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Grauer Star. Mark Zuckerberg trägt stets das gleiche Shirt. „Das spart Zeit“, sagt er und meint: Es gibt Wichtigeres zu tun, als Klamotten aussuchen.
© Facebook

Mark Zuckerberg in Berlin: Unter Freunden

Zwei Tage lang ist er in Berlin gewesen. Er hat Politiker getroffen, einen Preis bekommen und die Nutzer seines Netzwerks Facebook zu einer Fragerunde eingeladen. In T-Shirt, Jeans und Turnschuhen steht Mark Zuckerberg da. Einer wie alle. Zum Greifen nah – und doch ziemlich weit weg.

Seine Klausur hat er extra einige Minuten früher abgegeben, er will dieses wichtige Treffen nicht verpassen. Schnell ins Taxi, vom Hörsaal aus Potsdam zur Arena nach Berlin-Treptow, wo sich an diesem Freitagmittag schon lange Schlangen gebildet haben, als Jonas Umland, Student am Hasso-Plattner-Institut, ankommt. Sicherheitsmänner geben Anweisungen, drinnen strikte Einlasskontrollen wie am Flughafen, Taschen werden durchsucht, nur wer Einladung und Ausweis dabei hat, darf rein.

Empfangen wird er wie ein Popstar

Es wirkt, als ob hier gleich ein Popstar auftritt. Oder ein wichtiger Staatsmann – und kurz nach 13 Uhr steht auf der Bühne dann einer, der irgendwie beides ist: Mark Zuckerberg, 31, Chef des weltweit größten sozialen Netzwerks Facebook, 1,6 Milliarden Nutzer, quasi ein ganzer Kontinent.

1400 Leute sind gekommen, um ihn hier in der Veranstaltungshalle an der Spree zu einem Townhall-Meeting zu treffen. Regelmäßig lässt der Facebook-Chef solche Frage-und-Antwort- Stunden mit Nutzern organisieren, meist an Orten, wo er ein neues Projekt starten will. Oder wo es für Facebook nicht so gut läuft. Und dazu gehört seit einigen Monaten auch Deutschland.

Er sieht aus wie einer der Studenten, die ihm zujubeln

Fast alle Zuhörer beim Townhall-Meeting sind Studenten. Zuckerberg, der Milliardär, sieht aus wie einer von ihnen. Graues T-Shirt, Jeans, Turnschuhe, jeden Tag das gleiche Outfit. Er steht auf keiner großen Bühne, sondern einem kleinen Podest, fast auf Augenhöhe mit den Zuschauern, hinter ihm eine schlichte Holzwand, facebookblau von hinten angeleuchtet. Er wirkt zum Greifen nah. Jonas Umland sitzt nur wenige Meter von ihm entfernt, ganz am Rand, gleich darf er Zuckerberg seine Frage stellen – doch die Antwort wird enttäuschend sein.

Mehrfach war Zuckerberg schon in Berlin, zuletzt im Mai 2013. Während eines privaten Besuchs schaute er sich unter anderem den Reichstag an. Dass er nun wieder in der Hauptstadt ist, liegt auch an Angela Merkel. Am Rande des UN-Gipfels im September in New York hatte die Kanzlerin den Facebook-Chef ermahnt, mehr gegen Hasskommentare zu tun – und erst da merkte Zuckerberg offenbar, dass er dieses Deutschland, wo 28 Millionen Menschen Facebook nutzen, wohl ernster nehmen muss.

Lange ignorierte Facebook die Kritik, zu wenig gegen Hass und Hetze auf seinen Seiten zu tun. Das Netzwerk versteht sich als Ort, an dem Jedermann veröffentlichen kann, was er möchte. Die Welt soll dadurch „offener und verbundener“ werden – doch einige Menschen nutzen Facebook, um das Gegenteil zu erreichen. Sie hetzen, vor allem gegen Flüchtlinge. Sie wollen nicht, dass die Welt offener und verbundener wird. Hass, so glauben sie, könne das verhindern. „Sofort is Genick brechen Das gottverfluchte Pack“, „Zicke zacke Drecks Kanacke raus“, „Leute bewaffnet euch und drauf! Erst zuschlagen, dann fragen...eine andere Sprache verstehen die nicht“, lauten Sprüche, die auf Seiten des Netzwerks zu lesen sind.

