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Wer zieht zuerst? In den Berliner Wahlkreisen stehen enge Duelle an.
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Umkämpfte Wahlkreise in Berlin: Die Duelle: Ramona Pop gegen Frank Henkel und Co.

Aus dem Wahlkreis ins Abgeordnetenhaus: Die Direktmandate sind hart umkämpft. Besonders spannend wird es da, wo prominente Politiker antreten. Ein Blick in elf Wahlkreise.

Am 18. September stehen in Berlin 21 Parteien zur Wahl, die ihre Kandidaten ins Rennen schicken. Mindestens 130 Parlamentsmandate werden vergeben, davon 78 in den Wahlkreisen. Dort werden die Volksvertreter direkt gewählt. Wer jeweils die meisten Stimmen hat, zieht ins Abgeordnetenhaus ein.

Die übrigen Mandate, die jeder Partei entsprechend dem Wahlergebnis zustehen, werden über die Landes- und Bezirkslisten der Parteien besetzt. Diese „personalisierte Verhältniswahl“ ermöglicht es den Wählern, wenigstens teilweise Einfluss darauf zu nehmen, welche Kandidaten ins Parlament einziehen. Besonders spannend ist es natürlich, wenn im eigenen Wahlkreis prominente Politiker gegeneinander antreten, die sich ein Wahlkampf-Duell auf Augenhöhe liefern.

Wir haben aus den 78 Berliner Wahlkreisen elf herausgesucht, in denen führende Regierungs- und Oppositionspolitiker um die Erststimme der Wähler kämpfen. Die in den Artikeln erwähnten Wahlkreis-Prognosen stammen vom Hamburger Institut election.de, Stand Mitte Juli.

Mitte 1: Frank Henkel gegen Ramona Pop

Foto: promo/dpa
Ramona Pop (Grüne) und Frank Henkel (CDU)
© promo/dpa

Gewinnen wollen sie alle. Aber es gibt Kandidaten, die ihre Chancen sehr realistisch einschätzen. So einer ist Frank Henkel, der seinen Wahlkampf gegen Ramona Pop im Wahlkreis Mitte 1 als „ambitioniert“ bezeichnet. Das Gebiet zwischen Arkonaplatz, Zionskirchplatz, Chausseestraße, Heidestraße bis hin zur Lehrter Straße, Oranienburger Tor und einem Teilstück von Unter den Linden ist durch viel Zuzug in den vergangenen Jahren gekennzeichnet.

In der Europacity an der Heidestraße sollen in den nächsten Jahren hunderte Wohnungen gebaut werden. Außerdem entstehen Firmenzentralen und ein Kunstquartier. Und zwischen Zionskirch- und Arkonaplatz werden sanierte Altbau-Wohnungen zwischen 3700 und 7400 Euro pro Quadratmeter zum Kauf angeboten. Leben im Szenebezirk Mitte mit einer guten Infrastruktur für junge Familien, die sich das Wohnen in Berlin-Mitte leisten können.

Seit 2001 ist die ursprünglich linke Wählerschaft ausgetauscht worden: Die Grünen haben in Mitte kontinuierlich zugelegt. 2011 gewann die Partei in Mitte 1 erstmals das Direktmandat zur Abgeordnetenhauswahl mit der jetzigen Spitzenkandidatin und Fraktionschefin Ramona Pop. Sie holte 31,2 Prozent der Stimmen vor der SPD mit 28 Prozent und der CDU mit 17,9 Prozent. Laut Umfragen haben die Grünen auch in diesem Wahljahr einen Vorsprung vor den anderen Parteien.

Die 38-jährige Diplom-Politologin ist in dem Kiez in den letzten fünf Jahren „fleißig unterwegs gewesen“, sagt sie, habe diverse Institutionen besucht und viele Gespräche geführt.

Auch der CDU-Spitzenkandidat, Innensenator, Bürgermeister und Parteichef Henkel kennt den Kiez – noch zu DDR-Zeiten, bevor er als 17-Jähriger mit seinen Eltern 1981 aus Ost- nach West-Berlin ausreisen durfte. Der Diplom-Kaufmann ist seit 2007 Kreischef der CDU in Mitte und ebenfalls im Kiez unterwegs. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Henkel gegen Pop antritt, um gegen jemand Bekanntes zu verlieren.

