Weltweit gegen Gewalt und Unterdrückung: Diese vier Frauen haben eine Mission
Norma Ledezma in Mexiko, Christine Alfons in Kenia, Malti Tudu in Indien, Manal al Sharif in Saudi-Arabien: Sie alle riskieren viel im Kampf für Frauenrechte.
Zuletzt erregte eine chilenische Frauenbewegung Aufmerksamkeit. Mehr als 10.000 Frauen gingen in Santiago de Chile gegen sexuelle, körperliche und psychische Gewalt von Männern auf die Straße. Sie trugen Masken und verschafften sich mit einem eindringlichen Sprechgesang Gehör: „Es ist nicht meine Schuld, egal wie ich angezogen war – der Vergewaltiger bist du.“
Längst hat sich die Hymne zu einem internationalen feministischen Phänomen entwickelt, wurde in Buenos Aires, Paris, New York und Berlin gesungen.
Auch in anderen Teilen der Welt gehen Frauen auf die Straße, starten Kampagnen und verbünden sich, um gegen die Gewalt und Diskriminierung vorzugehen, die sie erfahren. Überall auf der Welt setzen sich Frauen für ihre Rechte ein – und die aller Menschen. Aktivistinnen müssen teils mit heftigen Repressionen rechnen, in einigen Ländern riskieren sie sogar ihr Leben.
Dennoch sind sie so unermüdlich, wie ihr Kampf unerlässlich ist: Die globalen Zahlen zu Gewalt gegen Frauen sind alarmierend. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge erfahren 35 Prozent aller Frauen in ihrem Leben körperliche und sexuelle Gewalt. Und zwölf Millionen Mädchen weltweit werden Unicef zufolge unter 18 Jahren verheiratet.
Die folgenden vier Aktivistinnen aus vier nicht-europäischen Ländern sollen beispielhaft für die vielen stehen, die unermüdlich für ihre Rechte kämpfen.
Mexiko: Norma Librada Ledezma
Norma Librada Ledezmas 15-jährige Tochter Paloma verschwand am 2. März 2002 in Chihuahua, Mexiko. 27 Tage lang suchte die Mutter verzweifelt nach ihrer Tochter. Von der Polizei bekam sie dabei keine Unterstützung. Am 29. März 2002 wurde Palomas Leiche gefunden. Hätte die Polizei früher und gründlicher ermittelt, hätte ihre Tochter gerettet werden können, davon ist Ledezma überzeugt.
An jenem Tag gründete die Mexikanerin die Organisation „Justicia para nuestras hijas“, übersetzt: Gerechtigkeit für unsere Töchter. Diese bietet Rechtsbeistand und Unterstützung in Fällen von Femiziden (Frauenmorden). Gleiches gilt bei Menschenhandel und Entführungen.
Ledezma möchte Gerechtigkeit für die Opfer und die betroffenen Familien. Die Mexikanerin hat bereits mehr als 200 Ermittlungen in Fällen von Femiziden und Entführungen unterstützt. Der Tod ihrer Tochter Paloma ist kein Einzelfall in Mexiko. Laut UN Women werden jeden Tag rund zehn Frauen in Mexiko umgebracht.
Ledezma konnte mit ihrer Arbeit die Ermittlungen bei Femiziden im Land verbessern. Die Mexikanerin hat außerdem die Gründung einer Staatsanwaltschaft erreicht, die sich in Chihuahua auf Verbrechen an Frauen als Opfer spezialisiert. Für ihr Engagement ist Ledezma für den Martin-Ennals-Menschenrechtspreis nominiert, eine Auszeichnung für Personen und Organisationen, die sich für die Wahrung der Menschenrechte engagieren. Der Mörder ihrer Tochter Paloma wurde bis heute nicht gefunden.
Indien: Malti Tudu
Malti Tudu hat eine Mission: Sie will die Kinderehe in ihrer Heimat, dem Bundesstaat Bihar, Indien, beenden. In dem Volksstamm der 22-Jährigen ist die Zahl der Kinderehen besonders hoch. 74 Prozent der Frauen heiraten unter 18 Jahren. Tudu selbst ist davon verschont geblieben.
Für die junge Aktivistin steht fest: Kinder sollten nicht heiraten dürfen. Nach Angaben von Unicef verstößt die Kinderehe gegen die Rechte von Mädchen und Jungen, wobei Mädchen fünfmal öfter betroffen sind. Minderjährige geraten bereits in frühem Alter in eine Abhängigkeit. Die verheirateten Mädchen müssen die Schule abbrechen. Teenager-Mütter sterben außerdem häufiger als reifere Frauen an Komplikationen während der Schwangerschaft oder Geburt.
Seit mehr als zwei Jahren kämpft Tudu bereits gegen die Kinderehe in Bihar. Die Aktivistin hat sich mit anderen Frauen zusammengeschlossen. Gemeinsam klären sie die Bewohner in den umliegenden Dörfern auf und versuchen, so viele Kinderehen wie möglich zu verhindern. Bei ihren Aktionen bekommen die Frauen auch viel Gegenwind.