„Berlin ist für mich ein ganz besonderer Ort“

Facebook entfernt solche Kommentare nicht von alleine, sondern prüft sie nur, wenn ein Nutzer sie meldet. Gelöscht werden sie selten, was auch daran liegt, dass das Unternehmen aus den USA kommt, wo Redefreiheit so weit geht, dass sogar der Holocaust geleugnet werden darf. Werden Hasskommentare aber nicht entfernt, entsteht schnell der Eindruck, dass sie gesellschaftlich akzeptiert, ja womöglich sogar gewünscht sind – mit der Gefahr, dass die Kanäle mit noch mehr Hetze geflutet werden, es nicht allein bei Worten bleibt. Fast 900 rechtsextreme Straftaten gegen Asylbewerberunterkünfte wurden 2015 gezählt.

Jonas Umland ist ein wenig aufgeregt, er weiß, dass er als Zweiter dran sein wird, um seine Frage an Zuckerberg zu stellen. Er hat sich für diesen Auftritt mit einem Video beworben, kurz vor Beginn erklärt ihm ein Mitarbeiter den Ablauf. Für die Zuschauer aber wird der Eindruck entstehen, dass Zuckerberg ganz spontan antwortet, so, als ob tatsächlich jeder eine Frage stellen könne, die ihm gerade in den Sinn kommt. Das gehört zum Konzept von Zuckerbergs Auftritt, der Authentizität suggeriert, aber doch nichts anderes ist als die Inszenierung von Nähe.

Auch auf seiner Facebookseite setzt Zuckerberg auf dieses Prinzip. Er zeigt Fotos, wie er mit seinem Hund Beast spielt, wie er mit seiner dreimonatigen Tochter im Pool badet, er öffnet seinen Kleiderschrank voller grauer T-Shirts – doch von sich gibt er damit nichts preis, während Facebook-Nutzer noch nicht einmal Pseudonyme verwenden dürfen.

"Berlin ist erst zu einem Prozent fertig"

Begleitet von lautem Applaus tritt Zuckerberg auf sein kleines Podest in der Arena. „Berlin ist für mich ein ganz besonderer Ort“, schwärmt er. Keine andere Stadt der Welt habe so sehr bewiesen, dass Menschen Mauern einreißen und zusammen etwas neu aufbauen können. Er fühle sich in der Stadt, in der es so viele Baustellen gibt, sehr zu Hause. „Berlin ist erst zu einem Prozent fertig, genau wie Facebook“, scherzt er.

Nicht jeder Berliner wird das lustig finden – doch steckt in dem Witz auch viel von dem, was Zuckerberg seit dem Start von Facebook 2004 zu einem der erfolgreichsten Unternehmensgründer in jüngster Zeit gemacht hat.

Er will nie zufrieden sein mit dem, was er erreicht hat. Die neue Facebook-Zentrale im kalifornischen Menlo Park hat er deshalb extra so bauen lassen, dass ein Teil der Außenverkleidung fehlt. Wer in den Büros nach oben schaut, sieht den Rohbau mit Rohren, Kabeln, Beton. Seine Mitarbeiter sollen erst gar nicht auf die Idee kommen, Teil von etwas zu sein, das abgeschlossen ist. Weiter, immer weiter, deshalb auch jeden Tag das gleiche graue T-Shirt, „das spart Zeit“, erzählt er am Donnerstagabend, als er mit dem Axel Springer Award für seine Verdienste als Unternehmer ausgezeichnet wird. Mit einer Anekdote macht er deutlich, dass er das Leben als Wettbewerb sieht, in dem es immer besser zu werden gilt. Und sei es auch nur beim Wechseln der Windeln seiner Tochter Max. Er braucht dafür Pampers, Feuchttücher und eine Stoppuhr, denn ganz ernsthaft misst er die Zeit. „20 Sekunden, das ist mein Rekord“, erzählt er.

Sein Besuch gleicht einer Filterblase

Der Legende nach hat Zuckerberg, damals Student der Informatik und Psychologie an der Eliteuniversität Harvard, Facebook nur aus Frust darüber gegründet, nicht zu den coolen Jungs zu gehören. Er stellte Fotos von Studentinnen ohne deren Erlaubnis ins Internet, Besucher sollten die Bilder bewerten und die jeweils attraktivere Frau auswählen. Daher auch der Name: Facebook, angelehnt an die amerikanische Tradition der Jahrbücher mit Fotos von allen Studenten. Dieses Prinzip, Menschen zu bewerten, kam so gut an, dass Zuckerberg schnell das Potenzial für seine Idee erkannte. Aus dem kleinen Start-up wuchs das milliardenschwere Unternehmen, zu dem heute auch die Fotoplattform Instagram und der Nachrichtendienst WhatsApp gehören. Es lebt von den Daten seiner Nutzer, die täglich auf den Seiten Kommentare, Fotos und Videos posten und dafür „Likes“ sammeln – je mehr sie von sich preisgeben, desto besser für Facebook.

