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Conchita Wurst - Musik mit Bart.
© AFP

Conchita Wurst und ihr Triumph beim ESC: Wie Phönix aus der Asche

Neben schlechter Popmusik und schlechtem Geschmack bot der Eurovision Song Contest 2014 in Kopenhagen mit Conchita Wurst aber auch einen Hauch von Glamour - und einen politischen Auftritt.

Als Conchita Wurst alias Tom Neuwirth am vergangenen Donnerstag erstmals bei den ESC-Halbfinals in Kopenhagen auftrat und es dann in die Endrunde schaffte, machte in den Medien sofort der Kalauer „The Wiener takes it all“ die Runde. Die bärtige Travestiekünstlerin stammt aus Österreich, und ein bisschen ABBA, das muss beim ESC so sein, steckt in dem Spruch ja auch noch drin. Tatsächlich hat Conchita Wurst sich nun alles genommen. Aber sie hat auch ihrerseits dem ESC und überhaupt diesem Wettbewerb eine Menge gegeben: ein ganz ordentliches Stück Popmusik mit Anleihen bei John Barry und David Arnold, den Komponisten der James-Bond-Soundtracks, eine flamboyante Stimme, ordentlich viel Charisma, einen Hauch von Glamour gar. Und einen politischen Auftritt.

Ein klasse Wettbewerb, dieser ESC 2014, könnte man nun unter dem Eindruck von Conchita Wurst und ihrem ersten Platz denken. Aber auch diese Ausgabe bot wieder einmal viel schlechte Popmusik und schlechten Geschmack. Auch dieses Mal war das Ganze mehr ein Spektakel als ein „Song Contest“; eine Witzveranstaltung, bei der es vor allem bunt und absurd zuging; eine Art Komödiantenstadl, der mit Pop kaum was zu tun hat. Und auch sehr wenig, das Muschelchen aus Österreich und einige tief ausgeschnittene Dekolletés hin, Conchitas Wurst her, mit libertärer Dekadenz, wie es der ARD-ESC-Experte Jan Feddersen nicht müde wird zu betonen.

Der Auftritt der Polinnen hatte die Qualitäten eines Softpornos

Conchita Wurst jedenfalls zeichnete sich überdies durch eine noch ganz andere Besonderheit aus: Sie war tatsächlich allein auf der Bühne, sie war nur Stimme, Person, Outfit. Eine selbstbewusste Kunstfigur. Eine Mischung aus Märtyrer und Erlöser, wie sie so dastand, die Arme ausgebreitet, und über Strafe und Rache und die eigenen Verwandlungen sang. Selbst der Norweger Carl Espen, der einstige Kosovosoldat, Zimmermann und Metal-Club-Türsteher, wollte am Ende seiner durchaus seelenvollen Ballade nicht auf vier Streicherinnen verzichten, und neben der hingebungsvollen schmachtenden Aserbeidschanerin Dilara Kazimova war unentwegt eine Trapezartistin am Werk, warum auch immer.

Und so gab es Ablenkungsmanöver zuhauf: Der Mitstreiter der aus dem Umfeld des Expräsidenten Wladimir Janukowitsch stammenden ukrainischen Sängerin Maria Jaremtschuk lief die ganze Zeit in einem Hamsterrad mit, um zu demonstrieren, dass, ja, was eigentlich? die Liebe ein solches ist, „Tick-Tock“, und sich die Zeit dabei im Kreise dreht? Es schien jedenfalls, als habe die Ukraine mit ihrem Startplatz Nummer eins die Vorgabe für viel weiteren, die mäßigen musikalischen Darbietungen verschleiernden Unsinn gegeben.

