Serie: Bezirke vor der Wahl: Tempelhof-Schöneberg: Berliner Zwangsehe
Hier Szene, da Idyll. Hier KaDeWe, da THF. Hier Rathaus, da zwei Rathauschefs. Dieser Bezirk passt nicht so recht zusammen, kann aber berühmte Geschichten erzählen.
Geographisch ist der Bezirk übersichtlich geordnet. Westen: Schöneberg. Osten und Süden: Tempelhof. Inhaltlich ist es komplizierter. Die Bezirksreform hat hier einst mit gewisser Brutalität zwei Hälften zusammengezwungen, die wenig miteinander anfangen konnten und sich noch immer nicht zusammengerauft haben. Grundregel: Wer eine Wohnung in Schöneberg sucht, der zieht garantiert nie nach Tempelhof. Und umgekehrt.
Tempelhof, das ist konfliktarmes Nebeneinander in Wohnungen überwiegend kleinbürgerlichen Zuschnitts, schlichten Mariendorfer Einfamilienhäusern und Marienfelder Neubaublocks. Schöneberg steht in seinen edlen Ortsteilen Friedenau und Bayerisches Viertel für Stuckdecken und für großbürgerliche Altvordere wie Günter Grass und Uwe Johnson einerseits, aber in Richtung Osten auch für Kiez und Szene. Der Wochenmarkt Winterfeldtplatz ziert jeden Reiseführer, Akazien- und Goltzstraße nebenan sind mit ihrer Multikulti-Kulinarik und ihren schrägen Geschäften was für die halbwegs etablierte Bohème, und am Nollendorfplatz flaniert die schwule Szene mit angenehmer Beiläufigkeit.
Tempelhof hat den Flughafen, Schöneberg das Rathaus
Tempelhof also wäre Image-mäßig übel hinten runter, hätte es nicht den Flughafen, heute eine kultige Stadtbrache, die von den Anwohnern, die aus ganz Berlin kommen, mit Klauen und Zähnen verteidigt wird. Wegen dieses Flughafens, wegen seiner alten und seiner heutigen Geschichte, kennt die halbe Welt Tempelhof zumindest dem Namen nach.
Das ist im Fall von Schöneberg nicht anders. Denn mitten drin, am John-F.-Kennedy-Platz, steht das Rathaus, das sehr, sehr langsam wieder unberühmt wird. Das kann aber noch dauern, denn zu gegenwärtig sind die Bilder vom Kennedy-Besuch 1962, bei dem er seinen berühmtesten Satz sagte, zu gegenwärtig sind auch die Bilder vom 10. November 1989, als die Mauer beim Fallen war und Helmut Kohl auf dem Balkon trotzdem mit einem schrillen Pfeifkonzert empfangen wurde.
Doch das alles ist jetzt lange her, im Rathaus sitzen statt Senat und Abgeordnetenhaus nur noch die Bezirksverordneten, die unauffällig die Geschicke Tempelhof-Schönebergs lenken. Und wenn, wie gerade passiert, vor der Tür ein Abwasserrohr platzt, dann reicht die Umleitung kaum für einen richtigen Verkehrsstau.
Hoffnung ruht auf der "Stone Brewery"
Was haben Tempelhof und Schöneberg sonst noch gemeinsam? Zum Beispiel, dass man dort nicht einkauft. Alt-Tempelhof und Tempelhofer Damm, vor Jahrzehnten ein gutbürgerliches Zentrum mit kleinen, durchaus feinen Geschäften, ist ebenso ins Rutschen geraten wie die Schöneberger Hauptstraße – das sind die typischen Kaufhaus-Gegenden, deren Bewohner mit ihren Kaufhäusern alterten, während die jüngeren Leute zu dem neuen Einkaufszentren wechselten; eins davon, recht klein, steht am Tempelhofer Hafen, der zusammen mit dem Ullstein-Haus ein wenig die bezirkliche Aufbruchstimmung bündelt.
Gewisse Hoffnungen ruhen auch auf dem abgelegenen Gelände des alten Mariendorfer Gaswerks, wo die aus den USA stammende „Stone Brewery“ gerade den großen Aufschlag riskiert. Ob diese Brauerei mit mehr als tausend Plätzen ein gigantischer Flop wird oder die ganze Gegend nach oben zieht, wird sich zeigen – irgendwas dazwischen geht eigentlich nicht.
KaDeWe - gerade noch in Schöneberg
Beständiger ist Marienfelde, einstiger Sitz des berühmten Notaufnahmelagers für DDR-Flüchtlinge, weiter südlich vor 50 Jahren noch dörfliche Idylle mit Feldern und Apfelplantagen. Heute ist all das dicht und hoch besiedelt – die hübsche Dorfaue gibt es aber immer noch. Einen ähnlichen Charakter hat Lichtenrade, wo sie seit Jahrzehnten darüber streiten, ob der Ausbau der Dresdener Bahn nun einen Tunnel braucht oder nicht.
Zwei Dinge sind noch übrig, die jeder über diesen Doppelbezirk wissen sollte. Gleich zwei Regierende Bürgermeister der SPD, Klaus Wowereit und Michael Müller, stammen aus Tempelhof, was meist in nicht wohlwollender Absicht zitiert wird – daraus mag jeder seine eigenen Schlüsse ziehen oder auch nicht. Und gerade noch in Schöneberg, nicht in Wilmersdorf oder Charlottenburg, steht das KaDeWe, das sich von seinen neuen Eignern gerade mal wieder neu erfinden lässt. Aber auch im Umbauzustand setzt es dem mageren Shopping-Angebot des Bezirks doch noch ein süßes Sahnehäubchen auf.
Hier geht's zu den anderen, bisher erschienenen Bezirksporträts von Bernd Matthies:
Steglitz-Zehlendorf: West-, West-, Südwest-Berlin
Spandau: Home Sweet Havel
Reinickendorf: Die Berliner Nordlichter
Pankow: Der Dreigeteilte
Neukölln: Ein Modellbezirk mit Macken
Mitte: Luxusquartiere und Schmuddelecken
Marzahn-Hellersdorf: Blühende Dörfer, hohe Häuser
Lichtenberg: Aufstrebendes Mauerblümchen
Friedrichshain-Kreuzberg: Das gallischste Dorf der Welt
Charlottenburg-Wilmersdorf: Eine Welt für sich
Es folgt noch am Montag, 12. September: Treptow Köpenick
Bernd Matthies