Mitte 2: Jan Stöß gegen Carola Bluhm

Fotos: promo
Carola Bluhm (Linke) und Jan Stöß (SPD)
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In der historischen Mitte Berlins treffen ein linker Sozialdemokrat und eine Original-Linke aufeinander. Der ehemalige SPD-Landeschef Jan Stöß (42), der noch nie im Abgeordnetenhaus saß, fordert die frühere Sozialsenatorin Carola Bluhm (53) heraus, die den Wahlkreis zwischen Alex und Brandenburger Tor seit 1995 fünf Mal hintereinander gewann. Bei der Wahl 2011 mit einem dünnen Vorsprung von 118 Stimmen. Trotzdem ist die Politikerin der Linken optimistisch, am 18. September wieder auf dem Siegertreppchen zu stehen.

Nach den aktuellen Prognosen hat Bluhm die Nase vorn, doch Stöß verweist darauf, dass sich in diesem Teil Berlins die Bevölkerung durch Zu- und Abwanderung stark verändert hat. Seiner Meinung nach nicht zugunsten der Linken.

Stöß’ Themen sind die Mieten, der Durchgangsverkehr in Mitte und die Sicherheit, nicht zuletzt am Alexanderplatz. Die Konkurrentin Bluhm hat Bauspekulation und Verdrängung durch hohe Mieten, aber auch die Gestaltung der historischen Mitte zu ihren zentralen Themen gemacht. In dem Streit um das geplante Hochhaus auf der Fischerinsel haben sich beide Kandidaten offensiv eingemischt.

Für Bluhm ist es ein Heimspiel: „Ich kenne den Wahlkreis schon lange, und die Menschen dort kennen mich.“ Stöß wiederum setzt darauf, die potenziellen Wähler möglichst direkt anzusprechen, er geht auch in die Wohnblöcke, von Tür zu Tür. Und er kriegt Unterstützung von der Bundesprominenz, vier sozialdemokratische Minister haben ihr Kommen zugesagt.

Das Verhältnis zueinander beurteilen beide Wahlkämpfer, die sich bei Veranstaltungen und an den Info-Ständen auf der Straße gelegentlich treffen, übereinstimmend als freundlich und respektvoll. Sie sind sich auch einig, dass sie in einem tollen Wahlkreis um die Stimmen der Wähler kämpfen. Bluhm hat den Vorteil, über die Landesliste der Linken gut abgesichert zu, sollte der Wahlkreis verloren gehen. Stöß muss hoffen, dass im Fall des Falles der Platz 3 auf der SPD-Bezirksliste noch zieht.

Mitte 5: Bruni Wildenheim-Lauterbach gegen Klaus Lederer

Fotos: promo
Bruni Wildenhein-Lauterbach (SPD) und Klaus Lederer (Linke)
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Beständigkeit – da ist sich Bruni Wildenhein-Lauterbach (69) sicher – ist für die Menschen in Wedding wichtig. Und sie selbst verkörpert das auch: Die SPD-Abgeordnete lebt seit 25 Jahren im Kiez um Schillerpark und Rehberge, seit 2006 ist sie hier die Direktkandidatin. Ihr Motto: „Wedding – dit is meen Ding!“

Herausgefordert wird sie nun von Klaus Lederer, dem Spitzenkandidaten der Linken in Berlin. Er tritt zum ersten Mal in diesem Wahlkreis an. 2011 ging er in Pankow an den Start. Warum der Wechsel? „Ich habe bei der Bundestagswahl in Mitte kandidiert. Ich kenne den Bezirk und seine Problemlagen“, erzählt Lederer am Telefon, während er von einem Termin zum anderen hetzt.

Sein Problem: Weil er für den Wahlkampf der Linken in der ganzen Stadt unterwegs sein muss, kann er nur begrenzt im Bezirk präsent sein. Er sagt selbst: „Ich kann nicht zu jeder Schuldiskussion gehen. Aber natürlich bin ich im Kiez unterwegs. Kürzlich haben wir in der Seestraße und im afrikanischen Viertel zusammen Plakate geklebt.“ Auch an Infoständen wird man ihn treffen können.

