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Neema wurde als Vierjährige einer brutalen Beschneidung unterzogen. Wegen der Vernarbungen konnte ihr im Krankenhaus nur schwer ein Katheter gelegt werden.
© Klaus Becker

Beschneidung bei Frauen: Narben, die für immer bleiben

In Eritrea zeigt der Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung erste Erfolge. Doch die Aufklärungsarbeit bleibt immens wichtig.

Tsega Michael hatte einen Beruf, der ihr im Dorf viel Anerkennung und obendrein etwas Wohlstand einbrachte. Die Mutter von vier erwachsenen Töchtern hat als Beschneiderin gearbeitet. Mehr als ein halbes Leben, seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr. Mindestens 2000 Mädchen und 3000 Jungen hat sie als „Circumcisor“, so die englische Bezeichnung, beschnitten. Mit einer Rasierklinge, die zuvor in kochendem Wasser sterilisiert wurde, ging sie ans Werk. Die vollständige Entfernung der Klitoris – die sogenannte Klitoridektomie – war in ihrem Volksstamm üblich. Aber: Das war damals – heute ist alles anders. Tsega ist dank eines Regierungsprogramms in Form eines kleinen staatlichen Kredits ausgestiegen aus einem Beruf, der Mädchen verstümmelt und für ihr Leben zeichnet.

Am Mittwoch ist der im Jahr 2003 ins Leben gerufene „Internationale Tag der Nulltoleranz gegen weibliche Genitalverstümmelung“. In Eritrea ist die Beschneidung weiblicher Genitalien bereits seit 2007 unter Androhung von Geldbußen oder auch Gefängnis verboten. Die Tradition birgt enorme gesundheitliche Risiken: Ob Schockzustände und Infektionen, Zysten- oder Fistelbildung – die Regierung hat dem langen Leiden der Frauen den Kampf angesagt. Unterstützung erfährt Eritrea dabei von der deutschen Hilfsorganisation „Archemed“.

Und so betreibt Tsega heute ein kleines Frühstückscafé in Tecombia, einem Dorf etwa zwei Stunden Autofahrt von der Hauptstadt Asmara entfernt. Obwohl die 49-Jährige schon seit vier Jahren nicht mehr praktiziert, kommen immer wieder Leute aus dem Dorf, weil sie einen Eingriff an ihren neugeborenen Mädchen wünschen. „Aber ich sage nein“, versichert sie „nicht einmal als Gefallen würde ich je wieder eine Klinge in die Hand nehmen.“

Das Projekt "Fight Against Female Genital Mutilation" leistet Aufklärungsarbeit

Worku Zerai, Koordinatorin für das Projekt „Fight Against Female Genital Mutilation“ (FGM) – zu deutsch „Kampf gegen die weibliche Genitalverstümmelung“ – ist heute nach Tecombia gekommen, um gemeinsam mit Mitarbeitern von „Archemed“ Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Während in der Hauptstadt Eritreas, in Asmara, die Zahl der Beschneidungen schon lange zurückgeht, muss auf dem Land noch nachgearbeitet werden. Die kleine, drahtige Frau weiß vor allem um den großen gesellschaftlichen Druck, dem Familien auf dem Lande ausgesetzt sind: Nur eine beschnittene Frau sei dort gesellschaftlich akzeptiert und habe Aussicht darauf, geheiratet zu werden. Das Verbot von FGM sowie entsprechende Aufklärungsarbeit zeigen allmählich aber auch auf dem Land Erfolg.

Worku will heute bis in die letzte Hütte davon überzeugen, dass Beschneidung nicht ausschlaggebend sein darf für die weitere ökonomische Versorgung einer Frau. „Es kann nicht sein, dass die Gemeinschaft mehr zählt als die Gesundheit des Individuums“, sagt die 66-Jährige. In insgesamt sechs Dörfern in ländlicher Region fördert die Europäische Union ein Programm gegen FGM. Worku betreut das Projekt auf eritreischer Seite.

Im Gewerkschaftshaus von Tecombia haben sich mittlerweile Dutzende Frauen in ihren schönsten Gewändern versammelt. Der Schulleiter ist ebenso anwesend wie muslimische und christlich-orthodoxe Vertreter. Auch ein Geburtshelfer will sich engagieren gegen Beschneidung – und so den Start ins Leben auf seine Weise günstig beeinflussen. „Alle sind sehr bemüht“, sagt Worku.

Vor allem die eritreischen Männer sind zumeist vollkommen unwissend, was die Beschneidung angeht. Hinter verschlossenen Türen findet der schmerzhafte Akt statt. Schreien, Weinen oder Jammern wird dabei unterbunden. Folglich ahnen viele Männer gar nicht, welch blutiger Eingriff an Babys begangen wird. Schmerzen zu haben – so lernen es schon die Kleinsten – ist kein Grund zum Jammern. Mit der Beschneidung erfahren Mädchen drastisch, dass weder Wundschmerzen noch Entzündungen, Blutungen oder Risse thematisiert werden dürfen. Sie lernen, mit ihren Schmerzen zu leben. Klaglos.

Vor allem Geburtshelfer bekommen die Folgen der Beschneidungs-Praktiken zu sehen

Die verheerenden Auswirkungen der unterschiedlichen Beschneidungs-Praktiken bekommen vor allem die Geburtshelfer in Eritrea zu sehen. Dr. Leilti Ghebreselassie ist leitende Gynäkologin im Krankenhaus der Stadt Keren, ein Hospital für alle nördlichen Provinzen des Landes. Etwa 600000 Einwohner gehören zum Einzugsgebiet. 2000 bis 2500 Geburten betreut die Ärztin jährlich. Zum Vergleich: In der Geburtsklinik des Unikrankenhauses Hamburg-Eppendorf – eine der modernsten in Deutschland – werden jährlich 3400 Kinder geboren.

Die Torturen, die Frauen durchmachen, kennt Dr. Ghebreselassie nur zu gut. Wenn nach einer Beschneidung kaum die Blase entleert werden kann, die Menstruationsblutung wochenlang dauert, sich unangenehme Fisteln bilden, die für Inkontinenz sorgen. „Verstoßen werden diese Frauen, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen“, beklagt sie. Sie weiß von den Schmerzen, die einer Frau bevorstehen, wenn sie in der Hochzeitsnacht vom eigenen Ehemann mit Gewalt „geöffnet“ wird, um Geschlechtsverkehr zu ermöglichen. Und von den Schwierigkeiten unter der Geburt, weil verhärtetes Narbengewebe eine sanfte Geburt fast unmöglich macht. Viele junge Mütter überleben die Geburt nicht, weil sie zu Hause entbinden – ohne entsprechende medizinische Betreuung.

Bis nach Teseney im Westen des Landes hatte sich das Verbot von FGM 2009 noch nicht herumgesprochen. Die damals vierjährige Neema wurde zu diesem Zeitpunkt beschnitten – und das besonders brutal. Infibulation oder Pharaonische Beschneidung wird die schlimmste Form genannt, bei der den Mädchen außer der Klitoris auch die inneren und äußeren Schamlippen entfernt werden, die Scheide wird bis auf eine streichholzkopfgroße Öffnung zugenäht. Neemas Intimbereich bekamen deutsche Ärzte in der Herzchirurgie in Asmara zu sehen, weil der heute 13-Jährigen ein Blasen-Katheter gelegt werden musste. Die Schwestern berichten, dass für Neema jeder Toilettengang eine Qual sei. Nach einigen Tagen traute sie sich zu fragen, ob sie eine Windel haben könne.

Britta Surholt

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