Model mit Tiefgang: Veruschka alias Vera von Lehndorff: Sterblich schön
Als "Veruschka" wurde Vera von Lehndorff zum ersten deutschen Supermodel. Lange nach ihrer Modelkarriere widmet sie sich in ihrer Kunst heute den düsteren Lebensfragen.
"Nein, die kann nicht von uns sein". So uncharmant wurde Vera von Lehndorff auf der Welt begrüßt. Sie sei ein so hässlicher Säugling gewesen, erzählt sie am vergangenen Donnerstag in der Berliner Universität der Künste, dass sich ihr Vater sich eine Verwandtschaft kaum vorstellen konnte. Wie hätte er auch wissen können, dass aus dem runzligen Neugeborenen ein paar Jahrzehnte später "die schönste Frau der Welt" werden würde. Also solche wurde Vera von Lehndorff in den 60er Jahren unter dem Künstlernamen "Veruschka" zum ersten deutschen Supermodel. Das erlebte ihr Vater nicht mehr mit. Heinrich Graf von Lehndorff-Steinort ging als Nationalheld in die deutsche Geschichte ein. Nach seiner Teilnahme an der Verschwörung des 20. Juli 1944 und dem misslungenen Anschlag auf Adolf Hitler, wurde er hingerichtet. Vera von Lehndorffs Mutter kam in ein Arbeitslager, sie selbst und ihre Schwestern lebten bis zum Ende des Krieges in einem SS-Kinderheim. Ein düsterer Lebensstart, der auch in der Erscheinung und der Arbeit Vera von Lehndorffs heute noch spürbar ist.
Die Mode als Zwischenstopp, die Kunst als Ziel
Über die Mode hinaus berühmt wurde sie durch ihr Leinwanddebüt in Michelangelo Antoninis Kultfilm "Blow Up" von 1966, dem das C/O Berlin Anfang des Jahres eine eigene Ausstellung widmete. Nach zahlreichen Titelstrecken für internationale Ausgaben der "Vogue", Zusammenarbeiten und Partys mit Andy Warhol oder Paul Morrissey, hat Vera von Lehndorff zur Kunst gefunden. "In meiner Modezeit war ich nur ein Produkt und habe Produkte verkauft. Ich habe die Zeit nur als Übergangslösung genutzt, auf dem Weg in die Kunst", sagt sie heute. Und ihre Kunst ist häufig von den dunklen Fragen des Lebens inspiriert.
"Erst wenn man den Tod verdrängt, wird er furchtbar."
Ende Mai stellte sich Vera von Lehndorff in der UDK einer Diskussion über "Altern und Tod" mit dem Autor und Philosophieprofessor Byung-Chul Han. Wenn ein ehemaliges Supermodel über das Altern sprechen soll, dann könnte man profanes Geplauder über Falten und graue Haare befürchten. Nicht so mit Vera von Lehndorff. Sie hegt eine aufrichtige, tief gehende Faszination für das Ende des Lebens. "Erst wenn man den Tod verdrängt, wird er furchtbar. Man muss einfach schauen, was man daraus machen kann. Ich finde es absurd, dass wir das Altern und den Tod so von uns weg schieben", sagt sie. Was denn die positive Seite des Alterns ist, will Byung-Chul Han wissen. Von "Positiv" könne sie doch nicht wirklich sprechen, räumt von Lehndorff ein, "Wahnsinnig toll ist es nicht, wenn man so zusammen schrumpelt und die ersten Probleme an den Knien bekommt. Trotzdem gibt es eine Schönheit des Alterns und des Todes, die ich durchaus wahrnehme."
Diese Schönheit hält Vera von Lehndorff in großformatigen Gemälden fest und bedient sich dabei einem ungewöhnlichen Material. "Mich fasziniert Asche schon seit den 80er Jahren. Damals habe ich begonnen, verschiedene Arten von Asche zu sammeln. Ich habe unterschiedliche Hölzer verbrannt, auch Briketts, Kohle und Papier, und verschiedenfarbige Aschen gesammelt. Damit habe ich gemalt." Außerdem inszeniert sie Performances, die sich im Dunstkreis der Endlichkeit bewegen. In einem Kunstfilm wandelt von Lehndorff ruhelos umher, legt sich immer wieder an verschiedene Orte, um Minuten später nach einem neuen Platz zu suchen. Sie sei besessen von der Suche nach dem richtigen Platz zum Sterben. "Dazu kam ich durch den Tod einer meiner Katzen. Viele Tiere suchen ja ganz natürlich nach dem geeigneten Platz zum Sterben. Wir dürfen das ja gar nicht so richtig. Wir dürfen oft nicht mal im eigenen Bett, sondern müssen im Krankenhaus sterben. Das alles ist so entfremdet und furchtbar", sagt Vera von Lehndorff.
Für Vera von Lehndorff zählt das eigene Erlebnis, nicht die organisierte Religion
In Religionen habe sie auf ihre vielen Fragen nach der Vergänglichkeit nie eine umfassende Antwort gefunden. Der Katholizismus, zu dem sie gemeinsam mit ihrer Mutter konvertierte, hatte ihr in ihrer Kindheit ob der Dramatik und großspurigen Inszenierung imponiert. Irgendwann sei sie damit aber "nicht mehr fertig geworden", ebenso wie mit dem Buddhismus und der transzendentalen Meditation, der sie sich später widmete. "Die organisierte Religion ist einfach nichts für mich, da kommt es irgendwann immer zu Machtkämpfen. Man ist schon erleuchtet, oder auf dem Weg dahin, der Meister ist der Erleuchtete… Durch diese Organisation wird das alles zwangsläufig eine Bedrängnis, auch der Tod und das Leben danach", sagt sie, "ich habe in den unterschiedlichen Religionen viel gesammelt, aber ich habe mich von der Organisation befreit. Ich weiß heute, dass nur das zählt, was ich selbst in mir erlebe."
"So, jetzt wissen hier auch alle, wie verrückt ich bin."
Das eigene Erleben sei heilsam und aufschlussreich, war für Vera von Lehndorff aber sicherlich nicht immer einfach. Jahrelang kämpfte sie gegen Depressionen an. Auf die und ihre zwei Selbstmordversuche spricht sie auch Byung-Chul Han an. Leider mit boulevardeskem Unterton, der so manches Gespräch zum Kippen gebracht hätte. Nicht dieses, denn eines hat sich Vera von Lehndorff auch in ihren schwersten Zeiten bewahrt: Einen bitterbösen Humor. "In so einem Zustand des Wahnsinns macht man sich seine eigene Realität. Für mich selbst war ich die Reinkarnation des Bösen", sagt sie. Passend dazu habe sie in einer ihrer depressiven Lebensphasen eine alarmierende Erfahrung gemacht. "In einer Pariser U-Bahn saß mir gegenüber eine ganz aufgelöste, weinende Frau. Als ich ihr meine Hilfe angeboten habe, hat sie nur gesagt: 'Nein, nein, nicht Sie, Sie sind der Satan'. Ich habe mich in meinem Irrglauben einfach nur bestätigt gefühlt", erzählt von Lehndorff fast beiläufig und lacht: "So, jetzt wissen auch hier alle wie verrückt ich wirklich bin."