Serie: Bezirke vor der Wahl: Luxusquartiere und Schmuddelecken in Mitte
Im Bezirk Mitte treffen unterschiedliche Welten aufeinander. Politisch wird es hier besonders spannend: Rot-Schwarz könnte in der BVV auf der Kippe stehen.
Beim Stichwort „Mitte“ müssen auch geübte Alt-Berliner immer noch nachgucken. Was gehört da gleich dazu? Tiergarten? Wedding? Komische Mischung. Die Innenstadtbezirke, wir erinnern uns, sind 2001 alle unter vielfältigen Verwaltungsaspekten zusammengeschraubt worden, ohne Rücksicht auf Risiken und Nebenwirkungen. Und so wollte es die Ironie der Stadtgeschichte, dass die Geld- und Machtzentren der City zwischen Friedrichstraße, Kanzleramt und den Botschaften am Tiergartenrand zum selben Bezirk gehören wie die proletarisch-globalisierten Kieze von Wedding und Moabit, die in den Sozialatlanten immer auf den letzten Plätzen liegen – oder auf den ersten, je nach Blickwinkel.
Hier ist also gewissermaßen das Filetstück der „Hauptstadt der DDR“ mit den Schmuddelecken West-Berlins an einem Tisch platziert worden, und damit müssen sie nun zurechtkommen, die Bewohner und ihre Bezirkspolitiker, die sich jeden Tag in zwei Welten bewegen. Allen voran die Kanzlerin, die hier gelegentlich beim Einkauf im Supermarkt zu sehen ist.
Das administrative Herz Deutschlands
Mitte, das ist die Wiege der Stadt Berlin, die erstmals 1237 urkundlich belegte Siedlung Cölln; ungefähr dort, auf dem Schloss-Grundriss, steht das werdende Humboldt-Forum, mit dem diese Geschichte fortgeschrieben werden soll. Mitte, das ist das Hansaviertel, mit dem die Stadt 1957 aus den Ruinen des Kriegs auferstand, Mitte ist das administrative Herz Deutschlands um Kanzleramt und Reichstag, in dem immer noch neue Gebäudemonster ihre Türen öffnen wie zuletzt das Innenministerium und demnächst die BND-Zentrale. Der Bundespräsident residiert im umgrünten Schloss Bellevue, und zum Bezirk gehört der neue Hauptbahnhof, dessen ewig brachliegendes Umfeld nun allmählich verheilt – statt eines authentischen Bahnhofsviertels wachsen aber nur sterile Hotel- und Bürofluchten.
Von hier kann jeder leicht zu Fuß in die andere Welt wechseln, wie sie beispielsweise in der Turmstraße zu finden ist – die Welt von Jobcentern, Billigshops und Nagelstudios. Allerdings wäre dies nicht Berlin, würden sich nicht auch hier Aufwärtsbewegungen zeigen wie in der Umgebung der Arminius-Markthalle, die mit ihren munteren jungen Restaurants zu einem Anziehungspunkt geworden ist über die Bezirksgrenzen hinaus.
Einen ähnlichen Wandel erhofft man sich auch für Wedding und Gesundbrunnen, die Schlusslichter der sozialen Lage in der Stadt. Viel ist noch nicht angekommen von der allgemeinen Aufbruchstimmung, aber das bedeutet auch, dass junge Leute aus aller Welt hier noch bezahlbare Wohnungen finden – und deren fröhliche, unvoreingenommene Weltsicht hat schon so manch öden Kiez zu verändern begonnen. Am wenigsten ist davon noch zu spüren im Norden Richtung Pankow, im Soldiner Kiez zwischen Kolonie- und Provinzstraße, wo die Polizei am liebsten in Großgruppen auftritt, um nicht plötzlich wegen irgendeiner Bagatelle von erbosten Familienverbänden umzingelt und bedroht zu werden.
Prominentes Grün
Wie auch immer Berlin gerade ausschaut in seinen Luxusquartieren und Schmuddelecken – das nächste Grün ist immer nur einen Steinwurf entfernt. Das ist in Mitte nicht anders, dessen prominentestes Grün den gleichen Namen trägt wie der Ortsteil drumherum: der Tiergarten. Auch der Ortsteil Wedding hat einen großen Park in seiner Mitte, den Volkspark Rehberge, an den sich der Plötzensee anschließt. Von hier ist es nicht weit bis zum Deutschen Herz-Zentrum, das uns daran erinnert, dass dieser so vielgestaltige Bezirk auch die Charité mit verschiedenen Ablegern beherbergt und damit mehrere in der ganzen Welt bekannte Stätten der Spitzenmedizin.
Und dann ist da noch das Touristen-Berlin, das wichtige und bedeutende und historische Berlin zum Erwandern und Bestaunen, zum Shoppen, Flanieren, guten Essen. Friedrichstraße und Potsdamer Platz, Nikolaiviertel, Alexanderplatz und Unter den Linden, das nie zu Ende geplante Kulturforum mit der Philharmonie und mehreren bedeutenden Museen. Die Oranienburger Straße mit ihrem schrägen Ruf zieht die Menschen ebenso an wie die mit Galerien gespickte Auguststraße, in den Kneipen und Restaurants der Torstraße findet sich jede bekannte Küchenrichtung. Man kann hier ein ganzes Leben verbringen oder nur einmal mit Bus oder Schiff durchfahren – langweilig wird es nie.