Interview mit Anke Engelke: "Ich komme aus der Fernsehsteinzeit"
Mit zwölf trifft Anke Engelke Bob Marley, singt in Udo Jürgens’ Chor – und schleicht sich heimlich zum Europacenter, um Wurst zu essen.
Frau Engelke, wissen Sie, dass in diesem Hotel früher der „Dschungel“ war, West-Berlins bester Club?
Weiß ich, da bin ich in den 80er Jahren gern hingegangen, wenn ich meine Berliner Freundin besucht habe. Es war nicht leicht, reinzukommen. Zum Glück kannte meine Freundin einen der Türsteher, das war so einer mit gebrochener Nase. Ich glaube, ich war nicht ganz volljährig.
Was musste der DJ auflegen, damit Sie und Ihre Freundin auf die Tanzfläche rennen?
Ihr Tanzstil war…
…viel Schuhe angucken, viel über den Boden fegen, wie saubermachen.
Den „Dschungel“ gibt es nicht mehr. Was machen Sie heute, wenn Sie in Berlin sind?
Privat Freundinnen und Freunde treffen. Das haben Berliner und Kölner wahrscheinlich gemeinsam: Ich finde es gut, dass ich hier wieder wegkann. So wie andere Menschen gerne in Köln sind, weil sie da nicht bleiben müssen.
In Ihrem neuen Film geht es um das Thema Burnout. Was glauben Sie, wer ist tendenziell gefährdeter, Berliner oder Kölner?
Da könnte man Statistiken zu Rate ziehen. Man muss kein Spezialist sein, um zu wissen, dass niemand davor gefeit ist, ausgebrannt zu sein. Und einem Burnout liegt immer eine Depression zugrunde. Das ist nichts Amüsantes, sondern eine Krankheit, die einem vermittelt: Ich bin nicht mehr Herr oder Frau meiner selbst, ich bin überfordert.
Hatten Sie jemals das Gefühl, dass alles zu viel wird?
Aber klar. Wäre schrecklich, wenn ich das nie gehabt hätte. Ich wünsche und hoffe doch, Sie kennen das auch. Wir müssen so fühlen dürfen, weil wir sonst keine Menschen wären. Und bei aller Komik – „Happy Burnout“ ist natürlich eine Komödie, wenn auch mit einem ernsten Kern –, das sind alles Fälle, bei denen ich verstehen kann, dass jemand nicht mehr klarkommt.
Da ist die Mutter, die Angst hat, es ginge auch ohne sie, der Sonnenbankbesitzer, der an seinem Geschäftsmodell zweifelt, der Puppenspieler, dem die Kinder auf die Nerven gehen, der Manager, der nicht loslassen kann. Darf man mit den Problemen der Leute Schabernack treiben?
Ich finde, dass der Film das ernst nimmt. Das ist ja kein flapsiger Umgang, was wir da machen, wir thematisieren das mit unserer Kunst, dem Schauspiel.
Der Begriff „Burnout“ steht immer noch im Verdacht, eine Modediagnose zu sein. Und wenn Wotan Wilke Möhring im Film sich als Quereinsteiger als der bessere Therapeut erweist, wird doch die Krankheit auch nicht ernst genommen.
Es stimmt: Wenn die Symptome nicht zu sehen sind, weil da kein Gipsbein ist oder etwas in der Art, wird eine Krankheit nicht von jedem akzeptiert. Das ist ein Thema. Aber wie gesagt, ich bin kein Spezialist auf diesem Gebiet. Kennen Sie persönlich die Angst, nicht mehr gebraucht zu werden?
Ich wüsste nicht, warum. Selbst wenn ich jetzt aufstehe und gehe, wäre das nicht tragisch. Wir hätten dann halt kein Interview. Das wäre ärgerlich, aber davon geht die Welt nicht unter.
Wir dachten an etwas Existenzielleres.
Wenn man Kinder hat, wird man extrem gebraucht.
Und das mag ich. Ich mag es auch, dass ich andere Menschen brauche. Kann sein, dass das meine kleine Einhornwelt ist – ich finde es total schön, gebraucht zu werden.
Irgendwann brauchen einen die Kinder nicht mehr.
Was sind Sie denn für Eltern? Natürlich müssen Sie irgendwann den Brei nicht mehr reichen und die Banane quetschen. Aber Sie werden doch trotzdem gebraucht. Es ist doch herrlich, wenn die andere Seite weiß, da kann ich hinfahren, auch mitten in der Nacht.
"Du bist zu dick"
Wie ist es mit anderen Stressfaktoren, etwa dem Zwang, permanent erreichbar sein zu müssen?
