Conchita Wurst versus Barbara Schöneberger: Aus eins mach zwei – Der Samstag wird zum ESC-Duell
Die ARD, Pro7 und der Eurovision Song Contest: Am Sonnabend buhlen beide um die Fans des abgesagten Wettbewerbs – Spektakel inklusive.
Wer am 6. April 1974 vor dem Fernseher sitzen durfte, um den Grand Prix Eurovision zu sehen – übertragen aus dem englischen Brighton –, erlebte die Geburtsstunde einer Popband, die die Welt erobern würde. „Waterloo“ sangen die Vier von Abba – das Gegenteil war der Fall. Nicht die Niederlage, sondern der fulminante Sieg brachte das Quartett aus Schweden nach Hause. Es folgten Nummer-1-Hits am laufenden Band – bis zur Auflösung der internation erfolgreichen Gruppe Anfang der 80er Jahre.
Seither trägt einige Zuschauer die Hoffnung, einen ähnlichen „A Star Is Born“-Moment der Musikgeschichte noch einmal zu erleben. Für die Deutschen waren die Jahre 1982 und 2010 besonders erfolgreich. Nicole setzte mit „Ein bisschen Frieden“ und Lena durch ihren „Satellite“ einen ESC-Glitzer- und Glamourpunkt. Doch in diesem Jahr hieß es für die Fangemeinde zunächst: aus und vorbei. Corona forderte auch diesen Zoll von Europa.
Schwitzende Tänzer, deutliche artikulierende Sängerinnen, eng jubelndes Publikum, einander um den Hals fallende Sieger und daueraktive Windmaschinen – keine Option in Zeiten der Zurückhaltung. Musik und Tanz und Party, das, was am meisten Spaß macht, ist nicht nur auf dem Kontinent bis auf Weiteres gestrichen. Am 18. März teilte die European Broadcasting Union (EBU) mit: Der Eurovision Song Contest in Rotterdam ist abgesagt.
Lange Gesichter also. „Doch das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht“, singt Bosse, und wie Phönix aus der Asche stieg ESC-Profi Stefan Raab aus dem Homeoffice und schenkte dem Land einen Ersatz. Das war am 31. März. Aufatmen bei allen, die den ESC-Abend als fröhliches Feier zelebrieren, selber Punkte vergeben und für die das europäische Pop-Event zum Jahresrund gehört wie für andere das Oktoberfest.
Die Krise als Geburtsstunde von etwas Neuem
„Wenn es als einzige Lösung einer Krise erscheint, aufzugeben, dann ist der beste Zeitpunkt für die Geburtsstunde von etwas Neuem“, kommentierte Raab mit einem Seitenhieb die Absage und setzte damit die ARD unter Druck. Schließlich ist das Erste auf die Übertragung des Eurovisions-Klassiker abonniert, der seine Premiere 1956 erlebte.
Kleiner Seitenhiebe auf Raab
Die ARD zog also nach. Ende April wurde bekannt, dass man ein „eigenes Finale“ plane, live aus der Elbphilharmonie. Das Vorpreschen der Konkurrenz kommentierte ARD-Unterhaltungschef Thomas Schreiber mit einem Seitenhieb auf Raab: „An und für sich ist die Idee charmant, nur bei der Wahl des Tages frage ich mich, was er geraucht hat. Dass der 16. Mai ESC-Tag ist, ist ja nix Neues.“
Das Alleinstellungsmerkmal war dahin. Zwei Shows zu einem Thema zur gleichen Sendezeit? Die Angebote werden sich gegenseitig „kannibalisieren“, vermutet Schreiber.
Was wird den Zuschauern nun geboten? In der ARD-Show „Eurovision Song Contest 2020 – das deutsche Finale“ treten ab 20.15 Uhr zehn diesjährige ESC-Teilnehmer gegeneinander an (siehe unten). Moderiert wird der Abend von Barbara Schöneberger, erfahrene ESC-Begleiterin. Auch die "Stimme des ESC", Peter Urban, ist dabei.
Im Anschluss zeigt das Erste dann die internationale Ersatz-Revue „Europe Shine a Light“ aus dem niederländischen Hilversum, die Klubbb3-Sänger Jan Smit moderiert. Dabei werden die Künstler geehrt, denen Corona den ESC-Auftritt vermasselt hat. Ein Voting gibt es dabei nicht.
Pro7 buhlt parallel um die Fans europäischer Popmusik. Die ESC-Siegerin von 2014 Conchita Wurst („Rise like a Phoenix“) wird die große queere Fangemeinde begeistern und gemeinsam mit Moderator Steven Gätjen den „Free European Song Contest“ live aus Köln präsentieren. Man könnte ihn allerdings auch Raab-Contest nennen. Obwohl sich der erfolgreiche Entertainer 2015 vom Bildschirm zurückgezogen hat, schwebt er über der gesamten Planung, seine Firma produziert die Show für Pro7.
Der deutsche Beitrag ist noch ein Geheimnis
Beim „#FreeESC“ gehen 15 Länder ins Rennen, vertreten von Künstlern, die einen Bezug zu der jeweiligen Nation haben – ob Geburtsland, Staatsbürgerschaft oder die Herkunft der Eltern. Ein großes Geheimnis wird um den deutschen Beitrag gemacht. Stefan Raab verkündete, es werde sich um „eine echte Legende“ handeln. In den Internetforen fällt der Name von Sarah Connor, andere vermuten, Raab selbst könnte sich - nach seinem Abschied 2015 - wieder einmal auf die Bühne stellen.
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Für Pro7 sind die Spekulationen bare Quote, Moderator Gätjen orakelt: „Alles kann, nichts muss. Und wir kennen Stefan, wir wissen, er ist für Überraschungen gut.“ Am Ende wird Pro7 – ganz klassisch – quer durch Europa schalten, um die Punkte einzusammeln. In Deutschland, Österreich und der Schweiz werden diese per Zuschauervoting vergeben. In den anderen Ländern ist eine Art Jury für die Wertung zuständig.
Die ARD nannte ihn einst den "ESC-König"
Dass Raab sich für die europäische Popmusik ins Zeug legt, hat Tradition. Nicht nur, dass er selbst im Jahr 2000 mit „Wadde hadde dudde da?“ den fünften Platz beim ESC belegte. Auch die deutschen Kandidaten Guildo Horn und Max Mutzke wurden auf seine Initiative ins Rennen geschickt. Sein größter Erfolg beim Eurovision Song Contest gelang ihm allerdings vor zehn Jahren. Am 29. Mai 2010 startete die damals 19-jährige Lena mit „Satellite“ in den Wettbewerb und gewann vor weltweit rund 150 Millionen Zuschauern.
Die ARD wird diesem Jubiläum am ESC-Abend eine eigene Sendung widmen. Fünf Minuten nach Mitternacht startet die Wiederholung des damaligen Finales – im übertragenen Sinne also eine Koproduktion von ARD und Stefan Raab. Dem das Erste auf seinen ESC-Seiten im Internet den Titel „ESC-König“ verleiht. Allerdings datiert der Eintrag von 2018. (mit dpa/AFP)