Lagos: Auf Sand gebaut: Korn für Korn dem Ozean abgetrotzt
In der nigeranischen Megastadt Lagos tauchen junge Männer mit Plastiktüten zum Grund der Lagunen – sie arbeiten für die lange Jahre boomende Bauindustrie.
Die Holzboote liegen flach im Wasser. Es sind die gleichen Boote, mit denen Fischer auf die Lagune in Lagos hinausfahren. Doch in diesem Holzboot liegt Sand. Ein junger Mann taucht prustend aus der Lagune auf und wuchtet einen Eimer an den Rand des Bootes. Der nasse Sand fließt auf den Boden des Holzkanus. Andere junge Männer tauchen mit Plastiktüten bis zu vier Meter zum Grund der Lagune ab und tauchen mit den sandgefüllten Tüten wieder auf. Auch dieser Sand landet im Kanu. Wenn die Boote so voll sind, dass sie bei jeder Welle überspült zu werden drohen, machen sich die jungen Männer mit athletischen und vorsichtigen Bewegungen daran, sich selbst auf das Boot zu wuchten, um die Ausbeute ans Ufer zu rudern oder zu segeln. Die Segel sind oft aus zusammengenähten Säcken gemacht. Die Ruder sind so selbst geschnitzt wie die Kanus.
Die nigerianische Metropole am Golf von Guinea ist auf Sand und mit Sand gebaut. Am Ufer entladen andere junge Männer den Sand, der dann an die Bauindustrie weiter verkauft wird. Jahrelang hatten die Sandarbeiter kaum Probleme ihr Material zu verkaufen. Die Stadt boomte. Überall wurde gebaut. Zwar ist die Sandförderung in der Lagune seit Jahren verboten. Die Bauindustrie juckte das bisher nicht sonderlich. Doch seit der Ölpreis abgestürzt ist, sitzt selbst den Superreichen von Lagos das Geld nicht mehr so locker. Viele Bauprojekte sind vorläufig gestoppt worden. Luxusvillen in den feinen Wohngebieten auf der Insel Viktoria, in Lekki oder Ikoyi stehen leer.
Die Wirtschaftskrise schwächt auch die Baukonjunktur
Auch beim Prestigeprojekt Eko Atlantic City geht derzeit wenig voran. Zwar hat der Gouverneur von Lagos, Akinwunmi Ambode, vor wenigen Tagen unter großer öffentlicher Anteilnahme, die Baustelle besichtigt. Doch sein verzweifeltes Werben um private Investoren in das Großprojekt passte kaum zu seinem zur Schau gestellten Optimismus. Eko Atlantic City soll auf einer im Ozean aufgeschütteten Sandbank entstehen. Zehn Millionen Quadratmeter Sand sollen die Basis für ein paar Dutzend Hochhaustürme werden. Geschützt wird das Ganze von einer 8,5 Kilometer langen Mauer, die aus schweren Betonbauteilen gebildet wird. Nach Angaben des Projektmanagers Ronald Chagoury wurde sie für „1000 Jahre gebaut“. So zitiert ihn die nigerianische Tageszeitung „This Day“ aus Anlass des Gouverneurbesuchs.
Monika Umunna, die das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Lagos leitet, berichtet, dass das Gelände komplett umzäunt worden ist. Vier Rohbautürme sind aber zu erkennen. Nur ob da gebaut wird, ist angesichts der Wirtschaftskrise schwer einzuschätzen. Die Inflation ist inzwischen bei 16,5 Prozent gelandet, viele Menschen verlieren ihre Jobs. Dennoch wird Lagos weiter von Einwanderern vom Land überrannt. Im Schnitt kommen täglich rund 6000 Neuankömmlinge in Lagos an. 70 Prozent der mindestens 15 Millionen Einwohner dieser Megastadt leben in Slums. Die meisten davon sind illegal angelegt. Es gibt eigentlich keinen schlecht gesicherten Landstreifen, auf dem nicht Hütten stehen. Bei den Springfluten und sturmbedingten Überschwemmungen sind das die Häuser, die als erste weggespült werden.
Der Streit um die Sandförderung
Aber auch die besseren Stadtteile von Lagos sind ständigen Veränderungen unterworfen. In einer Studie über die ökologischen Veränderungen durch die Urbanisierung in Lagos, fanden die Forscher der Universität Lagos heraus, dass die Insel Victoria jedes Jahr etwa sechs Meter Sandstrand verliert, die der Atlantik davon spült. In Lekki sind es sogar zwölf Meter. Diese Erosion wird von den Planern von Eko Atlantic City als eines der Argumente für die Aufschüttung des neuen Stadtteils genannt. Die Mauer von Lagos werde auch Victoria und Lekki schützen. Neuere Untersuchungen über die Erosion in Viktoria und Lekki seit Beginn der Bauarbeiten in Eko Atlantic City im Jahr 2008 gibt es allerdings nicht.
Die gewaltigen Mengen Sand, die aufgeschüttet wurden, um Eko Atlantic City zu bauen, haben allerdings nicht die Sandarbeiter aus der Lagune geschippt. Dafür sind große Förderschiffe in den Atlantik geschickt worden, die Sand vom Meeresboden abgesaugt haben. Solche Schiffe sind bis heute auch gelegentlich in der Lagune zu sehen. Eigentlich ist die Sandförderung auch für sie schon lange verboten. Die meisten dieser Sandbergbau-Schiffe haben ihre Förderlizenzen seit Jahren nicht mehr erneuern lassen. Sie würden ihnen wohl auch nicht verlängert. Denn die Folgen des Sandabbaus in der Lagune sind dramatisch. Vor allem die Fischer in der Lagune leiden unter dem stetigen Umgraben des Gewässerbodens. Dabei werden Fische getötet, Fischeier zerstört, Jungfische vom Schlamm begraben. Die Fischer aus dem Armenviertel Makoko, das auf Holzstelzen in die Lagune gebaut worden ist, und nur mit Holzkanus zu erreichen ist, tun sich deshalb schwer, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Die ganze Stadt, die in weiten Teilen nur eineinhalb Meter oberhalb des Meeresspiegels liegt, erlebt immer öfter Überflutungen. Das liegt auch daran, dass die Mangrovenwälder in den Sümpfen, die Lagos umgeben haben, inzwischen der immerwährenden Stadterweiterung zum Opfer fallen. Mehr als 20 Prozent der Mangrovenwälder, die gegen Sturmfluten schützten, sind schon verschwunden.
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