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Die Klinik, in der Ricardo Lange arbeitet, gehört zu den 16 Einrichtungen in Berlin mit einem Corona-Schwerpunkt.
© Doris Spiekermann-Klaas

Berliner Intensivpfleger über die Lage an Kliniken: „Ich darf keine Fehler machen, auch wenn mein Körper sich im Schlafmodus befindet“

Schlafmangel, Erschöpfung und Energydrinks: Intensivpfleger Ricardo Lange über Stress im Nachtdienst – und den Jetlag danach.

Ricardo Lange, 38, ist Intensivpfleger in Berlin. Hier berichtet er jede Woche von Schichten an der Corona-Front, Provisorien und Hoffnungsschimmern.

Seit Beginn meiner Tätigkeit als Intensivpfleger arbeite ich im Schichtsystem. Ich wechsele also regelmäßig zwischen Früh-, Spät- und Nachtdiensten. Das hat mit meinem Leben einiges gemacht.

Natürlich war mir bei der Berufswahl klar, dass ich am Wochenende arbeiten muss, dass ich Weihnachten häufig im Krankenhaus feiere und nicht bei jeder Familienfeier dabei sein kann. Ich bereue das nicht. Dennoch wünsche ich mir, dass es für die verpasste Lebenszeit von uns Pflegekräften einen Ausgleich gibt. Ein Corona-Bonus, wie ihn Jens Spahn nun teilweise plant, reicht da nicht. 

Besonders anstrengend ist für mich schon immer der Nachtdienst. Ich muss Medikamente präzise anmischen, Blutgasanalysen richtig deuten, komplexe Geräte bedienen und darf bei einer Reanimation keinen Fehler machen, auch wenn mein Körper sich gerade voll im Schlafmodus befindet. Es geht schließlich um Menschenleben. Wenn mich die Müdigkeit übermannt, versuche ich mich mehr zu bewegen oder greife zum Energydrink, aber nach ein paar Nächten am Stück hilft auch das wenig.

Meistens habe ich zwei Nachtdienstblöcke im Monat mit jeweils drei bis vier Tagen hintereinander. Danach fällt es mir schwer, wieder in meinen Schlafrhythmus zu kommen. Entweder ich kann nicht ein- oder nicht durchschlafen. So geht es Studien zufolge übrigens 80 Prozent aller Schichtarbeiter. In meinem Kollegenkreis beobachte ich auffällig viele Krebserkrankungen, auch da legen Studien einen Zusammenhang nahe.

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Wenn ich nach der Nachtschicht um 7 Uhr morgens nach Hause komme, zählt dies als freier Tag. An dem bin ich allerdings kaum zu gebrauchen. Ich fühle mich wie im Jetlag. Es macht mich wahnsinnig, wenn der Postbote um 11 klingelt. Von Kollegen mit Kindern bekomme ich mit, wie schwierig es ist, denen beizubringen, nicht ins Zimmer zu platzen und ständig still zu sein.

Auch schwierig: Schnell wieder müde werden

Manchmal liegen nur 23 Stunden zwischen spätem Dienstende und morgendlichem Schichtbeginn. Dann muss ich um 12 Uhr mittags, also nach gut vier Stunden Schlaf, aufstehen, die Hunde Gassi führen, Erledigungen machen und müde werden: Ich muss ja wieder früh ins Bett, um 5.30 Uhr klingelt erneut der Wecker. 

Lange habe ich festangestellt in einer Berliner Klinik gearbeitet, Vollzeit mit 160 Stunden im Monat und insgesamt acht freien Tagen. Häufig habe ich drei von vier Wochenenden gearbeitet und wegen des allgemeinen Personalmangels bin ich oft eingesprungen. Irgendwann nahm der Bluthochdruck zu und auch die schlechte Laune, zu Hause stritt ich mich viel mit meiner Freundin.

Kollegen erzählten mir damals vom Konzept Leiharbeit. Spezielle Firmen vermitteln dabei qualifiziertes Fachpersonal an Kliniken. Viele arbeiten dort vorübergehend, um gewisse Lebensabschnitte zu überbrücken. Oft sind es alleinerziehende Mütter, Studierende oder Menschen, die einen kranken Angehörigen zu Hause pflegen. Einige Klinikmitarbeiter jobben nebenbei als Minijob in einer Leiharbeitsfirma, um ihr Gehalt aufzubessern. Für mich war es die richtige Entscheidung, in eine solche Leasing-Firma zu wechseln. Heute arbeite ich nur noch 136 Stunden im Monat und nur zwei Wochenenden, auch wenn ich weiterhin alle drei Schichten besetze.

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Leiharbeit hat einen schlechten Ruf. Aber anders als in anderen Berufen hat man als Pflegekraft viele Vorteile davon! Man verdient etwas besser, kann mehr Einfluss auf Urlaubs- und Dienstpläne nehmen. Nicht nur habe ich verschiedene Berliner Kliniken und deren Therapiekonzepte kennengelernt, ich habe auch mehr Zeit für meine Familie und meine Hunde. Ich gehe wieder gern zur Arbeit. Trotzdem kommt es vor, dass ich bei einem Kinobesuch mitten im Film einschlafe. Sport im Verein zu machen, mit festen Zeiten, ist schwierig.

Anfang des Jahres hat das Land Berlin eine Bundesratsinitiative eingereicht, um Leiharbeit in der Pflege zu verbieten. Klar, dieses Modell kostet die Krankenhäuser mehr Geld, es mag auch sein, dass dadurch die Teams weniger eingespielt sind. Ich habe aber das Glück, seit längerer Zeit auf derselben Station eingesetzt zu sein. Und ich habe selbst erlebt, wie lehrreich meine Krankenhauswechsel sind: Wenn ich beispielsweise einige Zeit auf einer Intensivstation mit infektiologischem Schwerpunkt gearbeitet habe, bin ich auf einer interdisziplinären Station sehr gut vorbereitet, wenn ein Corona-Patient kommt.

[Die bisher erschienenen Folge der Kolumne "Außer Atem" mit Ricardo Lange finden Sie  lesen Sie hier, hier, hier und hier.]

Warum versucht man nicht, stattdessen die Arbeitsbedingungen bei der Stammbelegschaft in der Pflege zu verbessern? Das würde den Beruf so viel attraktiver machen. Denn nichts gefährdet das Patientenwohl so sehr wie Personalmangel.

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