Integration: Wie schwierig ist die Jobsuche für Geflüchtete?
Für die Integration Geflüchteter in Berlin ist eine Arbeitsstelle von fundamentaler Bedeutung. Doch der Weg dahin ist oft kompliziert. Drei Geschichten über Chancen und Hindernisse.
- Muhamad Abdi
- Nantke Garrelts
Fast zwei Jahre sind vergangen, seit neu angekommene Flüchtlinge vor dem Lageso Schlange standen. 890.000 geflüchtete Menschen erreichten Deutschland im Jahr 2015, 54.000 von ihnen wurden Berlin zugeteilt. Seitdem haben viele von ihnen sich einen Alltag aufgebaut, sind vom Erstaufnahmezentrum in Dauerunterkünfte oder sogar eigene Wohnungen gezogen, haben eine Schulausbildung oder einen Deutschkurs begonnen.
Viele neue Berliner wollen nicht untätig herumsitzen und versuchen, einen Weg auf den deutschen Arbeitsmarkt zu finden. Die Pfade dorthin sind vielfältig: Vom klassischen Praktikum, eventuell gefolgt von einer Berufsausbildung, über den Direkteinstieg in den alten Beruf bis hin zur Selbstständigkeit bietet Berlin viele Nischen für motivierte Neuberliner und ihre Fähigkeiten. Welche Chancen und Hindernisse erleben die Geflüchteten und was tun Arbeitsagenturen und Bildungsträger, um ihnen in den Arbeitsmarkt zu helfen?
Praktikum im Gewerbe
Toni Makrasch aus Aleppo, seit anderthalb Jahren in Berlin, macht seit zwei Monaten ein Praktikum als Schneider in einer kleinen Fabrik in der Kurfürstenstraße. Das Praktikum fand er durch eine vom Jobcenter vermittelte Jobmesse.
Er hat 15 Jahre Erfahrung als Schneider in Aleppo. „Das Praktikum ist sehr nützlich und ich lerne neue Dinge über meine Arbeit, die ich früher nicht wusste“ sagt er. Toni Makrasch wünscht in der Zukunft, seine eigene Fabrik zu öffnen oder in einer großen Fabrik in Deutschland zu arbeiten. Seine Chancen stehen gut: Er wurde gerade zum Vorstellungsgespräch bei einer Textilfirma eingeladen. Dort kann er nicht nur seine Praktikumserfahrung, sondern auch verbesserte Deutschkenntnisse und ein erweitertes Fachvokabular vorweisen. „Dadurch, dass ich jeden Tag meine Kollegen sprechen höre, bleiben die Begriffe einfach besser hängen“, sagt er.
Ein Praktikum kann ein Weg in eine Festanstellung oder eine Berufsausbildung sein. Auch wenn viele Geflüchtete am liebsten direkt eine Arbeit anfangen oder sich selbstständig machen würden, verfolgt die Bundesregierung gemeinsam mit den Industrie- und Handwerkskammern und der Bundesagentur für Arbeit die Strategie, Geflüchtete möglichst nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Diese Strategie ist auch aus der Not geboren: Ende Juni waren noch 6894 Lehrstellen in Berlin unbesetzt, jeder dritte Betrieb hat Schwierigkeiten, seine Ausbildungsstellen zu besetzen.
Jona Krieg von den Arrivo-Übungswerkstätten versucht, Geflüchteten genau diese Perspektiven zu bieten: Durch ein modulares Programm aus Arbeit mit Holz in den hauseigenen Übungswerkstätten, Berufssprachkursen und Fachkursen, die in Zusammenarbeit mit den jeweiligen handwerklichen Berufsinnungen durchgeführt werden, sollen vor allem junge Geflüchtete an den deutschen Arbeitsmarkt herangeführt werden. In Partnerschaft mit Handwerksunternehmen hat sein Verein, der Teil des landesfinanzierten Bridge-Netzwerks für Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen ist, bereits über 220 Praktika mit Berliner Betrieben organisiert und über 100 Menschen in Ausbildung oder Arbeit gebracht. „Wir haben mittlerweile ehemalige Teilnehmende in den Betrieben, die sind da feste Größen“, sagt er. Eine intensive Betreuung über einen gewissen Zeitraum sei dafür aber unerlässlich.
Der Faktor Zeit sei nicht zu unterschätzen, bestätigt André Hanschke vom Arbeitgeber-Service „Asyl“ der Agentur für Arbeit Berlin Süd. Er rechnet mit etwa zwei bis drei Jahren Ankommens- und Eingewöhnungszeit, bis ein Geflüchteter bereit für den Arbeitsmarkt ist. Deshalb steigt die Zahl der arbeitssuchend gemeldeten Flüchtlinge trotz steigender Vermittlungszahlen und abnehmender Zahl der tatsächlich in Berlin lebenden Flüchtlinge stetig an – die meisten sind erst jetzt, fast zwei Jahre nach ihrer Ankunft, bereit für den Arbeitsmarkt und melden sich arbeitssuchend.
