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Durch die Reben.
© Pepe Egger

Eroica: Tour auf Vintage-Rennrädern: Heldenfahrt durch die Toskana

Am ersten Oktoberwochenende rumpeln sie wieder durch die Toskana: Liebhaber von Vintage-Rennrädern. Die Eroica verbindet Sport, Landschaft, Kultur und Kulinarik.

Florenz, Siena, Pisa: Die Städte der Toskana sind zu Recht weltbekannt. Und doch wären sie nichts ohne die Landschaft rundherum: Die toskanischen Hügel, auf einer Anhöhe eine Zypresse, ein pausbäckig-weißes Wölkchen am blauen Himmel, ein leichter Hauch, eine Eiche, die ihre Äste in die Lüfte reckt.

In diese Landschaft einzutauchen schafft keine Städtereise, denn alles hier lädt zum Wandern ein, zum Ausschreiten unter dem Sommerhimmel, an sirrenden Wiesengründen vorbei, an Kornfeldern, Olivenhainen, alten Gemäuern und Weinbergen, über die sanft sich wellenden Hügel gereiht.

Um sich das Gebiet zu erschließen und sein Herz, die Ur-Chianti-Landschaft in der Mitte des Dreiecks Florenz-Siena-Arezzo, gibt es vielleicht keine bessere Möglichkeit als die Rad-Randonnée Eroica: Kein Rennen, sondern ein Volksfest auf historischen Rennrädern, das die Huldigung der toskanischen Landschaft verbindet mit dem Genießen der Küche und dem Erinnern an die Geschichte des italienischen Radsports.

In diesem Jahr findet die Eroica zum 20. Mal statt. Was aus einer Kneipenspinnerei unter Freunden entstand, ist mittlerweile eine Marke mit globalem Franchising und Ablegern in Kalifornien, Südafrika, Japan, Spanien, Großbritannien und Uruguay.

In der Toskana radeln inzwischen mehr als 6000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer über Hügel, auf Fahrrädern, die, so das Reglement, im Jahr 1987 oder vorher gebaut wurden und mit Rahmenschaltung, Pedalriemen und außenliegenden Bremszughüllen versehen sind.

Die milden Hügel werden zur Minatur-Alpe d'Huez.

Schotter in der Toskana.
Schotter in der Toskana.
© Pepe Egger

Der Name Eroica spielt darauf an, dass alle Absolventen des vollen 209-Kilometer-Kurses tatsächlich etwas Heldenhaftes leisten: Vor allem wegen des fehlenden Straßenbelags auf weiten Teilen der Strecke, und wegen des fortwährenden Auf und Abs über die ach so mild wirkenden Hügel, die nach dem zehnten Anstieg zu Steilwänden werden, jeder ein kleiner Berg, eine Miniatur-Alpe d’Huez. Am berüchtigsten sind die drei Steigungen des Monte Sante Marie, „le tre Marie“, hier schieben die meisten Teilnehmer nur noch.

Der Kurs ist permanent ausgeschildert. Er kann also individuell ganzjährig befahren werden und ist in beliebig viele Etappen aufgeteilt – je nach Lust und Laune und Trainingsniveau. Was dabei allerdings verloren geht, ist die Volksfeststimmung während des Eroica-Wochenendes am ersten Sonntag im Oktober, und der Eroica-Primavera Anfang Mai: Die Kinder, die dem Feld zujubeln und müde Radler anfeuern, die musternden Blicke auf anderer Helden Räder, überhaupt die Fahrradverrückten aus ganz Europa, die zu der Rundfahrt anreisen.

Besuchenswert ist auch der Flohmarkt, der den Ausgangsort Gaiole in Chianti in der Woche vor der Eroica in ein Museum der Radsportgeschichte verwandelt. Er wird zum Fest für fachsimpelnde Velo-Besessene. Haufen von Zweirad-Oldtimern und den dazu gehörenden Trikots, Helmen und Schuhen stehen zum Verkauf.

Hier am Fuße der Chianti-Hügelkette hat alles angefangen. Die Gründerinnen und Gründer, der Gewerkschafter Giancarlo Brocci und die anderen, stammen von hier, sie sprechen den frotzelnd-herzlichen Dialekt dieser Gegend. Ihre Idee, ein historisches Spektakel zu veranstalten, galt den Dörfern, Hügeln und Feldern hier, und dem Radsport, so wie er früher war, den Rädern, so wie sie einst gefahren wurden.

Karbon ist in Gaiole ein Schimpfwort. Stattdessen werden die Stahlrahmen wieder hervorgeholt, auf denen die legendären Rennfahrer Fausto Coppi und Gino Bartali den Radsport einst groß gemacht haben. Unzerstörbare Räder, deren einziger Feind der Rost ist. Jugendlieben, deren Gewicht in Erinnerungen aufgewogen wird.

