Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Die Angst nutzt sich ab“
Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus. Diesmal: Berge voll Müll und weiße Flecken im CT. Ein Interview.
Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf Berliner Intensivstationen mit Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.
Herr Lange, Sie sind zurück auf Station. Was erleben Sie?
Die Zahlen sind sprunghaft angestiegen und statt der üblichen älteren Patient:innen, betreue ich nun jüngere zwischen 35 und 60, die auch nicht alle beatmet werden müssen, also häufig mildere Verläufe haben. Gestern ist mir aufgefallen, was für enorme Mengen Müll wir verbrauchen: bergeweise Schutzkittel, Folien, Handschuhe, Masken und Medikamentenverpackungen stapeln sich in den Kammern. Ansonsten ist alles wie immer.
Corona ist Ihr Alltag.
Ich merke, wie routiniert wir inzwischen sind. Wir erkennen Covid bereits an den CT-Bildern – die geschädigte Lunge zeigt sich da weiß statt schwarz. So was habe ich vor der Pandemie mal als Lungenentzündung gesehen, aber selten derart ausgeprägte weiße Flächen. Ich bin auch nicht mehr verwundert darüber, wenn Patient:innen ruhig schlafen und von einer auf die andere Sekunde anfangen nach Luft zu schnappen, als habe ihnen jemand den Kopf unter Wasser gedrückt.
Ich habe mich daran gewöhnt, die Vitalparameter bei diesen Fällen sehr engmaschig zu kontrollieren, manchmal machen wir stündlich Blutgasanalysen.
Dabei prüfen Sie, ob die Lunge ihre Funktion noch erfüllt: dem Körper Sauerstoff zuführen, Kohlendioxid abführen.
Im Extremfall, wenn also weniger Sauerstoff im Blut ist als Kohlendioxid, sprechen wir von „gekreuzten Gasen“. Dann müssen wir sofort intubieren. Generell ist die Beatmung ein Balanceakt: Wir dürfen die Reserven der Kranken nicht zu lange erschöpfen und wollen gleichzeitig „lungenprotektiv“ arbeiten. Je nach Zustand bekommen die Menschen daher eine Sauerstoffmaske oder eine NIV, eine nicht-invasive Atemunterstützung, die an Mund und Nase festgeschnallt wird oder werden eben intubiert.
Sie müssen sich die Lunge als Luftballon vorstellen, hohe Beatmungsdrücke dehnen das Organ, das erleichtert den Gasaustausch – ist jedoch auch eine starke Belastung fürs Material. Wie Karl Lauterbach immer sagt: Wir sprechen bei Corona viel über Tod. Aber wenn ein 30-Jähriger mit einer geschädigten Lunge bei uns entlassen wird, dann ist das auch richtig schlimm.
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Sie selbst wurden vor wenigen Wochen mit Astrazeneca geimpft. Weil sie unter 60 sind, bekämen Sie die zweite Spritze nur auf eigene Gefahr.
Ich nehme erstmal nichts mehr, verzichte auf die Tranche, die ich im Mai bekommen sollte. Jetzt ist ja im Gespräch, dass die Impfstoffe gemischt werden können. Aber solange das nicht erprobt ist, habe ich ein ungutes Gefühl. Obwohl ich ja dauernd mit Covid zu tun habe und dadurch gefährdet bin. Aber es ist, als würde man täglich Bungee springen. Die Angst nutzt sich ab.