Serie: Bezirke vor der Wahl: Steglitz-Zehlendorf: West-, West-, Südwest-Berlin
Am Puls der Natur wohnen, aber den Puls der Stadt noch deutlich fühlen, das ist hier die Grundidee. Der Bezirk hat alles – nur ein Örtchen gehört nicht dazu.
Dass Steglitz-Zehlendorf West-Berlin ist, sieht jeder auf der Karte. Aber im Druck unsichtbar bleibt, dass es auch das geistig-moralische West-Berlin ist – eine Art Gegenstück zum östlichen Köpenick, wo man ja auch prima leben kann, ohne den entgegengesetzten Teil der Stadt groß zur Kenntnis zu nehmen. Steglitz und vor allem Zehlendorf sind die Biotope der westlich Arrivierten, die das Bohei der beiden Stadtzentren in Reichweite haben wollen, sich ihm aber nie ausliefern würden. Wer hier wohnt, braucht um die Ecke weder tolle Restaurants noch besondere kulturelle Leuchttürme, denn schließlich zeigt er seine großbürgerliche Aufgeschlossenheit und Kennerschaft sowieso lieber ganz weit drinnen beim Szeneitaliener oder in der Staatsoper. (Und auf Sylt, natürlich.)
Am Puls der Natur wohnen, aber den Puls der Stadt noch deutlich fühlen, das ist hier die Grundidee. „Ja, das möchtste“, hat Kurt Tucholsky dem Berliner einst ironisch hingerieben, „eine Villa im Grünen mit großer Terrasse, vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße“. Näher als im Ortsteil Zehlendorf kommt man an dieses Ideal nicht heran.
Eine begehrte Gegend
Das heißt allerdings nicht, dass hier drunten nur gewohnt wird. Der Ortsteil Steglitz ist mit der Schlossstraße gewissermaßen der Supermarkt der ganzen Stadt für alle gehobenen, aber nicht zu hochfliegenden Einkäufe vor allem, was Bekleidung angeht; ihr westliches Ende ist markiert durch den ewig skandalumwitterten „Kreisel“, der nun nach der Entkernung auf neue Nutzer wartet.
Die Steglitzer wohnen zum großen Teil in recht begehrten Gegenden sowohl städtischer als auch vorstädtischer Prägung, je westlicher und näher an Zehlendorf, desto besser – ausgenommen die Großsiedlung Lichterfelde-Süd, die eher wie die kleine Schwester des Märkischen Viertels wirkt; nebenan lässt sich das Walten der Konversion besichtigen, denn dort ist auf den ehemaligen Flächen des US-Militärs nach der Wende eine kleine Stadt nahezu komplett neu erfunden worden.
Der Rest ist Gesäßgeographie: Fürs bürgerliche Leben auch ganz prima geeignet sind Lankwitz und Lichterfelde-Ost, wo man die Gelassenheit besitzt, auch große Kirchen im Dorf zu lassen. Als noch ein wenig feiner gilt Lichterfelde-West, eine in sich ruhende Insel der Wohlbürgerlichkeit. Es geht nördlich fast unmerklich ins noble Dahlem über; sie alle sind stolz auf den Botanischen Garten der grün und breit dazwischen liegt.
Dahlem allerdings ist schon ein Teil des alten Bezirks Zehlendorf, der noch einmal ein bisschen anders tickt – die logische Fortsetzung, wenn man es geschafft hat, das noble Dorf mit Stadtanschluss und ohne soziale Brennpunkte. Man teilt sich den Grunewald mit Wilmersdorf, hat selbstverständlich davon den tolleren Teil mit dem Wannsee, an dem das größte europäische Binnen-Strandbad liegt, und der südlichen Seenkette bis nach Babelsberg.
Das ganze Geld der Stadt
Der Bezirk besitzt noch allerhand andere Ufer ganz für sich allein und kontrolliert den Autobahnausgang nach Süden. Und wenn jemand das ganz alte Geld der Stadt sucht, das es ja in kleinen Mengen noch gibt, wird er es in Wannsee oder vor allem in Dahlem finden; die protzigsten Villen dort gehören allerdings im Zweifel eher verschiedenen Botschaften oder der Freien Universität. Auch hier wird auf alten Militärflächen der Wohnungsbau mit Schmackes vorangetrieben, im gehobenen Segment, wie sich versteht.
Dahlem ist außerdem ein bedeutender Museumsstandort, dessen Ruf allerdings durch das Getöse um die Museen in der Innenstadt gelitten hat – man weiß noch nicht so recht, was dereinst übrig bleibt hier draußen, wenn sich das Humboldt-Forum zum Beispiel die berühmten Bestände des Dahlemer Völkerkunde-Museums einverleibt. Was auf jeden Fall bleibt, sind kleinere, durch ihre idyllische Lage bestechende Museen wie das Haus am Waldsee, das Brücke-Museum und das Liebermann-Haus am Wannsee.
Also: Sie haben alles da draußen, nur keine weltweit geschätzte Szene-Gegend, keine Clubs für über 15-Jährige, und die Restaurants, nun ja. Ach, das feinbürgerliche Friedenau im Osten mit dem Ruhm einstiger Geistesgrößen wie Günter Grass und Uwe Johnson, das sieht aus wie Steglitz und wird oft für Steglitz gehalten. Es gehört aber zu Schöneberg. Und das ist dann wieder eine ganz andere Geschichte.