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Immer gut gelaunt. Der Facebook-Gründer läuft am 25. Februar 2016 durch Berlin.
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365 Meilen um die Welt: Läuft bei Zuck!

Mit Leibwächtern wetzt er durch Lagos, Berlin, Rom… Hat Mark Zuckerberg Facebook am Ende nur erfunden, damit er seine Jogging-Runden inszenieren kann?

Letzten Mai lief ich durch Paris, 17 Kilometer in 1:44 Stunden, ziemlich zügig für meine Verhältnisse. Es war die Begeisterung, die mich vorantrieb, die großartige Kulisse: von Notre-Dame zum Louvre, durch die Tuilerien bis zum Arc de Triomphe, von dort zum Eiffelturm, übers Marsfeld und zum Gare Montparnasse, schließlich durch den Jardin du Luxembourg zurück nach St. Germain, wo mich mein französischer Verlag einquartiert hatte.

Nun könnte man meinen, dass man beim Laufen von all den Herrlichkeiten, die man passiert, kaum etwas mitbekommt. Das Gegenteil ist der Fall. Noch heute sehe ich meine Pariser Strecke in scharf gestochenen Erinnerungsbildern – vielleicht sind es gerade diese Bilder, derentwegen ich überall auf der Welt so gern laufe. Nein, ich mache keine Fotos dabei, dazu müsste ich ja stehen bleiben. Vor allem würde ich ständig Ausschau halten nach Motiven, würde also ganz anders in die Welt hineinlaufen.

Wenige Monate später stieß ich auf Mark Zuckerbergs Facebook-Seite, er postet regelmäßig Fotos von sich, die ihn beim Laufen in aller Welt zeigten. Wieder ein Manager, der sich der Öffentlichkeit als Läufer präsentierte! Man sah ihn vor dem Kolosseum in Rom, vor der Verbotenen Stadt in Peking oder der Sagrada Família in Barcelona, begleitet meist von einem schwarzen Mit-Läufer und einer Reihe Bodyguards.

Laufen und Reisen, das war eigentlich genau mein Thema, und trotzdem wurde ich mit den Fotos nicht richtig warm. Sie erschienen mir nicht „echt“, vielleicht gerade deshalb, weil sie so echt wirken wollten. Die Bilder waren perfekt, viel besser als alles Vergleichbare, was ich in Läufer-Blogs gesehen hatte oder auf den Seiten der Profi-Fotografen, die bei Straßenrennen Teilnehmer vor interessantem Hintergrund ablichten.

Besitzt er nur dieses eine graue T-Shirt?

Was mich vor allem störte, war die Ausstrahlung der Läufer. Es sah nicht nach Laufen aus, was sie da taten, sondern nach einer Inszenierung für ein Lifestyle-Magazin. Mit einem Wort: Es sah eher wie ein kurzes Jogging aus, wie eine Lockerungsübung. Zuckerberg selbst hatte nicht die Körpersprache eines Läufers, weder die Körperspannung noch die Figur, er wirkte etwas zu massig. Sein ständiger Begleiter hingegen wie ein Personal Trainer, allerdings einer, der eher im Fitness-Studio Eisenstangen zerbeißt, als sein Wirkungsfeld in einer Ausdauersportart zu suchen.

Obendrein liefen die beiden gern mit ihren iPhones in der Hand, selbst wenn sie an einem Straßenrennen teilnahmen. Welcher Läufer würde das tun? Es gibt ja Oberarmtaschen dafür. Irgendwann störte ich mich sogar daran, dass Zuckerberg auf allen Fotos im gleichen Outfit zu sehen war, als ob er, einer der reichsten Menschen der Welt, nur dieses eine graue T-Shirt besitze, dieses eine Paar Laufschuhe – oder eben so tat, um bescheiden zu wirken, als „einer von uns“. Vor allem störte mich, wenn ich ehrlich bin, dass er auf jedem Foto gleich gut gelaunt aussah, moderat fröhlich, „positiv“. Immerhin hielt er nicht den Daumen Richtung Kamera.

Am 27. Dezember postete Zuckerberg eine Auswahl seiner Läuferphotos als eine Art Jahresrückblick („Running around the world“). Leider erfuhr ich auch hier nichts über die Umstände der Läufe, die Länge der Strecken, die Dauer der Einheiten, über all das, was Läufer mithilfe ihrer GPS-Uhren minutiös aufzeichnen und von entsprechenden Plattformen im Netz auswerten und als digitales Läufertagebuch abspeichern lassen.

Plötzlich hatte ich fast Mitleid mit ihm

In einem Post vom 24. Dezember erfuhr ich, dass Zuckerbergs Läufe und ihre Dokumentation auf Facebook einem Konzept folgten, einer Idee, er selbst nennt sie „this year’s 365 mile running challenge“. 365 Meilen sind 587,4 Kilometer im Jahr, also 11,3 Wochenkilometer. Das passte perfekt ins Wohlfühlkonzept seines gesamten Facebook-Auftritts, der ihn in all seinen Aktivitäten als „ganz normalen“ Menschen mit bescheidenen Ambitionen (außer im Hinblick auf Facebook) zeigt, als großen Jungen, der staunend durch eine im Prinzip heile Welt geht – oder läuft –, der überall hilft, verbessert, das Gute befördert und sich seine Laune niemals verderben lässt.

