Saudi-Arabien: Was die Fahrerlaubnis für Frauen bedeutet
Saudische Frauen dürfen ab Sonntag erstmals selbst Auto fahren – ein epochales Ereignis für das erzkonservative Land. Doch liberaler wird die Monarchie damit nicht.
Bei Fahrschulen und Kfz-Ämtern in Saudi-Arabien meldet sich seit einigen Wochen eine völlig neue Kundschaft: Frauen, die den Führerschein machen oder ihre ausländische Fahrerlaubnis in eine saudische umwandeln lassen wollen.
Ab diesem Sonntag dürfen Frauen in dem Königreich erstmals in der Geschichte des Landes selbst einen Wagen oder ein Motorrad steuern – ein epochales Ereignis für die streng islamisch-konservative Monarchie.
„Ein Traum ist wahr geworden“, jubelte Rema Jawdat, eine der ersten saudischen Frauen mit Führerschein, nach einem Bericht der Zeitung „Saudi Gazette“. Viele Frauen freuen sich darauf, endlich selbst bestimmen zu können, wohin die Reise geht.
Bisher müssen sie mit einem männlichen Verwandten mitfahren oder einen Chauffeur einstellen. „Ab sofort entscheide ich, wann ich fahre, was ich tun will und wann ich zurückkomme“, sagte die Architektin Amira Abdulgader der Nachrichtenagentur Reuters. Frauen dürfen nun auch als Chauffeurinnen arbeiten.
Saudi-Arabien war bisher das einzige Land der Welt, in dem Frauen nicht fahren durften. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert streiten saudische Frauen für das Recht auf den Platz am Steuer. Im Jahr 1990 fuhren 47 Aktivistinnen trotz Verbots demonstrativ in einem Konvoi durch die Hauptstadt Riad – und wurden prompt festgenommen.
Während des „Arabischen Frühlings“ gab es ähnliche Aktionen. Doch wieder änderte sich nichts. „Es ist erniedrigend“, sagte die Aktivistin Manal al Sharif damals dem Sender CNN. Doch im vergangenen Jahr begann Kronprinz Mohammed bin Salman mit dem Versuch, Saudi-Arabien zu modernisieren und nach einem Reformprogramm namens „Vision 2030“ umzubauen.
Mehr Rechte für Frauen gehören dazu, weshalb das Königshaus im September ein Ende des weiblichen Fahrverbotes ankündigte. Und es gibt dabei einen wichtigen ökonomischen Aspekt. Frauen sind oft gut ausgebildet und werden als Fachkräfte für den Arbeitsmarkt benötigt. Es geht also nicht zuletzt um volkswirtschaftliche Interessen.
Zunächst war denn auch der Jubel groß. Die neue Freiheit für Frauen am Steuer soll den Aufbruch des Landes in die Moderne symbolisieren. Doch schon Wochen vor dem Stichtag des 24. Juni ließen die saudischen Behörden mehrere Aktivistinnen festnehmen, die sich für das Recht auf Selbstbestimmung am Steuer eingesetzt haben.
Zu ihnen gehört Loujain al Hathloul. Seit Ende Mai hat niemand etwas von der 28-Jährigen gehört. Der Kronprinz macht mit den Festnahmen klar, wo für ihn die Grenzen der Reformpolitik liegen: Veränderungen im Königreich sind allein Sache des Palastes. Eigenständige Ansätze werden bekämpft.
Das Vorgehen gegen die Fahr-Aktivistinnen zeugt vom Kernproblem der saudischen Reformpolitik von oben. Der 32-jährige Kronprinz Mohammed bin Salman will sein Land modernisieren, diesen Prozess aber selbst kontrollieren.
Nichts ängstigt die Golf-Monarchien mehr als unabhängige Massenbewegungen, die im Zuge des „Arabischen Frühlings“ vor sieben Jahren zum Sturz der Machthaber in Tunesien, Libyen, Ägypten und im Jemen führten.
Der Kronprinz, nach seinen Initialen häufig nur MBS genannt, will ein modernes Land ohne Demokratie oder Eigenständigkeit der Bürger: Frauen und Männer, die politische Rechte anstreben, werden verfolgt, schreibt der amerikanische Ex-Diplomat Gerald Feierstein auf Twitter. Feierstein, der beim Middle East Institute in Washington arbeitet, spricht von einem „neuen illiberalem Modell“.
Im Rahmen dieses Modells bleiben saudische Frauen auch weiterhin in vielen Lebensbereichen von Männern abhängig. So dürfen sie nur mit Erlaubnis eines männlichen Vormunds – Ehemann, Vater oder Sohn – das Land verlassen oder ein Bankkonto einrichten. Auch für eine Heirat ist die Einwilligung eines männlichen Verwandten notwendig. Weitere Reformen zugunsten der Frauen sind nicht geplant.
Die saudischen Behörden wollen verhindern, dass die neue Freiheit für Autofahrerinnen als Signal einer weitergehenden Liberalisierung verstanden wird. MBS wolle zeigen, dass die Fahrerlaubnis allein von der Gnade des Herrscherhauses abhänge, sagte ein Aktivist der Nachrichtenagentur AFP. Der Palast gibt, der Palast nimmt. Kurz vor dem Ende der Fahrverbote wurden nach Angaben der US-Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch zwei weitere Frauenrechtlerinnen in Haft genommen. In der Regierungspresse werden die Festgenommenen als Verräterinnen diffamiert.
Vielleicht ist das nicht zuletzt auch eine Konzession ans politische Establishment. Denn der Modernisierungskurs des ehrgeizigen Thronfolgers stößt bei den erzkonservativen Traditionalisten im Land auf Widerstand. Vor allem das für saudische Verhältnisse enorme Tempo schreckt Fundamentalisten ab und auf.
Auf diese Befindlichkeiten muss Mohammed bin Salman noch Rücksicht nehmen, will er seine Macht erhalten und festigen. Zwar kann sich der Thronfolger auf eine große Anhängerschaft gerade unter den jungen Saudis verlassen, 70 Prozent der Bevölkerung sind unter 30. Diese Gruppe verehrt den De-Facto-Herrscher, weil er das Land zumindest ein wenig öffnen und damit ins 21. Jahrhundert führen will – anders als die Greise im Königshaus.
Bin Salmen weiß allerdings, dass er rasch liefern muss. Anderenfalls könnten die gesellschaftlichen Hardliner aus ihrer Deckung kommen und versuchen, das Rad zurückzudrehen.
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