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Helfer bauen einen Sichtschutz vor den verunglückten Zügen auf. Die Einsatzkräfte selbst dürfen nicht wegsehen.
© Foto Peter Kneffel/ dpa

Traumatisierte Rettungskräfte: Wenn Helfer Hilfe brauchen

Einsätze wie der nach dem Zugunglück von Bad Aibling verlangen Rettungskräften psychisch einiges ab. Doch wer kümmert sich später um die Retter?

Es sind Bilder, die sich in das Gedächtnis der Überlebenden von Bad Aibling einbrennen werden: ineinander verkeilte Trümmerteile, die einmal zwei Züge waren, orientierungslose Menschen unter Schock, Verletzte, Tote. Was oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass nicht nur die Opfer nach solchen Unglücken häufig psychische Schäden davon tragen. Auch die Einsatzkräfte der Feuerwehr, der Polizei oder des Roten Kreuzes müssen das Erlebte verarbeiten. Hilfe kommt von verschiedenen Stellen.

Einsatzkräfte müssen "funktionieren"

Horst Henke (54) ist Mitarbeiter des Bayerischen Roten Kreuzes. Er und sein Kriseninterventionsteam waren am Dienstagmorgen vor Ort, um, wie er sagt, "psychosoziale Ersthilfe" für die Rettungskräfte zu leisten. Vorrangiges Ziel dabei: Die Einsatzkräfte sollten so betreut werden, dass sie zunächst einmal ihre Arbeit verrichten konnten. "Wir machen die Leute wieder handlungsfähig, damit sie wieder klar denken können und nicht gegen das nächste Auto laufen", beschreibt Henke die Aufgabe des Teams. Und fasst zusammen: "Wir sorgen erstmal dafür, dass der Mensch wieder funktionieren kann."

"Ich kann nicht helfen, denn ich darf nicht helfen"

Trotz des enorm belastenden Arbeitsumfelds effizient und rational vorgehen – das erfordert Disziplin von den Rettungskräften. Eine der größten Herausforderungen bei einem solchen Einsatz ist die Sichtung der Unfallstelle, sagt Henke. "Ich kann nicht helfen, denn ich darf nicht helfen", beschreibt er das Dilemma der Ärzte und Rettungskräfte beim Eintreffen am Unglücksort, "zuerst muss ich mir einen Überblick verschaffen". Ihr Instinkt sage den Sanitätern, dass sofort den Verletzten geholfen werden müsse – das sei aber falsch. Um genau abschätzen zu können, wie viele zusätzliche Einsatzkräfte und welches medizinische Equipment noch benötigt werde, seien die Rettungskräfte gezwungen, als Erstes die Situation am Unfallort zu evaluieren. "Das ist das Schlimmste für sie", meint Henke.

"Zwangsmaßnahmen gibt es nicht"

Auch sechs kirchliche Notfallseelsorger waren letzte Woche in Bad Aibling vor Ort. Hanjo Wietersheim, Landeskirchlicher Beauftragter für Notfallseelsorge und Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern, sagt: "Unsere Arbeit läuft stark im Hintergrund. Wir sind da vor Ort, wo die Einsatzkräfte sich erholen." Dabei gehe es vor allem um Präsenz - den Rettungskräften werde durch die Anwesenheit der Seelsorger "ein Gefühl der Sicherheit" gegeben. Sie erhielten so die Möglichkeit, schon am Einsatzort darüber sprechen, wie es ihnen ergangen sei. "Zwangsmaßnahmen", sagt Wietersheim, gebe es dabei nicht: "Selten wird aktiv ein Gespräch angeboten.".

Eine enorme Belastung, sagt Wietersheim, könne beispielsweise für einen Familienvater entstehen, der am Einsatzort ein Kleidungsstück eines Kindes entdeckt: "Das erinnert dann an die eigenen Kinder." In solchen Situationen sei "Psychoedukation" nötig - simples "Erklären", sagt Wietersheim. "Unsere Seelsorger erläutern dann sachlich die Situation, sagen dem Helfer, dass bei dem Unglück auch Kinder zu Schaden gekommen sind." Danach könne man einen konkreten Handlungsvorschlag machen - beispielsweise den Rat geben, selbst zu Hause anzurufen, um festzustellen, ob mit den eigenen Kindern alles in Ordnung ist. Auf diese Art und Weise, erklärt Wietersheim weiter, sorge man zum einen für Ablenkung und gebe der Rettungskraft außerdem ein Sicherheitsgefühl zurück.

Gefährdet: Rettungskräfte, Polizisten und Soldaten

So wichtig die Arbeit der Notfallseelsorger und Kriseninterventionsteams sind, sie können nur eine unmittelbare Betreuung der Einsatzkräfte leisten. Im Anschluss müssen Einsatzkräfte häufig langfristige psychologische Unterstützung in Anspruch nehmen. Das Problem scheinen auch diverse psychosomatische und psychotherapeutische Kliniken erkannt zu haben - es gibt mittlerweile viele unter ihnen, die einen eigenen Behandlungszweig für traumatisierte Einsatzkräfte eingerichtet haben. Eine davon ist die Akutklinik Urbachtal in Bad Waldsee.

"Wir hatten öfter Patienten mit vordergründigen Diagnosen wie zum Beispiel Depressionen. Bei ihnen stellten wir immer wieder fest, dass eigentlich etwas ganz anderes vorlag", sagt Geschäftsführer Christoph Löschmann. Reagiert habe man dann mit einem eigenen Behandlungszweig für traumatisierte Rettungskräfte, eingerichtet 2013. In diese Gruppe fallen für Löschmann sowohl Rettungssanitäter als auch Feuerwehrleute, Polizeibeamte oder Soldaten. Die häufige Konfrontation mit Zerstörung, Verletzten und Toten erhöht das Risiko dieser Berufsgruppen, Traumata davonzutragen.

Traumapatienten brauchen "schnelle Hilfe"

Trotz aller bestehenden Hilfsangebote hängt ein Erfolg letztlich davon ab, ob Einsatzkräfte willens sind, sich helfen zu lassen. Diese Erfahrung hat auch Horst Henke gemacht. Insbesondere die "ältere Generation" der Einsatzkräfte blocke die Hilfe oft ab. Dort empfinde man es oft als "schwach", wenn "über Gefühle geredet" werde - diese Einstellung sei „tief in den Köpfen“. Wozu es führen kann, wenn keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen wird, weiß er auch. "Es ist durchaus möglich, dass die Leute beim nächsten Einsatz einfach zusammenbrechen, wenn sie das Erlebte zuvor verdrängt haben“, erklärt Henke.

Mögliche Folgen eines nicht adäquat behandelten Traumas: schwere Depressionen, Suizidgedanken. „Oft führt ein solches Verhalten auch zu Arbeitsunfähigkeit“, sagt Henke. Dass "schnelle Hilfe" anstelle von Verdrängen angezeigt sei, bestätigt auch Christoph Löschmann: Eine posttraumatische Belastungsreaktion nach einem traumatisierenden Einsatz könne sich ansonsten schnell zu einer chronischen posttraumatischen Belastungsstörung ausweiten.

Julia Beil

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