Neue Großunterkunft für Flüchtlinge: Zuhause in der einstigen DDR-Geheimdienst-Zentrale
Es ist wieder Leben eingekehrt in die frühere Stasi-Zentrale in Lichtenberg. In dem ehemaligen Bürotrakt von Geheimdienstchef Markus Wolf an der Ruschestraße leben jetzt Flüchtlinge.
Dieser typische DDR-Bodenbelag, schallhemmende Doppeltüren an den Zimmerzugängen, der früheren sozialistischen Produktion nach Plan enstammende Schrankwände: Die DDR wird beim Rundgang durch den Zwölfgeschosser an der Ruschestraße 103 wieder lebendig. Da, wo der frühere Chef des Auslands-Geheimdienstes der Staatssicherheit (Stasi) der DDR, Markus Wolf, einst den Klassenfeind BRD und das kapitalistische Ausland hat abhören lassen, wohnen seit der Nacht zu Freitag syrische Familien und andere Flüchtlinge.
Am Donnerstagabend haben schnell über einen Suchaufruf über Facebook gefundene Ehrenamtliche und Hauptamtliche des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) das Gebäude an der Ruschestraße bewohnbar gemacht. Matratzen, Kopfkissen, Decken, all das schleppten auch Mitglieder und Stadträte der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Lichtenberg.
BVV brach Sitzung ab - und half mit
Mit dabei ist auch die Bezirksbürgermeisterin, Birgit Monteiro (SPD), die einfach wie alle anderen Helfer einen Aufkleber mit dem Vornamen "Birgit" am Oberkörper trägt. Als die BVV von der Belegung des historischen Gebäudes erfuhr, brach sie die Sitzung frühzeitig ab, um dabei zu sein. Auch Monteiro schleppte mit ihrem Stellvertreter Andreas Prüfer (Die Linke) Matratzen in die einzelnen Zimmer.
Prüfer trägt ein rotes T-Shirt, aber das ist Zufall, jedenfalls wirkt er wie im DRK-Rot gekleidet wie auch der Sprecher des Deutschen Roten Kreuzes in Berlin, Rüdiger Kunz. Er sagte dem Tagesspiegel, der Wohlfahrtsverband habe seit zwei, drei Tagen von dem Vorhaben des Berliner Unterbringungsstabes gewusst, dass das Bürogebäude belegt werden soll. Gegen Mittag stand das fest, gegen 19 Uhr legten die Helfer los. Und nun wurden dort, wo früher die HVA, also die Hauptverwaltung Aufklärung, das Ausland abhörte, zunächst 360 Matratzen ausgelegt. "So ein Abend macht wieder Mut", sagt Birgit Monteiro. Viele Nachbarn seien auch froh, dass wieder Leben in dem riesigen leerstehenden Gebäudekomplex einkehre. Nach dem Vorbild von Ein-Euro-Jobs sollen Flüchtlinge jetzt in Arbeit gebracht werden.
Zaher hat Verkaufstalent
In der alten Stasi-Zentrale, so wird in Gesprächen am Rande in den Gesprächen gescherzt, hätte auch der Bundesnachrichtendienst ja ein praktikables und gutes Arbeitsdomizil gehabt. Dann hätte man sich den teueren Neubau sparen können, sagt etwa Stadtrat Prüfer.
Für die Flüchtlinge ist das Gebäude indes auch gut geeignet. Denn anders als etwa in Messehalle 26 oder den Tempelhofer Flughafenhangars gibt es hier einzelne kleine Zimmer mit Privatsphäre für die Menschen. Da wohnt jetzt auch Zaher Shhab aus Homs. Er hat Verkauf und Marketing studiert, hat sich mit Jobs in Jordanien, in Libanon durchgeschlagen. In Nigeria hat er Malaria bekommen, stark abgenommen, die Bilder von früher hat er auf dem Handy. Seine Frau, Ärztin, ist in Libanon, sein Vater in Schweden. "Ich weiß, dass Deutschland sehr viele Flüchtlinge bekommen hat, ich bin dankbar und möchte gern arbeiten, ich habe Verkaufstalent, irgendwas werde ich schon finden", sagt Zaher in gutem Englisch.
Gemeinschaftsunterkunft geplant
Wenn in dem großen Gebäuderiegel insgesamt 500 bis 600 Flüchtlinge eingezogen sein werden, dann werden die Neuankömmlinge aus Syrien, aus Irak, Afghanistan und anderen Ländern nicht ahnen, in welch' geschichtsträchtigen Räumen sie jetzt Zuhause sind - wie dem Arbeitszimmer von HVA-Chef Markus Wolf. An den Zimmertüren stehe noch Infos von der aktuellen Facility-Management-Überprüfung: Raum 529.
"Frei. Reinigungsbedürftig. Heizung: Frostschutz." In den noch leeren Fluren in den oberen Geschossen glänzt der Boden. Im Erdgeschoss machen die Helfer bei Boulette aus der Plastikverpackung, bei Flips und Tomaten Pause. Der ältere BVV-Abgeordnete Manfred Becker, der sich noch schnell Arbeitsklamotten angezogen hatte, erzählt von seiner eigenen Flucht nach dem Zweiten Weltkrieg. "Daher kann ich mich in die Syrer hineindenken und kann ihre Gefühlswelt bei der Flucht erahnen."
Einst stürmten Bürgerrechtler das Areal
Das Nachbargebäude liegt noch still da. Die Hausnummer 104, wo dereinst die sozialistische Jugendorganisation FDJ residierte, soll vorerst frei bleiben. Im Innenhof vor der 103 fällt der Blick auf das Haus, wo Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit der DDR, arbeitete. Auch das Stasi-Museum ist auf dem Gelände, ein Geldautomat der Sparda-Bank, eine Physiotherapiepraxis.
Das Land muss für das Gebäude zahlen
Das Gelände gehörte laut Kunz später der Bahn, wurde dann an einen Privateigner verkauft, stand ein paar Jahre leer. Nun musste es das Land wiederum von dem Privateigner im Zuge der Beschlagnahme anmieten. Das ärgert die Bezirkspolitiker, denn eigentlich sei das Gelände ja Landeseigentum gewesen. Nun wurde es nach Jahren des Leerstandes vom Facility Management geprüft und Wasseranschlüsse und Heizungen wieder fit gemacht.
Was es für ihn als in der DDR Geborenen bedeute, dass der früher furchteinflößende und menschenverachtende Ex-Nachrichtendienst nun Menschen in Not eine Heimat werde? Da muss Kunz lachen. "Wir haben als Rotes Kreuz ja auch die Notunterkunft in Karlshorst, von daher ist es für uns nicht das erste Stasi-Gebäude."
1990 stürmten die DDR-Bürgerrechtler das Stasi-Gelände, Akten waren zuvor noch zerstört und vernichtet worden. Das Gelände mit Museum soll ein Campus der Demokratie werden - nun erzählt das Areal durch seine neuen Bewohner von Krieg und den Folgen sowie der Schere zwischen Arm und Reich auf dieser Erde.