Ah, jetzt kommt wieder die Frage nach meinem Steinzeithandy, puh. Ja, es stimmt. Ich habe kein Smartphone, deshalb ist das nicht so meine Welt. Ich möchte auch nicht meine Zeit damit verbringen, auf so ein Ding zu gucken, aber ich weiß, was Sie meinen. Ich finde es gut, eine SMS schreiben zu können, dann tippt man das und tut das Ding wieder beiseite, und es ist gut. Ich bin ein echter Digital-Non-Native. Bei mir gucken ja schon die trendy Teens in der Bahn, stoßen sich an und sagen, hey ist das da ein Nokia? Ich komme mir vor wie etwas Ausgestopftes. Zum Glück habe ich einen super Handydealer, der kriegt das immer wieder hin, auch als neulich die rote Taste weggeflogen ist. Die Buchstaben kann man auch nicht mehr lesen. Ich mache alles blind.
Mobbing ist ein weiterer der großen Burnout-Gründe. Sie sind schon früh gemobbt worden. Mit 18 wollte man Sie beim Fernsehen nicht mehr haben.
Ach, das war Mobbing? Nein, ich wurde einfach für zu dick gehalten.
Und das fanden Sie gerechtfertigt?
Ich war sehr dick, ich habe nur nicht gleich begriffen, was die meinten. Die haben das ja anders verpackt: Anke, du wolltest doch studieren, mach das jetzt, und später sehen wir weiter. Das ist längst geklärt. Ich fand nur komisch, dass man mir nicht die Wahrheit sagte, ganz klar: Du bist zu dick.
Umso erstaunlicher, dass Sie zum Fernsehen zurückgekehrt sind. Dort ist man gezwungen, einem Schönheitsideal zu entsprechen.
Wir sprechen von den 80er Jahren. Es gab noch nicht die Sozialen Medien, die heute Druck auf junge Mädchen ausüben. Ich glaube, damals war das eigentlich gar nicht so ein Problem.
Sie haben 2016 eine Dokumentation über den Drang zur Selbstoptimierung gedreht. Was ist eigentlich so schlimm an dem Impuls, immer besser werden zu wollen?
Es kommt darauf an, ob man die Grenze sieht und den Zweifel spürt: Kann ich das, will ich das, muss ich das? Ich weiß nicht, ob ich mir 100 Zahlen merken muss und richtig muskulös sein will. Ich halte es für sinnvoll, mich gesund zu ernähren, mich regelmäßig zu bewegen, einfach, weil ich das Leben so spitze finde und hier gerne lange bleiben möchte. Doch ich möchte nicht mit Druck zu etwas genötigt werden.
Ein Erwachsener hält dem vielleicht stand. Doch ein Grundschüler leidet, wenn er kein Smartphone haben darf und deswegen geärgert wird.
Diese Dokumentationen, die ich mache, bilden ja eine Reihe. Es gab die „Selbstoptimierer“, „Sowas wie Glück“ und jetzt geht’s um Angst. Da sprechen Kinder darüber: Ich habe Angst zu versagen. Ich habe Angst, dass ich das falsche Handy habe. Dann muss man mit dem Kind diskutieren, das Thema in der Klasse und mit den Lehrern besprechen. Was ist so gut an diesem Smartphone? Können wir die jetzt alle mal eine Woche wegtun? Was fehlt dann? Wann waren wir das letzte Mal draußen und haben Rambazamba gemacht?
Sie selbst sind sehr jung zum Fernsehen gekommen. Wie sind Ihre Eltern damit umgegangen, dass die zwölfjährige Anke mit Udo Jürgens auftritt?
Ich glaube nicht, dass ich gesagt habe, hallo, ich will jetzt ins Fernsehen, oder dass meine Eltern gesagt haben, hallo, wir haben hier ein talentiertes Kind. Der Schulchor wurde angefragt, mit Udo Jürgens aufzutreten und zwei, drei Songs auf seiner „Jonny und Jenny“-Platte zu singen, das war 1977. Mit so einer Truppe unterwegs zu sein, und alle dürfen Chips essen und literweise Limo saufen und in der Jugendherberge übernachten, das war das eigentliche Abenteuer.
Weil Sie angstfrei sind, hat es Ihnen auch nichts ausgemacht, mit Udo Jürgens aufzutreten.
Angstfrei? Es gab bestimmt Kinder im Chor, die hätten sich nicht zu ihm gesetzt. Ist ja total okay. Da habe ich eben gesagt, na gut, mache ich das. Vielleicht war es auch nicht ganz unwichtig, dass ich meine ersten fünf Lebensjahre in Kanada verbracht habe. Da lernt man schon in der Vorschule, sich hinzustellen und etwas zu präsentieren.
Vor Udo Jürgens standen in der ersten Reihe die Frauen, mit ihren Blumensträußen in Cellophan?
Das habe ich gar nicht gesehen. Ich habe nur gedacht, warum schwitzt der so und hat einen Bademantel an und trinkt so komische Sachen? Das bleibt hängen, und dass ich länger als bis acht aufbleiben durfte.
Ebenfalls mit zwölf haben Sie Bob Marley interviewt. Wie war das?