Spannend findet Lederer an dem Wahlkreis, dass sich hier Gesamt-Berliner Probleme wie soziale Verdrängungsprozesse widerspiegeln. Ältere, Hartz-IV-Empfänger, allein erziehende Mütter prägten lange Zeit das Bild des Kiezes. Jetzt kommen immer mehr junge Familien dazu, weil der Wohnraum noch günstig ist. Aber auch hier steigen die Mieten.

Wildenhein-Lauterbach spürt bei den Wählern eine große Verunsicherung. „Viele wissen nicht, wen sie jetzt noch wählen sollen. Und dann kommt die AfD und hat an jeder Laterne ihr Plakat“, sagt sie. Dass die Linke mit Lederer nun zum dritten Mal einen anderen Kandidaten aufgestellt habe, trage auch nicht unbedingt zur Beständigkeit bei. Die 69-Jährige hofft, dass sie bei den Wählern durch das über Jahre erworbene Vertrauen punkten kann. Prognosen sehen sie jedenfalls als die wahrscheinliche Gewinnerin.

Pankow 5: Udo Wolf gegen Sandra Scheeres

Fotos: promo
Sandra Scheeres (SPD) und Udo Wolf (Linke)
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Das Duell war gewollt. 2011 war Udo Wolf (54) noch im Nachbarwahlkreis aufgestellt – jetzt trifft der Linken-Fraktionschef im Gebiet Pankow-Süd und Heinersdorf auf Bildungssenatorin Sandra Scheeres (46). „Die Konstellation hat mich gereizt“, sagt er.

Scheeres gewann 2006 erstmals das Direktmandat. „Damals hatte man mir gesagt: ,Sandra das holst du nie, das ist ’ne Linken-Hochburg‘“, erzählt sie. 2011 sicherte sich Scheeres den Wahlkreis mit 32 Prozent der Erststimmen erneut. Wolf sieht sie als starke Konkurrenz.

Der Wahlkreis ist von Wohnbauten geprägt, aber auch von Kleingartenanlagen. Wolf geht es besonders um die Frage der wachsenden Stadt. „Wir brauchen Stadtentwicklungsplanung: Fragen des Verkehrs, der sozialen Infrastruktur müssen vor großen Neubauten geklärt werden.“ Auseinandersetzungen gibt es etwa um das Gelände am Pankower Tor, wo der Möbel-Mogul Kurt Krieger ein riesiges Einkaufscenter bauen möchte.

Scheeres will im Wahlkampf mit Themen wie Schule, Kita und bezahlbare Mieten punkten. Sie streitet etwa über den Bau einer riesigen Fleischfabrik in einem Gewerbegebiet, in dem Scheeres lieber Kleinbetriebe, Wohnungen und soziale Einrichtungen sehen würde. „Die Linke hat unseren Antrag in der BVV, das Projekt zu stoppen, nicht unterstützt.“

Die Senatorin ist bekannt im Wahlkreis. Sie sagt: „Für mich ist an jedem Tag im Jahr Wahlkampf.“ Zurzeit hält sie Stammtische ab, plaudert bei Kaffee und Kuchen und fährt mit ihrem mobilen Infostand herum. Auch Wolf ist viel unterwegs. Er war etwa in der Zukunftswerkstatt Heinersdorf zu Gast, in der Khadija-Moschee und in verschiedenen Kleingartensiedlungen. Begegnet ist er Konkurrentin Scheeres im Wahlkreis noch nicht. Aber die Begrüßung würde sicher freundlich ausfallen. „Ich verstehe mich persönlich gut mit ihr. Da werden die inhaltlichen Fragen entscheidend sein.“ Noch sehen Prognosen die SPD im Vorteil. „Aber die Situation ist volatil“, sagt Wolf.

