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Dorf Mutigny an der Marne. In der Champagne stehen jahrhundertealte Kirchen neben endlosen Rebstockreihen.
© Etienne Claereboudt

Champagner in Frankreich: Wo der Schaumwein zu Hause ist: Champagne

Noch wenige Tage bis Silvester. Jetzt ist die Zeit für eine Reise durch Europas prickelndste Regionen. Teil 1: Champagne, der Platzhirsch.

Plopp! Es knallt in Mareuil-sur-Aÿ. Der erste Korken im Winzerhaus von Xavier und Nathalie Charbaut rollt, die nächsten fallen im Takt der Gänge. Ein Glas Blanc de Blancs zur Minzsuppe, ein Cuvée de Réserve zum Lachsfilet in seiner Champagner-Soße, ein Glas Champagne Rosé zur Käseplatte und nach dem Eis mit Himbeeren die Krönung: der Millésime 2006. Vier Gänge, vier Gläser Champagner, ein großes Fressen, zum Sterben gut.

Bei jeder sich bietenden Gelegenheit bekommt man in der Champagne ein Glas in die Hand gedrückt: bei einer Bootsfahrt auf der Marne, der Besichtigung des Museums der Winzerrebellion, einer Weinbergwanderung oder Kellerbegehung. Nach einem Tag in dieser Region, weniger als eine Stunde östlich von Paris entfernt, hat sich der Körper an einen neuen Normalzustand gewöhnt – den von der Champagnerprobe.

Die Gegend, die kleiner ist als das Bundesland Bremen, produziert 300 Millionen Flaschen pro Jahr und setzt damit knapp fünf Milliarden Euro um. Ein Hektar Land kostet bis zu fünf Millionen Euro, und Épernay, die Champagnerhauptstadt, hat dem Wert angemessen eine eigene Prachtstraße: die Champagner-Avenue. Auf beiden Seiten der Promenade befinden sich wuchtige Stadtpalais und unter ihnen mehr als 120 Kilometer Flaschenlabyrinthe. Sie gehören zu den Handelshäusern, darunter wohlklingende Namen wie Ruinart, das älteste Handelshaus der Champagne, und Pol Roger, dem Winston Churchill zugetan war. „Wir bringen den Champagner nach Paris!“ Damit warb Mercier für die Weltausstellung 1889 und ließ ganze Häuser abreißen, um dem größten Fass der Welt den Weg nach Paris frei zu machen.

"Es darf nicht zu viel sprudeln"

In den kilometerlangen Kellern erfahren Besucher, wie aus dem Most durch Gärung der Grundwein hergestellt wird. Wie bis zu 100 Grundweine von unterschiedlichen Jahrgängen probiert und zusammengestellt werden.

Madame Beaulieu beschneidet den Wein, damit er richtig wächst.
Madame Beaulieu beschneidet den Wein, damit er richtig wächst.
© Etienne Claereboudt

Wie die Flaschen monatelang in den Kellern gären, dann gerüttelt, degorgiert und dosiert werden. Jahrelange Sorgfalt, damit alles in ein paar Minuten einen gierigen Schlund heruntergeschüttet wird.

Im Champagnerhaus Mumm, das von einem Kölner Banker gegründet wurde, kostet der Önologe 2000 Weine pro Jahr, um Champagner zu kreieren. Ein präziser Schaffensprozess, dem eines Parfums ähnlich. „Was erkennen Sie? Kaffee? Haselnuss? Klementine?“ Thibaut, der Kellermeister, hilft ahnungslosen Touristen, ihren Geschmack zu verfeinern. „Es darf nicht zu viel sprudeln und auch nicht zu kalt serviert werden, sonst verschwinden die edlen Aromen.“ Thibaut kommt aus Reims, der größten Stadt in der Umgebung, und macht sich gern über die Russen lustig. Dass sie nur süßen Champagner mögen und den wie Cola hinunterspülen. Der Finger der Besucher krampft sich um den Stiel. Ist das der richtige Griff, oder gilt man damit schon als verhaltensauffällig? „Eigentlich egal“, winkt Thibaut ab. „Je mehr man trinkt, desto komischer hält man am Ende das Glas.“ Naturgesetz der Champagne.

Durst, schnell in die Weinberge!

Bewahrer des Erbes. Kellermeister Thibaut lästert mit Vorliebe über russische Trinkgewohnheiten.
Bewahrer des Erbes. Kellermeister Thibaut lästert mit Vorliebe über russische Trinkgewohnheiten.
© Etienne Claereboudt

Wenn man in Reims ist, darf man zwei Sachen nicht verpassen: das Café „Ronron“, wo es Kaffee und Kuchen zum Essen und Katzen zum Streicheln gibt, und die Kathedrale. In dem Gotteshaus, das mit den stumpfen Kirchtürmen wie die Notre Dame in Paris aussieht, jedoch nicht so überlaufen ist, wurden jahrhundertelang die französischen Könige gekrönt. Wer beim Rundgang gut aufpasst, entdeckt die drei blauen Kirchenfenster von Marc Chagall. Und wer sehr gut aufpasst, findet unter den 2303 Statuen, die es hier gibt, Reims’ Stadtsymbol, den lächelnden Engel.

Der Körper meldet sich. Entzugserscheinungen. Durst, schnell in die Weinberge! Am besten mit Chauffeur, wenn man sich viele Champagnerproben vorgenommen hat. Durch die kleinen Wälder auf den Hügeln, hinunter zum Ufer der Marne, vorbei an den akkurat gestutzten Weinbergen, die von Weitem wie geharkte Rasenflächen aussehen. Das Winzerdorf Hautvillers mit seinen schmalen Straßen und den vielen schmiedeeisernen Schildern sitzt direkt auf einem Unesco-Weinberg. An dieser Stelle wurde der Champagner gewissermaßen geboren, hier soll der Mönch Dom Pérignon im 17. Jahrhundert einen der ersten Schaumweine hergestellt haben. In der Abtei des Dorfes wird das Grab des berühmten Bruders mit Mönchschören aus Lautsprechern beschallt.

Im September wird gefeiert

Vom Wanderweg, der um das Winzerdorf Mutigny führt, kann man etwa 40 Glockentürme in der Weite erblicken und den Hit der Champagne hören: das ineinander übergehende Glockenkonzert. Der Weg schlängelt sich zwischen den Grundstücken hindurch.

Auf der einen Seite pflanzt Moët & Chandon an, auf der anderen Monsieur Beaulieu, der ehemalige Bürgermeister des Dorfs. Er, seine Frau und ihr Hund haben im Weingut immer zu tun. „Man kann sich wirklich nicht beschweren“, sagt der alte Mann. Gern zeigt er Besuchern seinen Arbeitsplatz. Ansonsten sehe er nur Hasen, Rehe oder Füchse. Außer, die Weinlese beginnt im September. Dann arbeiten, feiern und trinken 120 000 Menschen in der Region. „Das ist die beste Zeit, um die Champagne zu besuchen“, so Beaulieu. „Passen Sie aber gut auf! Es geht immer früher los. Vielleicht sogar Ende August. Klimawandel.“

Die Winzer feiern das Ende der Weinlese mit einem eigenen Fest. Dort ist jeder eingeladen. „Kommen Sie? Sie wollen doch sicher unseren Dorfwein probieren.“ Der Körper sagt: Ja.

Europas prickelndste Regionen, Teil 2: Saale-Unstrut lesen Sie hier.

Karina Kochan

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