Ich habe das gar nicht richtig mitgekriegt, der Raum war ja vollkommen zugequalmt. Aber ich habe nicht inhaliert! Es muss noch eine Kassette geben, meine Eltern haben die Radiosendungen damals manchmal aufgenommen. Die kleine Anke spricht mit Bob Marley und sagt: „Hier stinkt‘s aber komisch.“ Weder der mitgereiste Redakteur noch meine Eltern haben mich aufgeklärt.
"Hä? Wieso denn Hollywood?"
Die waren nicht besorgt?
1979, Funkausstellung Berlin, moderiert von vier mutigen Leuten, darunter Désirée Nosbusch und Anke Engelke. Wir waren ungefähr gleich alt, doch Désirée Nosbusch war schon eine Hammerbraut – und ich das Mädchen mit den Zöpfen. Meine Eltern haben gesagt, da muss jeden Abend eine vom Jugendamt dabei sein, die muss gucken, dass die Mädchen auch heil in ihrem Hotel ankommen.
Sie haben sich nie rausgeschlichen?
Vielleicht, um mal eine Wurst am Europacenter zu essen. Dann ging Désirée nach Hollywood. Und meine Eltern wurden auch gefragt, aber die haben natürlich nein gesagt: „Hä? Wieso denn Hollywood? Die ist doch erst 13, nee, nee, die geht mal schön weiter zur Schule!“
Haben Sie damals schon auf Familientreffen als Solistin unterhalten?
Ich fand mich erst mal nicht so geil und die anderen viel lustiger und schlagfertiger. Ich glaube, ich habe erst mit 30 bei der „Wochenshow“ gemerkt, Alter, da lacht der ganze Saal.
Jetzt moderieren Sie schon seit Jahren die Berlinale und werden dafür gefeiert. Ist das lebenslange Übung oder gut auswendig gelernt?
Es gibt gute Autoren, die tolle Sachen schreiben.
Wenn Sie mit dem Schauspieler James Franco flirten, bis er sprachlos wird – ist das einstudiert?
Das war spontan, nachdem ich mich vorher mit Udo Kier und Veruschka von Lehndorff pointenfrei um Kopf und Kragen geredet habe. Ich musste da irgendwie weg, sehe James Franco, denke, der ist Amerikaner, mit dem kann man es machen. Leider fiel dem nichts ein. Nur aus dem Elend kommt die Komik.
Sie halten die Stille aus.
Ich liebe die Irritation, liebe es, mich zu irritieren und zu gucken: Stirbst du jetzt, wenn du das machst, fällst du einfach tot um, weil es peinlich ist? Oder kommst du daraus hervor?
Wie fühlen Sie sich dabei?
Super, weil ich ja sonst keine Drogen nehme.
Und dann sagen Sie auf der Berlinale über den Jurypräsidenten Paul Verhoeven: „Bei dem machen Frauen die Beine breit, auch wenn sie die Rolle schon haben.“ Ein riskanter Witz. Nicht jeder kennt Sharon Stone in Verhoevens „Basic Instinct“.
Der Witz war vorbereitet, und wenn mein Miniteam bei der Probe drüber lacht, wird der Witz gemacht.
Sie haben mal gesagt, Sie fänden den Moment besonders toll, wenn sich die Kameramänner wegdrehen und anfangen, sich auszuschütten.
Deshalb liebe ich die Improvisation. Mit Bastian Pastewka oder Hape Kerkeling kann man das super machen. Da sagen wir vorher, komm, wir gucken, wer bringt den anderen aus dem Konzept.
Und wenn Sie nun Dokumentationen drehen, ist das dann so eine Art Gegengift?
Ach, Sie wollen immer so Parameter, alles irgendwie systematisieren. Ich gehe an alles gleich ran, ob ich nun „Die Sendung mit dem Elefanten“ für Vorschulkinder mache oder eine Reportage, wo ich Menschen Fragen stelle, die mich wirklich interessieren. Es ist doch nicht so, dass ich ernsthaft beim Südwestfunk begonnen habe, dann lustig wurde und jetzt wieder ernsthaft bin.
Die neue Staffel der Sitcom Ihres Kollegen Bastian Pastewka wird bei Amazon Prime zu sehen sein. Die Zeit des linearen Fernsehens, mit dem auch Sie groß geworden sind, ist vorbei. Bedauern Sie das?
Ich habe mal ein Ferienprogramm moderiert, da kam zwischendurch der Wetteronkel und erklärte: „Morgen werden es 32 Grad.“ Und ich: „Okay, dann geht mal morgen alle ins Schwimmbad, wir sehen uns übermorgen.“ Wenn heute einer vor laufender Kamera sagt, am nächsten Tag braucht ihr nicht einzuschalten, dann wird er vor laufender Kamera erschossen. Sie sehen, ich komme aus der Fernsehsteinzeit.
Da war der Fernseher ein Lagerfeuer, um das sich alle versammelten. Dann war Sendeschluss.
Ich bin ein Fan der Mediatheken. Trotzdem brauche ich nicht alles ständig und überall, auch das Fernsehen nicht. Wann Schluss ist, bestimme ich selbst.