Dann geriet ich an die Kommentare seiner Facebook-Fans zu ebenjenen Läuferfotos, stundenlang las und las ich, wurde immer stiller dabei. Am Ende hatte ich fast Mitleid mit ihm und wollte alles widerrufen, was ich Kritisches über ihn gedacht hatte:

„You look like you are struggling fat kid“ (Jessica Camille)

„He’s going to break his legs running with that bad form“ (Michael Otieno)

„I’ll give u my clothe… change ur clothe bro u have so much money“ (Alaa W SQ)

"Er schreibt Geschichte"

China, Xi’an. An der alten Stadtmauer legt der Facebook-Gründer am 26.10.2015 eine kurze Verschnaufpause ein.
China, Xi’an. An der alten Stadtmauer legt der Facebook-Gründer am 26.10.2015 eine kurze Verschnaufpause ein.
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Im Foto, das Zuckerberg auf einer Brücke in Lagos zeigt, entdeckten die Einheimischen einen anscheinend stadtbekannten Betrüger unter seinen Begleitern: „Wow. A scammer running along side a real businessman. That puts Nigeria in a special place“ (Benjamin Mubiru).

Sie registrierten sogar, wenn er die Schnürsenkel seiner Laufschuhe austauschte. Das Foto, das ihn in Barcelona zeigt, nutzten sie, um einander zu versichern, dass sie auch schon dort gewesen seien und es toll fanden. Das Foto vor dem Brandenburger Tor, sofern sie es nicht nach Paris verlagerten (wo sie auch schon waren und es toll fanden), bewog sie zu holzschnittartigen Reflexionen:

„Awesome. Years ago Nazi’s marching there, now gloriously a Jew run there. That’s history“ (Tano Durruti)

„Beautiful and clean. It’s pity now is not so safe anymore, feel sad for its citizens“ (Suryani Johan)

Einer mokierte sich über Zuckerbergs Running-around-the-world-Projekt – „Maybe next year you decide to Snowboard the world?“ (Fran Cisco) –, manch einer beschimpfte ihn, zum Beispiel, als er über die Golden-Gate-Bridge lief: „I really wished you jumped from the bridge.“ (Brain Alzate Bermudez)

Ich poste, also bin ich

Angesichts von 83 Millionen Fans seiner Facebook-Seite, die ihn mit ihren Befindlichkeiten, Begehrlichkeiten und selbst mit der Zudringlichkeit ihrer Verehrung bedrängten, war es wahrscheinlich die beste Entscheidung seines Lebens (nämlich seines Beraterteams) gewesen, sich als einer der ihren zu stilisieren: als Jogger, nicht als Läufer. Auch wenn er von den wenigen „echten“ Läufern unter seinen Abonnenten dafür Spott erhielt. Für die überwiegende Mehrzahl war er ein Vorbild. Gerade weil er sich auch in seiner Freizeit so durchschnittlich präsentierte, gab er ihnen Hoffnung, verwandelte die Welt in eine der (virtuellen) Freundschaften, auch wenn dabei nur immer wieder die gleichen Pauschalbotschaften ausgetauscht wurden.

„Keep on running for love and humanity“, kommentierte ein gewisser Abiola Bab’s stellvertretend für Millionen. Im Verlauf der Beschäftigung mit Zuckerberg musste ich einsehen, dass es für Läufer keinen Grund gibt, über offensichtlich inszenierte Photos von offensichtlichen Joggern den Kopf zu schütteln.

Trotzdem las, klickte, scrollte ich weiter, und je mehr seiner Facebook-Einträge ich las, je mehr seiner Fotos und Filme ich mir ansah – sein Haus, seine Frau, sein Hund, sein Toaster –, desto gleichgültiger wurde er mir wieder. Man musste sich nur lang genug mit seiner Facebook-Seite beschäftigen, dann wurde er am Ende richtig langweilig und brav, eine bloße Vorzeige- und Galionsfigur seines Unternehmens auch als Privatperson. Clever! Aber eben auch nur so clever, wie man es als Gefangener seines eigenen Businessmodels sein konnte. Ich poste, also bin ich, und nur wenn ich laufend weiterposte, bin ich weiterhin da und lebendig – das galt in all seiner Unerbittlichkeit auch für den Miterfinder der größten Posting-Plattform der Welt.

Ich war froh, dass ich selber keine Facebook-Seite zu bewirtschaften hatte. Dass man von meinen Läufen nichts als GPS-Streckenkarten sieht, und selbst das nur, wenn man mit mir auf meiner Läuferplattform befreundet ist. Ich lud meinen Pariser Lauf, und indem ich ganz langsam die Karte von Google Maps entlangstrich, sah ich all das erneut, was ich vor einem halben Jahr gesehen hatte.

Unser Autor Matthias Politycki ist Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm „42,195. Warum wir Marathon laufen und was wir dabei denken“.

Matthias Politycki

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