Spandau 2: Raed Saleh gegen Ersin Nas

Fotos: promo
Raed Saleh (SPD) und Ersin Nas (CDU)
© promo

Im urbanen Zentrum Spandaus, der Alt- und Neustadt, liefern sich zwei Männer mit Migrationshintergrund einen ungleichen Kampf um den Wahlkreis: Der prominente SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh (39), der auch den Spandauer Kreisverband seiner Partei führt. Und der Rechtsanwalt Ersin Nas (38), Beisitzer im CDU-Ortsverband Wilhelmstadt, der weder im Bezirk noch im Landesparlament über ein Mandat verfügt. Beide Kandidaten eint, dass sie in Spandau aufgewachsen sind und ihren Kiez gut kennen. Beide Kandidaten trennt, dass Nas nach einem Zwischenstopp in der Spandauer SPD zu den Christdemokraten gewechselt ist.

Das persönliche Verhältnis zueinander wird von beiden Konkurrenten als fair und höflich bezeichnet. Man grüßt sich und wünscht sich, etwa beim zufälligen Treffen im Wahlkampf vor dem Spandauer Rathaus, einen guten Tag. Saleh hat mit einem großen, zentral gelegenen Bürgerbüro mit drei hauptamtlichen Mitarbeitern und vielen ehrenamtlichen Helfern einen klaren Standortvorteil. Mit einem Smart, dem „Kaffee-Mobil“, kurvt er schon frühmorgens durch den heimischen Kiez. Seine Spezialität sind, seit einem Jahr, abendliche Stammtische, um auch zu Bürgern den Kontakt zu suchen, die eigentlich die Schnauze voll haben von den „etablierten“ Parteien.

Der Gegenspieler Nas hat einen Bürgerverein gegründet („Spandauer Forum“), einen „Spielplatz-Treff“ kreiert und sucht den Kontakt zu seinen Wählern an Infoständen und bei Hausbesuchen. Der CDU-Mann räumt ein, dass er in einem „schwierigen Wahlkreis“ antritt, sieht aber trotzdem Chancen, die Wahl für die CDU zu gewinnen. Er spüre, so Nas, den Zuspruch unzufriedener Bürger. Saleh wiederum setzt auf seine Popularität in Spandau, den Wahlkreis hat er schon 2006 und 2011 gewonnen. Ob er den deutlichen Vorsprung halten kann, den er vor fünf Jahren vor der CDU errang, wird man sehen. Aktuelle Wahlprognosen gehen von einem Sieg Salehs aus.

Steglitz-Zehlendorf 2: Thomas Heilmann gegen Matthias Kollatz-Ahnen

Fotos: dpa/promo
Thomas Heilmann (CDU) und Matthias Kollatz-Ahnen (SPD)
© dpa/promo

Beim Bierabend der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg im November 2015 wussten zwei Senatoren noch nicht, dass sie im selben Wahlkreis antreten. Von Journalisten darauf aufmerksam gemacht, schüttelten sich Justizsenator Thomas Heilmann und Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen mit freundlicher Miene die Hände. Beide Politiker treten das erste Mal fürs Abgeordnetenhaus an und kämpfen um das Direktmandat im Wahlkreis 2 in Steglitz-Zehlendorf. Beide haben keine klassische Parteikarriere hinter sich. Der 58-jährige SPD-Politiker aus Hessen, Kollatz-Ahnen, war unter anderem Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank, ist Physiker, Volkswirt und Ingenieur. CDU-Politiker Thomas Heilmann, in Dortmund geboren, ist Jurist, Unternehmer und Werbefachmann. Der 52-Jährige ist seit Januar 2012 Justizsenator, Kollatz-Ahnen seit Dezember 2014 Finanzsenator.

Die Senatskollegen treten in einem bürgerlich-liberalen Wahlkreis an, in dem viele Akademiker und Beamte wohnen. In den letzten 20 Jahren hat sich die Kiezstruktur gewandelt: Immer mehr grüne Wähler sind in den Südwesten gezogen, was sich an den steigenden Stimmgewinnen zeigt. Noch verläuft der Kampf um das Direktmandat zwischen SPD und CDU – laut aktueller Prognosen mit einem Vorsprung für die SPD. Vor fünf Jahren gewann die CDU das Direktmandat mit einem denkbar knappen Vorsprung von drei Stimmen vor der SPD.

