Konjunktur: Das neue Sommermärchen?
Die Konjunktur brummt, es herrscht Vollbeschäftigung, die Konsumenten kaufen und die Gewinne steigen. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Ein Kommentar.
Manchmal passt einfach alles. Nach dem tagelangen Regen lässt sich in Berlin endlich wieder die Sonne sehen. Das hebt die Stimmung. Die Wirtschaft steuert ihren Teil bei und liefert gute Zahlen. Trotz Dieselgate hat der Volkswagen-Konzern im zweiten Quartal einen satten Milliardengewinn eingefahren. Und auch die Deutsche Bank, die manch einer nach den kostspieligen Skandalen der Vergangenheit bereits abgeschrieben hatte, meldet wieder Gewinne in dreistelliger Millionenhöhe.
Von Krise keine Spur mehr?
Die Bürger scheinen das zu glauben. Das Konsumklima ist so gut wie seit fast 16 Jahren nicht mehr, hat die Gesellschaft für Konsumforschung jetzt herausgefunden. Und was ihre finanziellen Perspektiven angeht, sind die Menschen geradezu euphorisch. Seit der Wiedervereinigung haben die Verbraucher ihre Finanzlage nicht mehr so gut eingeschätzt wie heute. Allerdings dürften die gut vier Millionen Empfänger von Hartz IV bei dieser Befragung keine allzu große Rolle gespielt haben.
Die Menschen, die ordentlich bezahlte, sozialversicherungspflichtige Jobs haben, sind dagegen guter Dinge. Genauso wie die Unternehmen. Der Geschäftsklimaindex, mit dem das Ifo-Institut regelmäßig die Stimmung der Manager misst, war noch nie so gut wie heute. Die Exporteure vermelden trotz der Dauerkritik des US-Präsidenten Donald Trump steigende Überschüsse. Auf dem Arbeitsmarkt herrscht Vollbeschäftigung. Elf Jahre nach dem Fußball-Sommermärchen 2006 erlebt Deutschland in diesem Sommer sein Wirtschaftssommermärchen. Für Bundeskanzlerin Angela Merkel sind das gute Nachrichten. Wenn es der Wirtschaft gut geht, die Menschen Arbeit haben und bereit sind, sich etwas zu gönnen, steigert das die Aussichten der Kanzlerin, bei der Wahl im September als Siegerin vom Platz zu gehen.
Und doch ist das nur die halbe Wahrheit.
Schwarze Wolken
Denn so wie unlängst der Regen über Berlin, so hängen auch über der Wirtschaft schwarze Wolken. Die guten Zahlen von VW können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Autoindustrie vor den größten Herausforderungen ihrer Geschichte steht. Wichtige Abnehmerländer verabschieden sich vom Diesel und Benziner. Gelingt der Umstieg auf E-Autos? Und wo werden die dann gebaut? Jeder zweite Arbeitsplatz in der Autoindustrie hängt mit dem Verbrennungsmotor zusammen, das sind rund 600.000 Jobs. Gehen die verloren, sieht es bitter aus für den Standort Deutschland. Und wenn an diesem Freitag Richter Wolfram Sander ein Fahrverbot für schmutzige Diesel in Stuttgart verhängt, erhöht das das Problemlösungstempo.
Investitionen sind nötig. Das gilt für die Autoindustrie und für viele andere Branchen. Das betrifft aber auch den öffentlichen Raum. Die Infrastruktur verfällt. Schulen, Brücken und Straßen werden nicht repariert, obwohl das Geld da wäre. Es fehlt an Personal in der Verwaltung und an freien Kapazitäten in der Bauindustrie und im Handwerk. Der Breitbandausbau läuft im Schneckentempo, vor allem auf dem Land. Wer Eiliges zu regeln hat, greift hier lieber zum Telefon.
Und auch die Lust am Geldausgeben, ist nicht der reinen Lebensfreude geschuldet. Möbelhäuser, Immobilienmakler und Reiseveranstalter dürfen sich beim Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, bedanken, der selbst der schwäbischen Hausfrau die Lust am Sparen austreibt. Das geht nun schon seit Jahren so, ein Ende ist nicht wirklich in Sicht. Fragt sich bloß, was passiert, wenn die Konjunktur im Euro-Raum wieder nachlässt? Sein Pulver hat Draghi weitgehend verschossen.
Man kann all das natürlich ausblenden und sich einfach mal freuen. „Ich freue mich, wenn es regnet, denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch“, soll der Komiker Karl Valentin gesagt haben. Da ist was dran. Aber wäre es nicht besser, man würde einen Schirm kaufen und sich für die weniger guten Zeiten wappnen? Dann hält die Freude länger.
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