Doch Tudu bleibt hartnäckig – mit Erfolg. Sie hat bereits mehrere Mädchen vor einer Heirat retten können. Mittlerweile ist sie ein Vorbild für viele junge Frauen in Indien geworden. Immer mehr Frauen haben sich in den vergangenen Jahren zusammengeschlossen, um gegen die Kinderehe in Indien zu kämpfen. Und es gibt Fortschritte: In den vergangenen zehn Jahren ging der Anteil von Kinderehen in Indien von 50 Prozent auf 27 Prozent zurück.
Kenia: Christine Ghati Alfons
Christine Ghati Alfons, eine junge Kenianerin, kämpft dafür, dass die Beschneidung von Mädchen aufhört. Das ist nicht einfach. Immer noch sind viele in ihrer Heimat überzeugt, dass beschnittene Frauen bessere Heiratschancen haben, besser in die Gemeinschaft integriert sind.
Offiziell ist die Genitalverstümmelung in Kenia seit 2011 verboten. Trotzdem ist den Vereinten Nationen zufolge noch heute eine von fünf Frauen zwischen 15 und 49 Jahren in Kenia beschnitten – die Verstümmelung passiert in privaten Kliniken oder zu Hause.
Hätte sich ihr Vater damals nicht für sie eingesetzt, wäre auch Alfons beschnitten worden. Sein Engagement war ein Tabubruch in der Gemeinde – und hatte Konsequenzen. Er wurde getötet, weil er seine achtjährige Tochter beschützen wollte.
Alfons wusste vom Mut ihres Vaters lange nichts. Weil alle ihre Freundinnen beschnitten waren, wollte sie das auch.
Die Vehemenz, mit der es ihre Mutter verbat, wunderte sie. Als sie in der Schule über die Ansteckungsgefahr mit HIV bei der Beschneidung sprachen, entschied sich Alfons doch dagegen. Erst dann erfuhr sie von der Mutter, wieso ihr Vater starb.
„Ich möchte meinen Vater stolz machen“, sagt Alfons heute. Sie setzt sich für die Mädchen ein, die niemanden haben, der sich für sie stark macht. Die 27-Jährige gründete dafür die Organisation „Safe Engage Foundation“ mit der sie in die Gemeinden geht, um dort mit Kindern, Eltern und Lehrern zu sprechen, sie von der Grausamkeit zu überzeugen.
Bei der Genitalverstümmelung werden Klitoris und Schamlippen teils oder ganz entfernt. In besonders schweren Fällen wird das gesamte äußerliche Genital abgeschnitten und bis auf ein streichholzgroßes Loch wieder zugenäht. Die beschnittenen Frauen quälen sich ihr Leben lang mit körperlichen und psychischen Schmerzen. Nicht nur in Afrika, sondern auch in Asien und im Nahen Osten.
Weltweit sind 200 Millionen Frauen beschnitten, weitere drei Millionen Mädchen jedes Jahr gefährdet.
Saudi-Arabien: Manal al Sharif
Manal al Sharif wird 2011 in Saudi-Arabien mit einem verwackelten Handyvideo berühmt, das sie bei einer nur scheinbar banalen Tätigkeit filmt: Sie sitzt am Steuer eines Autos. Die autokratisch geführte Monarchie war zu diesem Zeitpunkt das letzte Land weltweit, in dem es Frauen verboten war, selbst Auto zu fahren.
Die achtminütige Aufnahme zeigt die IT-Beraterin Sharif bei einer Fahrt durch die Straßen der saudischen Stadt Khobar. Sie spricht zu ihrer Freundin und Co-Aktivistin Wajeha al Huwaider, sagt Dinge wie: „Wir wollen Veränderung in unserem Land“, und: „Eine Frau verdient dieselben Rechte wie jeder Mann.“ Und sie ist optimistisch. „Dinge werden sich ändern – so Gott will.“
Seitdem das Video viral ging, ist viel passiert. Zunächst bringt die Aufnahme Sharif für elf Tage ins Gefängnis. Das repressive Regime wirft ihr das „Aufwiegeln der öffentlichen Meinung gegen den Staat“ vor. Als sie freikommt, verlässt sie das Land wegen Morddrohungen.
Doch Sharifs Video befeuerte die saudische „Women2Drive“-Bewegung. Und auch nach ihrer Emigration bleibt die Aktivistin Teil der Bewegung, setzt sich für Frauenrechte in SaudiArabien ein. 2018 erlaubt der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman – de facto der mächtigste Mann im Land – Frauen das Autofahren.
Dennoch geht er weiterhin entschieden gegen Kritiker des Königreichs vor. Einige Frauenrechtlerinnen wie zum Beispiel Loujain al Hathloul sitzen laut Amnesty seit mehreren Jahren in Haft, Angehörige berichten von Folter.
Sharif lebt mittlerweile in Sydney, hat ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben und macht sich für Frauen in ihrem Herkunftsland stark.
„Der Kampf endet nicht, sobald du etwas erreicht hast. Er muss weiter gehen, damit dir das Recht nicht wieder genommen wird“, sagte sie 2017 dem „Spiegel“. Manal al Sharif gilt heute als eine der wichtigsten Frauenrechtlerinnen Saudi-Arabiens.