Unendlich viele blassgrüne Bianchi-Räder scheint es in Italien zu geben.

Legales Doping: Cucina am Wegesrand.
Legales Doping: Cucina am Wegesrand.
© Pepe Egger

Und so werden auch all die alten blassgrünen Bianchi-Räder wieder aus der Garage hervorgeholt, von denen es hier in Mittelitalien unendlich viele zu geben scheint, immergrüne Bianchis, ob aus den 40ern, 50ern und 60ern, dazu Colnagos, Faggins, Peugeots, von verwittert bis sorgfältig restauriert.

Wer selbst keinen derartigen Schatz auf dem Speicher hat, kann sich in Gaiole ein Eroica- taugliches Rade leihen, vor allem außerhalb der beiden Rundfahrtwochenenden im Herbst und Frühling ist es ein Leichtes, das passende Modell zu finden.

Das Dorf liegt im Herzen jener Landschaft, in der der Chianti seinen Ursprung hat, hier bauten schon Etrusker und Römer Wein an, bevor am Ende des Mittelalters die Dörfer um Gaiole in der „Lega del Chianti“ zusammengingen, einem Militärbündnis der Republik Florenz gegen den Erzrivalen Siena, dessen Symbol, der schwarze Hahn, noch heute die Chianti-Flaschen schmückt.

In Gaiole beginnt, um fünf Uhr früh, die Eroica mit einem Massenstart noch in völliger Dunkelheit.

Die aufgeregten Teilnehmer drängeln auf dem Hauptplatz nach vorn, die Kälte in den Gliedern, weil die Strecke so lang ist, dass die Schnellsten am Nachmittag zurück sein werden, die Sonntagsfahrer aber, die Untrainierten, erst lange nach Sonnenuntergang.

Deswegen wird ab fünf Uhr gestartet, ein kleines Abenteuer, denn wohl ist Beleuchtung vorgeschrieben, doch das legt jeder aus, wie es ihm behagt. 209 Kilometer müssen zurückgelegt werden, die in Wirklichkeit eher 215 sind, so genau hat man nicht gemessen. Wobei die reine Entfernung das geringste ist, der Teufel steckt in den unzähligen kleinen und größeren Höhenunterschieden, in den Schlaglöchern und wilden Abfahrten, bei denen die Kiesel spritzen.

Die Schotterstraßen sind ein weiterer Grund, warum diese Rundfahrt erfunden wurde: Um sie als etwas Schützenswertes herauszustellen, als etwas, das zu dieser Landschaft gehört, und um so viele dieser „strade bianche“ wie möglich vor der Asphaltierung zu retten.

Nach dem Start in Gaiole ruckelt das Feld langsam im Schein von Fackeln durch ein Zypressenwäldchen hinauf zum Castello di Brolio, wo im 19. Jahrhundert Baron Ricasoli erstmals festlegte, in welchem Verhältnis die verschiedenen Rebsorten des Chianti zu verwenden seien: 70 Prozent Sangiovese, 20 Prozent Canaiolo, 10 Prozent weißer Malvasia. Doch es ist zu früh für eine Verkostung, es bleibt keine Zeit, hier schon anzustoßen. Es dunkelt noch und es gilt, Kilometer zu fressen, solange die Beine noch frisch sind.

Weiter geht es zur ersten Abfahrt, zur ersten Schotterstraßenübung, bei der die Schlaglöcher und Bodenwellen zu umfahren sind, ohne sich von Rechts- und Linksüberholern aus der Spur bringen zu lassen.

Zwischenstopp in Siena - es könnte schlimmer sein ...

4: 10 Uhr, sagt die Apothekenuhr.
4: 10 Uhr, sagt die Apothekenuhr.
© Pepe Egger

Die richtige Fahrweise scheint sowieso zu sein: Laufen lassen, den Schwung mitnehmen und ohne zu bremsen den Hang hinunterbrettern. Das hat Sinn auch deswegen, weil gleich schon der nächste Hügel und die nächste Steigung warten. So geht das auf und ab, bis hinter toskanischen Hügelwellen die Sonne aufgeht. Das Feld hat sich da schon weit aufgefächert.

Es geht immer weiter Richtung Süden, bis man Siena östlich umfährt, allerdings kann hier kurz angehalten werden, um einen Cappuccino zu nehmen, denn zum ersten „ristoro“, der Verpflegungsstation, ist es noch ein Stück.

