Serie: Bezirke vor der Wahl: Charlottenburg-Wilmersdorf: Eine Welt für sich
Charlottenburg-Wilmersdorf, das sind Luxusviertel, Sozialbauten, viel Grün und viele Klischees. Wer gesehen werden will, will es hier. Dann schauen wir mal hin. Teil 1 unserer Serie zur Wahl in den Bezirken
Ein ganzer Bezirk, aus eitel Klischees gebaut. Ku’damm und Kranzler, Wilmersdorfer Witwen, Kinder vom Bahnhof Zoo, danke, die Welt weiß Bescheid. Und weil diese Klischees auch alle mal zugetroffen haben, tut sich der Bezirk ein wenig schwer damit, sie loszuwerden. Doch das Kranzler ist Geschichte wie das letzte Aschinger, der berühmte Bahnhof in der Mitte hat (vorerst) keinen ICE-Anschluss mehr, und die boulevardesken Ku’damm-Theater schweben nach wie vor im Ungewissen – das alles sind gleichermaßen Symptome einer langen Identitätskrise wie auch Chancen für einen Neuanfang, der längst begonnen hat. Dies ist West-Berliner Kern- und Herzland, da hängt an allem irgendwas dran, da schmerzen Wunden und Veränderungen immer ein wenig länger als woanders.
Neue Skyline am Zoo zeigt den Wandel
Der Wandel manifestiert sich, für alle augenfällig, vor allem in der neuen Skyline rund um den Bahnhof Zoo, wo die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Blickfang seit dem späten 19. Jahrhundert, langsam hinter Hochhäusern verschwindet. Er manifestiert sich aber auch in neuen Restaurants, Geschäften und Hotels, und allgemein herrscht der Eindruck, dass speziell der Kurfürstendamm längst wieder vitaler und weniger ramschig wirkt als in seiner Tiefphase nach der Wende. Leere Ladenfronten gibt es zumindest im zentralen östlichen Teil des Ku’damms nicht mehr, und die Zukunft des Boulevards liegt wieder in der Vielfalt und durchaus nicht mehr nur darin, Oligarchenfamilien immer neue güldene Handtaschen anzudrehen.
Wer gesehen werden will in der Stadt, der will es hier, das ist bei den Neureichen und den lärmenden Autofanatikern nicht anders als bei den Fußballfans, den türkischen und den deutschen, die hier und nirgendwo sonst große Siege abfeiern. Am Rande des Boulevards liegen die begehrten großbürgerlichen Wohnviertel und die lebendigen Restaurantmeilen um Kantstraße und Savignyplatz. Der „Grill Royal“ im Osten hat hier neuerdings eine kleine Schwester, das „Petit Royal“ – auch das zeigt die zunehmend friedlichere Koexistenz der beiden Citys.
Die Namen Berggruen, Bröhan und Scharf-Gerstenberg stehen für bedeutende, aus Privatsammlungen hervorgegangene Museen, die sich hinter den Sammlungen der Museumsinsel nicht verstecken müssen. Und das Schloss Charlottenburg gehört sowieso der ganzen Welt als international bekanntes und beliebtes Touristenziel.
Dabei sind die beiden Hälften des in der Reform zusammengefügten Bezirks längst nicht so homogen, wie es vorn am Boulevard scheint. Wilmersdorf und Charlottenburg wurden nicht wie große Teile der Ost-City nach der Wende von Spekulationsgewittern durchgeschüttelt, sie haben sich langsamer entwickelt und ihren spezifischen Charakter weitgehend behalten können.
Soziale Kluft in Charlottenburg
Charlottenburg hat dabei vermutlich die größere soziale Kluft zu überwinden: Zwischen den Penthäusern am Kurfürstendamm einerseits und den Mietwohnungen im Kiez am Klausenerplatz und im abgestiegenen Charlottenburg-Nord liegen Welten. Im bürgerlichen Wilmersdorf hingegen mit seinen ruhigen, stilvollen Wohngegenden ist die Binnenspannung geringer – dies ist immer noch ein gesuchtes Quartier für alle, die sich etabliert haben, die die saftig angestiegenen Mieten tragen können und nicht so interessiert sind an unmittelbarem Szene-Anschluss. Wahre städtebauliche Perlen gehören dazu wie der Ludwigkirchplatz mit seinen Kneipen, Restaurants und individuellen Läden und der historische Kern um die Wilhelmsaue; der Volkspark steuert das innerstädtische Grün bei, ebenso der Preußenpark, der an jedem schönen Wochenende zur großen Thai-Garküche wird.
Der halbe Grunewald gehört zum Bezirk
Nicht zu vergessen: Beide Bezirke haben in die Ehe einen großen Teil des gesamten Berliner Grüns und wichtige Ausflugsgebiete eingebracht: Wilmersdorf den halben Grunewald mit einem Stück Havel, noblen Wohngegenden und dem Teufelsberg, Charlottenburg das Olympiastadion mit viel Umgebung. Wer sein alltägliches Leben, Wende hin, Wende her, ausschließlich in diesem Bezirk verbringen will, der muss nur wenig entbehren.
Die berühmten Witwen allerdings, die vom Grips-Musical „Linie 1“ unsterblich gemacht wurden, gibt es nicht mehr. Sie sind vom Persianermantel längst auf Funktionsjacke und Sneakers umgestiegen, sitzen in der Lounge und trinken Aperol Spritz statt Kaffee aus Kännchen.
Und wer wird neuer Bezirksbürgermeister? Lesen Sie hier, warum das Rennen ums Rathaus knapp werden dürfte.
In unserer Bezirksserie zur Wahl stellen wir in der nächsten Folge am 23.8. Friedrichshain-Kreuzberg vor. Mehr zur Wahl in Berlin finden Sie auf unserer neuen interaktiven Seite wahl.tagesspiegel.de.
Bernd Matthies