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Der Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Traunstein (Zweigstelle Rosenheim), Jürgen Branz (l), und der Leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Traunstein, Wolfgang Giese, informieren am 16.02.2016 in Bad Aibling (Bayern) während einer Pressekonferenz zum Bahnunglück von Bad Aibling über die Unfallursachen.
© Peter Kneffel/dpa
Update

Zugunglück in Bad Aibling: Fahrdienstleiter gab offenbar falsches Signal

Das Zugunglück von Bad Aibling mit elf Toten und mehr als 80 Verletzten geht auf menschliches Versagen zurück. Gegen den Fahrdienstleiter läuft ein Ermittlungsverfahren.

Die Vermutung ist für die Ermittler jetzt zur Gewissheit geworden. Das Zugunglück in Bad Aibling wurde von dem zuständigen Fahrdienstleiter durch einen Fehler bei der Signalgebung verursacht. Es war menschliches Versagen. Dadurch prallten in der vergangenen Woche am Faschingsdienstag in Oberbayern zwei Regionalzüge auf einer eingleisigen Strecke frontal bei Tempo 100 ineinander. 11 Menschen starben, 24 wurden nach neuesten Angaben schwer und weitere 61 leicht verletzt. „Sein Verhalten ist nicht mit dem Regelrecht in Einklang zu bringen“, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Wolfgang Giese am Dienstag in Bad Aibling über den Fahrdienstleiter. „Hätte er sich regelrecht verhalten, dann wäre es nicht zu dem Zusammenstoß gekommen.“ Technische Fehler konnten keine entdeckt werden.

Nachdem sich der Fahrdienstleiter sechs Tage lang auf sein Recht berufen hatte, die Aussage zu verweigern, ließ er sich am Montag in Anwesenheit seines Anwalts mehrere Stunden lang vernehmen. Demnach hat der mittlerweile offiziell als Beschuldigter geltende Mann für die Strecke „ein Sondersignal gegeben, das nicht hätte gegeben werden dürfen“, wie der Oberstaatsanwalt Jürgen Branz erklärte, der die Sonderkommission leitet. Die Ermittler halten sich bei ihren Auskünften aber weiterhin ziemlich bedeckt, denn ihre Arbeit ist noch nicht beendet. Gegen den Fahrdienstleiter ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung. Darauf steht ein Strafmaß von bis zu fünf Jahren Haft.

Arbeiter der Bahn laufen am 16.02.2016 bei Bad Aibling (Bayern) auf dem Gleise neben einem noch nicht abtransportierten Wagon eines verunglückten Zuges entlang.
Arbeiter der Bahn laufen am 16.02.2016 bei Bad Aibling (Bayern) auf dem Gleise neben einem noch nicht abtransportierten Wagon eines verunglückten Zuges entlang.
© dpa

Der Beschuldigte ist derzeit nicht in Haft. Bei dem Vorwurf der fahrlässigen Tötung wäre dies nicht üblich, sagte die Staatsanwaltschaft. Er befindet sich an einem unbekannten Ort, auch aus Sicherheitsgründen. „Es geht ihm nicht gut“, sagte Jürgen Branz. Nach Angaben des Oberstaatsanwalts ist der Mann 39 Jahre alt, verheiratet und gilt als erfahren in seinem Beruf. 1997 hatte er seine Ausbildung abgeschlossen und mit der Arbeit begonnen. Er ist bei der Deutschen Bahn beschäftigt, die den Streckenablauf organisiert. Die Unfallzüge hingegen wurden von der privaten Bayerischen Oberlandbahn (BOB) betrieben.

Das Geschehen soll jetzt nachgestellt werden

Die Angaben des Fahrdienstleiters müssen nun vor allem mit anderen Zeitangaben abgeglichen werden, die sich etwa in den Blackboxen finden oder bei Telefonverbindungen. Bisher ist laut den Ermittlern klar: Der Zug, der gegen 6.45 Uhr von Rosenheim kam, hatte grünes Licht und durfte auf der einspurigen Strecke fahren. Der entgegenkommende von Holzkirchen hatte einige Minuten Verspätung und hätte spätestens an der Station Bad Aibling halten müssen. Dort gibt es zwei Gleise.

Der Zug erhielt aber laut Branz ein Sondersignal, das „ZS1“ genannt wird: ein rotes Licht, mit drei weißen Punkten darunter. Dieses bedeutet, dass der Zug dennoch fahren darf. Offenbar hatte der Fahrdienstleiter seinen Fehler noch bemerkt und an beide Züge einen Notruf abgesetzt. „Aber die gingen ins Leere“, sagte Branz. Die Staatsanwaltschaft geht nicht davon aus, dass der Mann das Unglück bewusst auslösen wollte. Außerdem hatte er keinerlei Alkohol im Blut und auch keine anderen Substanzen wie Drogen. Auf eine letzte, banale Frage wusste der Ermittler auch noch keine Antwort: Hat sich der Fahrdienstleiter womöglich im Fahrplan geirrt?

Die Menschen in Bad Aibling in der Nähe von Rosenheim erwarten Antworten auf Fragen wie diese. Am Eingang des Rathauses liegt ein Kondolenzbuch aus, daneben ein Strauß weißer Rosen und eine brennende Kerze mit einer schwarzen Schleife drum herum. „Auch wenn wir Euch nicht mehr sehen – Ihr seid weiter unter uns“, hat eine Frau geschrieben. Ein anonymer Schreiber hinterlässt die Worte: „Es tut so weh.“ Zehn Mitarbeiter betreuen die Angehörigen der Opfer. 1200 Telefonanrufe von besorgten Bürgern wurden angenommen.

Laut Polizeipräsident Kopp hat das Team aus 45 Ermittlern bis zu 16 Stunden täglich gearbeitet. „Die Bilder in den Köpfen meiner Kolleginnen und Kollegen sind nur schwer zu verkraften“, sagte er. Die Getöteten mussten identifiziert werden, die Verletzten vernommen. Wann die Strecke wieder für den Zugverkehr geöffnet wird, ist offen. In der kommenden Woche soll das Unfallgeschehen auf den Gleisen nachgestellt werden, um zusätzliche mögliche Erkenntnisse zu erhalten. Die Staatsanwaltschaft wird dann entscheiden, ob sie Anklage erhebt.

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