Es folgten eine Ballerina auf Schlittschuhen, die schneeweiße Spuren hinter sich herzog (Montenegro), ein Sänger, der ein riesiges kreisrundes Keyboard bediente (Rumänien), eine Sängerin mit einem goldenen Lorbeerkranz im Haar (Italien), zwei Sängerinnen auf einer riesigen Wippe (Russland, Zwillinge) und eine polnische Bäuerin mit Butterfass, Waschzuber und großer Oberweite. Überhaupt der Auftritt der vier Polinnen: Was sollte der? Einerseits war er augenzwinkernd folkloristisch, hatte aber auch etwas von einem Softporno, so wie sich die Darstellerin ihres Oberteils entledigte und dann immer mal wieder Butter stampfte und Wäsche schrubbte.

Ironie kann daneben, in die Hose und die Körbchen gehen, schon gar kein mieses Hip-Hop-Techno-Gewurstel retten. Und manchmal helfen selbst die buntesten Anzüge nicht, so wie bei der isländischen Band Pollapönk, um aus einem mittelmäßigen Gute-Laune-Rockstück ein gutes, originelles zu machen. Und wieviel gute, tatsächlich originelle Pop- und Rockmusik kommt doch aus Island!

Der ESC, ein ganz eigener Pop-Planet.

Immerhin: Musikalisch etwas vielfältiger als in den vergangenen Jahren schien dieser Wettbewerb zu sein. Der üblich schnöde Billigschlagertechno wechselte mit manch puren Rock- oder Folkstück. Der für Ungarn singende Andras Kally-Saunders (Sohn des Lou-Reed-Bassisten Fernando Saunders und eines ungarischen Models) hatte viel Soul in der Stimme, Kally-Saunders erinnerte wie Carl Espen bisweilen an einen Jamie Woon oder einen Sam Smith; der Schunkelfolk von Elaiza aus Deutschland hat zumindest Ohrwurmqualitäten; selbst der englische Beitrag war anders als sonst gar nicht mal so schlecht (selbst wenn die Zeile „Power to the people“ in diesem Zusammenhang doch peinlich wirkte); und dass die niederländischen The Common Linnets mit ihrem schönen Countrystück „Calm After The Storm“ auf Platz zwei landeten, deutet womöglich darauf hin, dass es im ESC-Fan- und Expertenkosmos eine Sehnsucht nach Abrüstung gibt, nach mehr guten Songs und weniger Kirmes-Quark.

Pop und Politik

Nichtsdestotrotz demonstrierten die langen dreieinhalb Stunden von Sonntagabend: Es gibt guten und schlechten Pop, der die Charts bevölkert, hier aber kaum zu hören war; es gibt guten Pop, der nie in die Charts kommt und beim ESC sowieso nie zu hören ist; und es gibt den ESC-Pop, der nur selten den ESC-Planeten verlässt, auch wenn viele der Acts in ihren jeweiligen Ländern relativ erfolgreich sind. Der ESC mag zu einer Marke geworden sein, doch internationale Karrieren generiert er nur selten, so globalisiert das Ganze sein mag, so wenig in den jeweiligen Landessprachen gesungen wird: Englisch dominiert! Ausnahmen: Italien, Montenegro, Spanien, Polen. Ob Conchita Wurst die so ersehnte Popstar-Karriere gelingt? Oder ob Elaiza in den nächsten Jahren noch dabei sind? Was macht eigentlich unser aller Lena? Und waren nicht die vorher in Hamburg bei Barbara Schöneberger auftretenden Sido und Helene Fischer nicht doch die zwingendsten Auftritte, die man an diesem Abend zu sehen bekam?

Dass ausgerechnet der ESC durch den Sieg von Wurst politische Dimensionen bekommt, hat seinen ganz eigenen, ironischen Charme. Pop und Politik sind in Zeiten, da alles zu Pop geworden ist, nur noch selten in einem Atemzug genannt worden. Das Politische im Pop hat nicht mehr viel Gewicht. Da kommt die Politik dann beim ESC, um bei Conchita Wurst zu bleiben, wie Phönix aus der Asche.

Gerrit Bartels

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