Natürlich äußern sich beide, Kollatz-Ahnen und Heilmann, optimistisch, das Mandat zu gewinnen. Kollatz-Ahnen lädt zu Bürgergesprächen mit Politikern aus EU, Bund und Berlin ein. Er verteilt Flyer und spricht wie Heilmann an Infoständen mit Bürgern. Heilmann ist im Südwesten CDU-Kreischef und kennt die Anliegen der Bürger. Man könne ihn regelmäßig an Infoständen sowie auf Straßen- und Sommerfesten treffen, sagt er. Er sei außerdem online aktiv. Demnächst will Heilmann „mit einer Art Pop-up-Stand“ durch den Wahlkreis ziehen. Mehr verrät er noch nicht.

Tempelhof-Schöneberg 3: Dilek Kolat gegen Annabelle Wolfsturm

Fotos: promo
Dilek Kolat (SPD) und Annabelle Wolfsturm (Grüne)
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Auch Sozialdemokraten müssen schmunzeln, wenn sie das Motto der Veranstaltungsreihe ihrer Genossin hören: „Kolat hört zu“. Dilek Kolat, Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen, gehört nicht zu der Sorte Frauen, die sich die Butter vom Brot nehmen lassen. Die 49-jährige Wirtschaftsmathematikerin kann sehr bestimmt für ihre politische Ziele kämpfen und hat sich mit dem einen oder anderen Senatsmitglied in dieser Legislatur harte Gefechte um mehr Geld für Integrations- oder Arbeitsmarktprogramme geliefert.

Im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe lädt sie Kiezbewohner in Friedenau in Cafés und Restaurants ein und hört sich ihre Anliegen an. Natürlich antworte sie auch darauf, lacht die SPD-Politikerin. Drei Mal hat Dilek Kolat seit 2001 das Direktmandat im Wahlkreis 3 in Tempelhof-Schöneberg gewonnen. Sie ist „zuversichtlich, dass meine Arbeit auch am Wahltag honoriert wird“, sagt sie. „Bei meinen Gesprächen erlebe ich viel Zustimmung und viel Sympathie für meine Arbeit vor Ort und für mich persönlich.“ Nicht nur im Wahlkampf sei sie als „Politikerin im Kiez“ ansprechbar.

Gegen die bekannte Politikerin tritt eine „Newcomerin“ an: Annabelle Wolfsturm rechnet sich auch „gute Chancen aus, dass die Grünen in dem Wahlkreis das Direktmandat gewinnen“. Nicht zu Unrecht: 2011 siegte Dilek Kolat mit einem Vorsprung von nur 535 Stimmen vor den Grünen. 33,7 Prozent der Erststimmen fielen auf die SPD, gefolgt von den Grünen mit 31,1 Prozent. Bei den Zweitstimmen lagen die Grünen vorn. Und in den letzten Jahren zogen viele Grünen-Wähler in den am dichtesten besiedelten aller 96 Berliner Ortsteile.

Beide Kandidatinnen setzen vor allem auf Straßenwahlkampf. Die 47-jährige Fremdsprachensekretärin Annabelle Wolfsturm lebt mit ihrer Tochter in Friedenau, setzt sich für Verkehrspolitik ein, lädt aber auch zu Diskussionen über andere Themen in Cafés ein. Ein spannender Wahlkampf zwischen Frauen, die viel reden und zuhören müssen.

Tempelhof-Schöneberg 4: Michael Müller gegen Rainer Penk gegen Markus Klaer

Fotos: promo/Tobias Koch
Michael Müller (SPD), Rainer Penk (Grüne) und Markus Klaer (CDU)
© promo/Tobias Koch

Diesen Wahlkreis, der große Teile des Tempelhofer Feldes umschließt, will der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller (51) zum vierten Mal seit 2001 gewinnen. Nach bisherigen Prognosen hat er die Nase auch vorn, aber die Kandidaten der Grünen und der CDU rücken ihm nah auf die Pelle. Müllers Vorteil im Kiez-Wahlkampf ist sein hoher Bekanntheitsgrad und seine tiefe Verwurzelung im Wahlkreis, in dem er und seine Familie zu Hause sind. Sein Nachteil ist die mangelnde Präsenz vor Ort, denn als Regierungschef und Berliner SPD-Spitzenkandidat ist er zwangsläufig stadtweit unterwegs. Müllers Spezialität sind Bürgerdialoge und andere Veranstaltungen in kleinerem Rahmen, viel Zeit für Wahlkreistermine hat er aber nicht.

