zum Hauptinhalt
Ricardo Lange ist Intensivpfleger in Berlin. In seiner Kolumne "Außer Atem" berichtet er wöchentlich von seiner Arbeit an der Corona-Front.
© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Intensivpfleger über Intubation: „Sie japsen als kämen sie vom Joggen“

Covid-19-Patienten werden oft künstlich beatmet. Intensivpfleger Ricardo Lange über Luftröhrenschnitte, Narkosemittel und langsame Genesung.

Ricardo Lange, 38, ist Intensivpfleger in Berlin. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern. Dies ist die siebte Folge seiner Kolumne.

Mittlerweile konnten einige unserer Covid-19-Patienten die Intensivstation genesen verlassen. Wochenlang waren sie bei uns künstlich beatmet worden. Dazu werden sie vorher intubiert - ein Wort, das man jetzt überall hört. Was genau wir dabei machen, will ich heute schildern.

Wer mit Covid-19 auf Intensiv landet, dessen Lunge ist vom Virus extrem geschwächt, er japst, als käme er gerade vom Joggen. Seine Blutwerte zeigen uns, dass er zu wenig Sauerstoff bekommt, manchmal ist sein Bewusstsein auch schon eingetrübt. Um eine hektische Notfallintubation zu vermeiden, reagieren die Ärzte hier sehr schnell.

Während ich oder eine andere Pflegekraft alles für die Intubation vorbereiten, wird der Patient präoxygeniert, er bekommt also über eine Maske, die Mund und Nase abdichtet, reinen Sauerstoff zugeführt. Mit dieser Anreicherung im Blut überbrücken wir die Zeit bis zur abgeschlossenen Intubation.

Schutzvorrichtung aus Plexiglas

Bei einem Coronapatienten platzieren wir zusätzlich eine Schutzvorrichtung aus Plexiglas über dem Kopf, am Kopfende befinden sich zwei kleine Öffnungen, durch die der Arzt seine Arme einführt.

Ich stehe zum Anreichen neben dem Patienten, nach unten ist die Schutzvorrichtung offen, somit ist nur der Arzt vor dem Aerosol geschützt. Aber ich trage ja meinen gelben Schutzkittel, FFP-3-Maske und Gesichtsvisier.

[Behalten Sie den Überblick über die Corona-Entwicklung in Ihrem Berliner Kiez. In unseren Tagesspiegel-Bezirksnewslettern berichten wir über die Krise und die Auswirkungen auf Ihre Nachbarschaft. Kostenlos und kompakt: leute.tagesspiegel.de. ]

Auf Anweisung des Arztes injiziere ich das Narkosemittel Propofol, das Schmerzmittel Sufentanil und dann ein Relaxans, das die eigenständige Atmung des Patienten für kurze Zeit unmöglich macht.

Sobald die Medikamente wirken, überstreckt der Arzt den Kopf des Patienten, zieht ihn also nach hinten, ich reiche den Spatel an. Durch das Relaxans ist es so, als würde der Patient die Luft anhalten. Viel Zeit bleibt demnach nicht. 

Mit dem Spatel hebelt der Arzt die Zunge des Patienten herunter, jetzt hat er einen guten Blick auf den Kehlkopf. Dabei kann in sehr seltenen Fällen ein Zahn verletzt werden. Nun reiche ich den Tubus an, eine Hohlsonde, in der sich ein Führungsstab befindet, damit sie sich beim Einführen nicht verformt. Der Arzt schiebt den Tubus am Spatel entlang, bis er durch die Stimmbänder in die Luftröhre kommt.

[Die anderen Folgen der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange lesen Sie hier, hier, hier und hier]

An der Spitze des Tubus befindet sich ein Ballon, der so genannte Cuff, er dichtet den Tubus in der Luftröhre ab, damit keine Luft entweichen kann.

Es kommt vor, dass ein Pfleger später beim Rasieren des Patienten das nadeldünne Schläuchlein anschneidet, das mit dem Ballon verbunden ist, oder dass der Patient drauf beißt. Dann hört man es rasseln und blubbern - das ist der undichte Cuff. In solchen Fällen müssen wir ganz neu intubieren.

Beatmungsschlauch auf einer Intensivstation.
Beatmungsschlauch auf einer Intensivstation.
© Imago

Ich entferne den Führungsstab. Bevor wir das Beatmungsgerät an den Tubus anschließen, überprüft der Arzt standardmäßig, ob er den Tubus auch wirklich in die Luft- und nicht versehentlich in die Speiseröhre eingeführt hat.

Dazu hört er mit einem Stethoskop den Brustkorb ab, während ich mit einem Einweg-Beatmungsbeutel Luft in die Hohlsonde pumpe. Hört der Arzt die Luft einströmen, weiß er, dass der Tubus richtig liegt.

 Geschwollene Zunge

In den folgenden Wochen verlagere ich den Tubus einmal pro Schicht vom einen Mundwinkel in den anderen, um Druckstellen zu vermeiden. Ich muss aufpassen, dass der Patient nicht zu wach ist und mir in den Finger oder auf den Tubus beißt.

[Aktuelle Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Die Entwicklungen speziell in Berlin an dieser Stelle.]

Oft liegt auch eine geschwollene Zunge im Weg, weil die Niere nicht richtig arbeitet - Covid-19 schädigt ja so einige Organe. Zusätzlich höre ich in jeder Schicht mit einem Stethoskop beide Lungenflügel ab. Rutscht der Tubus beim Umlagern mal zu weit rein, kann es sein, dass er nur noch einen Lungenflügel beatmet.

Tubus, Trachealkanüle und Spatel
Tubus, Trachealkanüle und Spatel
© Ricardo Lange

Wenn wir davon ausgehen, dass ein Patient besonders lange künstlich beatmet werden muss, legen wir ihm eine Trachealkanüle. Das ist ein Röhrchen aus Kunststoff, das wir mit einem Luftröhrenschnitt einführen. Dann braucht er keinen Tubus mehr.

 Langsame Entwöhnung

Wie bei einem Arm, der eingegipst schlaff wird, baut sich auch die Atemmuskulatur ab, wenn eine Maschine ihre Arbeit übernimmt. Wenn wir ihn für stabil halten, muss der Patient das selbstständige Atmen erst wieder lernen, diese Entwöhnung nennen wir Weaning.

Stück für Stück, wie beim Fitnesstraining, verringern wir dann die Sauerstoffbeigabe und den Druck, schleichen auch die Narkosemittel langsam aus. Das Gerät erkennt, wenn der Patient atmen will und unterstützt ihn dabei ganz leicht.

Inzwischen sind auch die Verdachtsfälle bei uns rückläufig. Unsere Sorge, dass wir nach den Osterfeierlichkeiten Unmengen Patienten bekommen würden, hat sich nicht bestätigt. Vielleicht wird doch noch alles gut.

Zur Startseite