Neuanfang im Gesundheitssektor
George Haddad kam vor zweieinhalb Jahren nach Deutschland und wartete ein Jahr lang in einem Dorf in der Nähe von Dresden, bis er seinen Aufenthaltstitel bekam. „Ich habe mich nie beim Jobcenter registriert“, erzählt er. Bereits während des Wartens auf die Asylentscheidung versuchte er, eine Stelle zu bekommen und wurde bei einem Labor zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Dort arbeitete er zur Probe und bekam prompt eine Vollzeitstelle im Labor, als er seinen Aufenthaltstitel bekam. Mit der Zeit suchte er neue Herausforderungen und ging deshalb in Berlin erfolgreich auf Jobsuche. Heute arbeitet er in einem großen Zahntechniklabor. Sein Vorteil auf dem Berliner Arbeitsmarkt: solide Berufserfahrung. Der 35-Jährige hat elf Jahre Erfahrung als Zahntechniker in Damaskus und hatte dort seine eigene Praxis.
George Haddad hatte Glück: Sein Profil passte zur Nachfrage auf dem Berliner Arbeitsmarkt, der neben Tourismus, Gastgewerbe und Dienstleistungen auch durch einen starken Gesundheitssektor geprägt ist. 15,4 Prozent der im Juni als unbesetzt gemeldeten Stellen kamen aus dem Bereich Gesundheit und Soziales, 5,1 Prozent aus dem Sektor „nichtmedizinische Gesundheitsberufe“.
George hat dabei ein weiteres As im Ärmel: Während 80 Prozent der Geflüchteten in Berlin als geringqualifiziert eingestuft werden, weil sie entweder keinen Berufs- oder Schulabschluss besitzen oder keinen Qualifikationsnachweis erbringen können, zählt er zu den 20 Prozent mittelgradig und hochqualifizierten Flüchtlingen. Industrie-, Handels- und Handwerkskammern sowie die Bundesagentur für Arbeit versuchen durch Qualifikationserfassungsmaßnahmen in den Betrieben, etwa durch Probearbeiten, Vorkenntnisse zumindest teilweise anzuerkennen. Denn auf dem stark formalisierten deutschen Arbeitsmarkt geht fast nichts ohne Zertifikat oder Berufstitel.
Jona Krieg von Arrivo hat viele ähnliche Geschichten erlebt: „Die Menschen kommen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen an: Da ist etwa ein Lackierer und Kfz-Mechaniker, den haben wir an einen Betrieb vermittelt. Da hat er gezeigt, was er kann, und die haben nur gestaunt. Da versuchen wir, Weiterbildung zu vermitteln und entsprechend den Wünschen und Vorkenntnissen Bewerber und Betrieb zusammenzubringen.
Selbstständig in der Gastronomie
Wer bei Ammar Alkasim essen möchte, sollte etwas Zeit mitbringen: Manchmal ist sein Restaurant an der Reuterstraße in Neukölln so gut besucht, dass neu angekommene Kunden sich erst einmal eine Viertelstunde gedulden müssen. In dieser Zeit können sie sich beim Anblick der frischen Salate in der Kühltheke, des leuchtend grünen Taboulés und beim Duft der frischen „Shish Kebap“-Spieße (typisch syrische schaschlikartige Fleischspieße) noch mehr Hunger holen.
Der 31-jährige Restaurantbesitzer aus Damaskus kam 2015 nach Berlin und eröffnete im Mai sein Restaurant, das er nach seiner neuen Heimat „Al Dimashqi“ (Neukölln auf Arabisch) heißt. Dadurch hat er nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere Arbeit geschaffen: 40 Mitarbeiter beschäftigt der Gastronomensohn, der mit 12 Jahren im Restaurant seines Vaters anfing. Die Kunden kommen aber nicht nur wegen des guten Essens, sondern auch, um sich ein Stück Heimat zu holen: „Viele meiner Gäste haben bereits in Damaskus bei mir gegessen. Hier können sie sich genauso fühlen wie in Damaskus. Zwar gibt es viele arabische Restaurants in Berlin, aber ich wollte die syrische Küche und die syrische Esskultur in meinem Restaurant bieten.“
Ganz ohne Startschwierigkeiten verlief seine Erfolgsgeschichte aber nicht: Neben den klassischen Herausforderungen als Unternehmer in einem neuen Land, wie die Sprache, aber auch ein unbekanntes bürokratisches System, das nach eigenen Regeln funktioniert, verlor Alkasim viel Geld, weil er neu in Berlin war und nicht wusste, was man in Deutschland beachten muss, wenn man ein Restaurant betreiben möchte. „Ich habe einen Libanesen an der Sonnenallee kennengelernt und ihm vertraut, aber er hat mich mit einem gefälschten Vertrag betrogen. Ich rate daher Zuwanderern mit ähnlichen Plänen, sich von Anwälten und Beratern helfen zu lassen.“ Solche Beratung, sogenannte „Start-up Classes“ für gründungsinteressierte Geflüchtete bietet etwa die Industrie- und Handelskammer regelmäßig an.