Dem gelernten Drucker, der seit Ende 2014 im Roten Rathaus sitzt, will ein Tischlermeister den Wahlkreis streitig machen: Rainer Penk (51), Bezirksverordneter und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen in Tempelhof-Schöneberg. Ein ehemaliger Genosse, der vor 15 Jahren von der SPD zu den Grünen wechselte. Der Handwerker stellt sich im Wahlkampf natürlich schützend vor das Tempelhofer Feld, das auch in Zukunft nicht bebaut werden soll. Und er will bei den Mittelständlern im Kiez mit seinem politischen Einsatz gegen steigende Gewerbemieten Punkte sammeln. Penk ist im Wahlkreis geboren, aufgewachsen und bis heute fest verankert. Den Mitbewerber Müller kennt er seit 1988. „Wir duzen uns.“ Man pflege einen „menschlich anständigen Umgang“ miteinander. Der Grünen-Politiker sieht reelle Chancen, dem Berliner SPD-Promi den Wahlkreis wegzunehmen. „Wir sind auf Augenhöhe.“

Aber da ist auch noch Markus Klaer (48), der einzige CDU-Abgeordnete in Berlin, der sich bei einer Abstimmung im Landesparlament strikt gegen alle Bebauungspläne für das ehemalige Flughafengelände aussprach. Auf großen Plakaten zeigt der Vermessungsingenieur dem SPD-Kandidaten die rote Karte: „Müller vom Feld!“ Andere Themen, die ihm wichtig sind: Die Bekämpfung der Wohnungsnot und die Sanierung von Schulen und Bädern. „Traditionelle kommunalpolitische Probleme“, sagt Klaer, der im laufenden Wahlkampf gute Resonanz bei den Bürgern verspürt und sich ebenfalls gut im Rennen um den Wahlkreis sieht. Aber, soviel Ehrlichkeit muss sein: „Wer den Wahlkreis gewinnt, ist völlig offen.“

Tempelhof-Schöneberg 6: Ingo Siebert gegen Florian Graf

Fotos: dpa/promo
Florian Graf (CDU) und Ingo Siebert (SPD)
© dpa/promo

Ingo Siebert will mit seinen Genossen angreifen. „Wir haben Lust darauf. Und ich bin sehr optimistisch“, sagt er. Das klingt wirklich sehr optimistisch, denn der Direktkandidat der SPD in Marienfelde und Mariendorf-Süd kämpft wie Don Quichote gegen Windmühlen. Die größte „Windmühle“ für den 46-jährigen Sozialpädagogen und Geschäftsführer des August Bebel Instituts in diesem südlichen Randgebiet heißt dabei Florian Graf. Der CDU-Fraktionschef gewann vor fünf Jahren den Wahlkreis 6 in Tempelhof-Schöneberg mit deutlicher Mehrheit. Die Christdemokraten haben in den bürgerlichen Wohngebieten sicheres Terrain und auch in diesem Wahlkampf einen klaren Vorsprung.

Ingo Siebert war bis 2011 zehn Jahre lang in der BVV und macht im Wahlkampf „richtige Kärrnerarbeit“, wie er sagt. Er organisiert Info-Stände, Tür-zu-Tür-Besuche und Diskussionsrunden. Er engagiert sich für Bildungs- und Jugendpolitik, soziale Stadtentwicklung und für Kunst und Kultur auch in Berliner Randbezirken. Und selbst wenn Ingo Siebert nicht mehr im Wahlkreis wohnt, kennt er doch den Berliner Süden: Er ist in Lichtenrade aufgewachsen.

Fest in Tempelhof-Schöneberg verwurzelt ist Florian Graf. Der 42-jährige Verwaltungswirt ist in Tempelhof aufgewachsen und lebt seit Jahren mit Frau und Kindern im Wahlkreis. Graf ist die klassische Parteileiter hochgestiegen: Junge Union, Ortsvorsitzender, seit 2006 Mitglied des Abgeordnetenhauses, seit 2007 Kreisvorsitzender, Haushaltspolitiker, Fraktionsgeschäftsführer, seit 2011 Fraktionschef. Er gehört zur CDU-Führungsspitze und ist einer der engsten Vertrauten des Parteichefs Frank Henkel. Als Fraktionschef hat er auch Entscheidungen in seinem Wahlkreis forciert, wie etwa die Finanzierung von 30 Millionen Euro eines geplanten Multifunktionsbads am Ankogelweg. Graf führt einen Wahlkampf mit Hausbesuchen, Informationsständen und ist unterwegs in seinem Wahlkampfmobil.

