband der Parmigiano-Käser sind viel zu solide für das Himmelfahrtskommando von Kapitän Lucarelli. Acqua di Parma ist längst nach Mailand umgezogen. Auch von Bürgermeister Pizzarotti hat sich das bessere Parma naserümpfend abgewandt. Aus den 800 Millionen Euro Schulden sind 700 Millionen geworden, keine überzeugende Vorstellung. Dem Flughafen droht die Schließung, das Teatro Regio hat nur noch ein kleines Programm, der Biblioteca Palatina hat das Kulturministerium in Rom gerade den Direktorenposten gestrichen: zu abgelegen, zu unbedeutend. Zu provinziell.

In diesem Klima scharren schon neue Rattenfänger mit den Füßen. Für Matteo Salvini, den skrupellosen Führer der Lega Nord, könnte Parma eine Frontstadt werden auf seinem Marsch aus dem Stammland Venetien in Richtung Rom. Salvini hat sich in Europa mit dem französischen Front National verbündet, in Italien mit den radikalen Neofaschisten von „Casa Pound“. Er hetzt gegen Einwanderer, gegen Roma, gegen Europa und den Euro. Weil Berlusconi und Grillo bei den Wählern in Ungnade gefallen sind, gilt er als neuer Führer der Opposition gegen den sozialdemokratischen Regierungschef Matteo Renzi. Mit Salvini rückt Italiens rechte Mitte ganz weit nach rechts. Er ist die Hoffnung der Enttäuschten und Zukurzgekommenen, der Verratenen und Verkauften, die aber immer noch wohlhabend genug sind, um ihren Besitz verteidigen zu wollen. So wie die Leute von Parma. Übrigens liebt die Lega Nord auch Verdi, der Gefangenenchor aus seiner Oper „Nabucco“ ist ihre „Nationalhymne.“

Aber der Triumphmarsch aus „Aida“ gefällt Salvini noch besser.

Birgit Schönau

Zur Startseite