Wer die Eroica individuell angeht, wird sich einen Abstecher nach Siena wohl nicht entgehen lassen: Kleiner als Florenz, weniger überlaufen, bietet Siena ein mittelalterliches Stadtbild als alltägliche Lebenskulisse, ohne dass es museal erstarrt wäre. Allein Sienas Hauptplatz, die halbkreisförmige Piazza del Campo, ist einen Besuch wert. Hier wird zweimal im Jahr das archaische Pferderennen „Palio di Siena“ ausgetragen, das als härtestes Pferderennen der Welt gilt. Zuerst wird in historischer Tracht defiliert, dann treten die Pferde dreimal um den Platz gegeneinander an.

Die Eroica-Route läuft indes weiter, und erreicht nach einem weitere Anstieg Radi, wo die Strampelnden mit Salsiccia, Bruschetta, Kuchen und Chianti aus Korbflaschen gestärkt werden. Dann geht es weiter auf und ab bis zum südlichsten Punkt der Runde, nach Montalcino: der Stadt des Honigs, des Olivenöls und der schweren Rotweine. Weinkenner werden Ausschau halten, wo hier der Brunello wächst und gekeltert wird.

Spätestens jetzt, nach mehr als 80 Kilometern des Strampelns und nach dem Aufstieg nach Montalcino hinauf, wird sich manch einer denken: Warum habe ich nicht besser trainiert? Warum tue ich mir das an? Und warum nicht einfach hierbleiben, den Tag genießen, die Aussicht, das Essen, den Wein? Die Küche, die hier einfach aus den Früchten der Wälder, den Kräutern und der Wildschweinwurst, den Pilzen, Kastanien und dem Wein besteht?

So mancher wird nun mehr als genug Argumente dafür finden, die Route in mehrere genussreiche Tagesausflüge zu zerteilen, weniger heldenhaft, gewiss, dafür lohnender, lustvoller.

Fluchen und treten, stöhnen und schnaufen, frotzeln ...

Ist da Chianti drin?
Ist da Chianti drin?
© Pepe Egger

Alle anderen werden fluchen und treten, stöhnen, heftig schnaufend weiterstrampeln – und belohnt werden mit einem Panorama zur Val d’Orcia, vielleicht der toskanischsten aller Postkarten: weite Felder, Zypressen-gesäumte Straßen, die sich über Hügel schlängeln, auf und ab, eine von Mensch und Natur seit Jahrtausenden gemeinsam geschaffene Landschaft.

Es hilft auch, in der Gruppe zu radeln, irgendwann sind alle dankbar für eine Frotzelei, einen Zuruf, ein aufmunterndes Wort, man tritt zusammen, verliert sich, trifft sich wieder, schiebt gemeinsam, und löffelt miteinander an den Verpflegungspunkten alles Mögliche in sich hinein; beliebt ist vor allem die „Ribollita“, die typische Gemüsebrotsuppe, die am offenen Feuer gekocht wird.

Die Route fährt jetzt zurück nach Norden, wieder in Richtung Ausgangspunkt in Gaiole, und durchquert als erstes die Crete Senesi, eine trockene Mondlandschaft mit kleinen weißen Tonhügeln und verwitterten Furchen an den Hängen, wo man den „Diamante delle Crete“ finden kann, den weißen Trüffel.

Schließlich, nach einer weiteren Rast in Asciano, gilt es die schlimmste Etappe zu überwinden, vor der schon Dutzende Kilometer vorher gewarnt wird, „le tre Marie“. Selbst wenn man sein Rad schiebt, kann es passieren, dass man hinaufkeucht und schnauft und mit hochrotem Kopf nach Luft japst, und dann überholt einen ein Greis auf einem Greisenrad ohne Gangschaltung, ein verrostetes Fixie aus den 20er Jahren, die Ersatzschläuche trägt er wie Patronengurte über der Brust gekreuzt und ein paar Lederriemen auf dem Kopf, wie ein Boxer aus dem 19. Jahrhundert.

Gekeuchtes Radlerlatein wird am Ende hier ausgetauscht: Die Speiche gebrochen, das Tretlager rausgefallen, aber der unkaputtbare Schlauchreifen! Wie viel Wein getrunken, wie viele Teller Ribollita verspeist, welchen Umweg wegen der schlechten Ausschilderung gefahren ... Es ist eben kein Rennen, kein Wer-ist-am-schnellsten, am Ende geht es nur darum, heil nach Hause zu kommen, am besten vor Einbruch der Dunkelheit.

Denn so unverwüstlich die Stahlrahmen auch sind, da sind ja noch die Reifen, zumal auf Schotter. An jeder Böschung wird geflickt, gepumpt, geflucht. Ketten werden zusammengestückelt, Reifen auf der Felge gefahren, mancher ist am Ende nur noch einrädrig unterwegs. Biere werden versprochen und Weinflaschen ausgelobt, sollte man davonkommen – und davon erzählen können.

Pepe Egger

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