Kurz nach der Geburt von Max hat Zuckerberg angekündigt, 99 Prozent seiner Unternehmensanteile im Wert von rund 45 Milliarden Dollar für Forschung in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Technologie zu spenden. Er will die Welt zu einem besseren Ort machen, sagt er immer wieder – umso weniger mag er es deshalb auch, wenn er wie in Deutschland kritisiert wird. Er will in Berlin deshalb das angeknackste Image des Netzwerks polieren. Was ihm jedoch nur bedingt gelingt.

Denn sein Besuch in Berlin gleicht der Filterblase, in der sich auch die Facebooknutzer bewegen. Bei Zuckerberg müssen kritische Nachfrager draußen bleiben. Journalisten dürfen bei keinem der Termine Fragen stellen, Gegner sind erst gar nicht eingeladen. Zuckerberg will unter Freunden sein.

Am Donnerstag erzählt er vor deutschen Netzpolitikern von Facebooks Forschung zu Künstlicher Intelligenz und verkündet, 1,1 Millionen Euro zu spenden in Form von 25 Großrechnern für Universitäten in Europa. Auch die TU Berlin und die Charité bekommen einen.

Zuckerberg lobt Merkel für ihre Flüchtlingspolitik

Am Freitag dann das Townhall-Meeting. Sich ernsthaft verteidigen oder gar konkrete Antworten geben muss Zuckerberg während seines einstündigen Auftritts nicht. Er hakt 13 Fragen ab, es geht um seinen Hund, seine Tochter, seine Meinung zu den Entwicklungen bei Twitter, er lobt Merkel und ihre Flüchtlingspolitik als ein Vorbild, an dem sich die ganze Welt ein Beispiel nehmen soll. „Auch die USA“, hofft Zuckerberg. Doch ausgerechnet bei dem Thema, für das er überhaupt nach Deutschland gekommen ist, bleibt er eine Antwort schuldig.

Es ist die Antwort auf die Frage von Jonas Umland. Der stellt sie auf Englisch, laut und deutlich, 300 000 Menschen weltweit schauen über den Livestream zu. „Was tut Facebook konkret gegen Hasskommentare, und wonach wird entschieden, ob ein Kommentar gelöscht wird oder nicht?“

Zuckerberg lächelt und sagt, dass das ja eine ganz tolle Frage ist. So, wie er jede Frage lobt und damit suggeriert, dass hier alles ganz spontan passiert und die Fragesteller tatsächlich Einfluss darauf haben könnten, was mit Facebook passiert.

„Facebook ist kein Ort für Hassrede“

„Facebook ist kein Ort für Hassrede“, sagt Zuckerberg – und ignoriert damit, dass ja genau in den Minuten, in denen er hier auf der Bühne steht, das Gegenteil passiert; wie auf der „Fanpage“ von Pegida: „Diesen dreckfressen gehört tagtäglich die Schnauze poliert, dass sich dieses Gesindel überhaupt getrauen kann in einem anderen Land aufzuzucken kann und darf nicht sein“, schreibt ein Nutzer.

Allerdings, so gibt Zuckerberg zu, müsse Facebook besser werden im Kampf gegen Hetzer. Was das Netzwerk konkret tun will und wie, lässt er offen.

Jonas Umland ist damit nicht ganz zufrieden. Es sei zwar gut gewesen, dass Zuckerberg eingesehen habe, dass Handlungsbedarf besteht: „Ich hätte mir aber gewünscht, dass er mehr ins Detail geht, einen genaueren Plan vorstellt oder ein Forschungsprojekt von Facebook.“ Doch genau das hätte Zuckerberg ja angreifbar gemacht. Sein Auftritt in Berlin bleibt deshalb nur ein Symbol für vermeintlich guten Willen. Ob der umgesetzt wird, ist für die Nutzer kaum zu überprüfen. Nach dem Auftritt steigt Jonas Umland wieder ins Taxi, zurück nach Potsdam. Er hat sich gefreut, den Facebook-Chef zu sehen. Aber würde er Zuckerberg für seine Antwort ein „Gefällt mir“ geben? Jonas Umland zögert.

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