Berliner Intensivpfleger an der Corona-Front: „Pandemie-Prämie? Bei mir ist kein Cent angekommen“
Ricardo Lange berichtet jede Woche aus dem Krankenhaus. Diesmal: Sekrete in Boxen und eine Frage an Jens Spahn. Ein Interview.
Ricardo Lange, 39, arbeitet als Pflegekraft auf einer Berliner Intensivstation. Seine Klinik ist eine der 17 Einrichtungen mit einem Covid-Schwerpunkt. Hier berichtet er jede Woche von Nachtschichten, Provisorien und Hoffnungsschimmern.
Herr Lange, Gesundheitsminister Jens Spahn hat einen weiteren Corona-Bonus für Pflegekräfte angekündigt. Freut sie das?
Klingt erstmal gut, dass die Bundesregierung 450 Millionen dafür locker machen will. Ich erinnere aber daran, dass Leasingkräfte wie ich bereits in der ersten Runde keinen Cent davon bekommen haben. Auch manch festangestellter Kollege ist leer ausgegangen. Von einer „zweiten“ Prämie können wir also nicht sprechen. Vielleicht ließe sich das Geld jetzt gerechter verteilen? Dann müssten allerdings die Putzkräfte in den Kliniken einbezogen werden.
Auch sie stehen an der Front.
Ohne sie könnten wir unseren Job nicht machen. Früher habe ich ein Set Schutzkleidung pro Schicht verbraucht, jetzt können es schon mal acht der großen Plastikumhänge sein. Dazu kommen Masken, Hauben und Handschuhe in ungeahnten Mengen. Außerdem Filter, Schläuche und Verpackungsmaterial – so voll waren unsere Stationen ja noch nie, auch wenn wir deutlich merken, dass die Patienten wieder weniger und älter oder vorerkrankter werden.
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Corona ist eine echte Materialschlacht.
Den Urin kippen wir nicht mehr in ein dafür vorgesehenes Spülbecken, sondern in eigens dafür aufgestellte Boxen, die sich, ähnlich wie Spritzenbehälter, nicht mehr öffnen lassen. Da packen wir neuerdings auch das abgesaugte Sekret der beatmeten Covid-Patienten rein, ist ja alles hoch infektiös. Die Reinigungskräfte schleppen mehr denn je, Verstärkung bekommen sie nicht, denn auch hier herrscht Personalmangel.
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Diesen Job kann und will schließlich nicht jeder machen: Die Dämpfe der Desinfektionsmittel einatmen, den Würgereiz aushalten, wenn Stuhlgang und Erbrochenes weggewischt werden müssen. Und die vielen Toten sehen. Die Kolleginnen, die ich kenne, arbeiten meist zwölf Tage hintereinander, nach zwei Tagen Pause geht es weiter.
Wenn Herr Spahn nun außerdem sagt, unsere Intensivstationen seien nie überlastet gewesen, warum mussten dann Patienten auf andere Stationen verlegt werden, wo sie Personal betreut, das dafür nicht ausgebildet ist? Warum mussten OPs verschoben werden? Und warum kamen meine Kollegen und ich aus dem Urlaub zurück, um einzuspringen? Ich freue mich über eine Antwort.