Marzahn-Hellersdorf 5: Mario Czaja gegen Iris Spranger

Fotos: dpa/promo
Mario Czaja (CDU) und Iris Spranger (SPD)
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Ein- und Zweifamilienhäuser, niedrige Arbeitslosigkeit, viele Familien: Das Gebiet Mahlsdorf und Kaulsdorf-Süd ist ein klassischer Stadtrandwahlkreis. 2006 hat sich Sozialsenator Mario Czaja (CDU) hier mit viel Fleiß ein Direktmandat erobert – Marzahn-Hellersdorf ist schließlich traditionell linkes Terrain. 2011 verteidigte Czaja seine Position und steigerte sein Ergebnis auf 41,5 Prozent der Stimmen.

Nun tritt er erneut gegen Iris Spranger an, einst Finanzstaatssekretärin, seit 12 Jahren stellvertretende SPD-Landesvorsitzende und baupolitische Sprecherin ihrer Fraktion. Bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 kam Spranger auf 21,8 Prozent der Erststimmen. Damit lag sie knapp vor dem Kandidaten der Linken.

Sowohl Spranger als auch Czaja sehen den Bau von Schulen als eines der wichtigsten Wahlkampfthemen. Sie sind stolz darauf, dass im Wahlkreis für 31 Millionen Euro eine neue Oberschule gebaut wird – ein Modellprojekt, bei dem die für Schulen übliche Bauzeit von sieben Jahren deutlich gesenkt werden soll. Von den Lorbeeren für diesen Erfolg hätten beide gern etwas ab.

Spranger möchte außerdem erreichen, dass mehr Gehwege barrierefrei werden – wegen der vielen älteren Menschen und Familien mit Kinderwägen im Wahlkreis. Czaja denkt ein wenig größer: Er will den Ausbau der kurz TVO genannten „Tangentialen Verbindung Ost“ weiter vorantreiben und die Anliegerstraßen „behutsam“ sanieren.

Im Wahlkampf werden die beiden sich wohl noch einige Male begegnen. Czaja ist zwar kein Freund von Infoständen an Supermärkten oder S-Bahnhöfen. „Dort sind die Menschen häufig in Eile.“ Aber er geht gern von Tür zu Tür und verabredet sich zum Gespräch an einer Kreuzung. „Auf den Wahlkampf allein kommt es aber nicht an“, sagt er. Die Wähler merkten genau, ob der Kandidat auch vorher für sie da war. Doch auch wenn Prognosen Czaja als Gewinner sehen – der Senator sagt: „Das ist kein Selbstläufer.“

Lichtenberg 6: Andreas Geisel gegen Harald Wolf

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Andreas Geisel (SPD) und Harald Wolf (Linke)
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Im Süden Lichtenbergs liefern sich Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) und Ex-Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linke) ein Duell. Wolf gewann hier bereits 2006 und 2011 sein Direktmandat. Aber auch Geisel ist zwischen Rummelsburger Bucht, Trabrennbahn und Karlshorst bekannt. 1995 wurde er Baustadtrat in Lichtenberg und war von 2011 bis 2014 Bezirksbürgermeister. Nun tritt er erstmals als Direktkandidat hier an.

Vor allem ein Thema spaltet die beiden: der 17. Bauabschnitt der A 100. Wolf lehnt den Weiterbau, der seinen Wahlkreis betreffen würde, rigoros ab. „Das ist Irrsinn, ein stadtzerstörerisches Projekt“, sagt er. Geisel ist für den Weiterbau. Und auch in der Wohnungspolitik sind die beiden sich uneinig. Geisel will, dass 30 Prozent der neugebauten Wohnungen der landeseigenen Unternehmen mit Preisen ab 6,50 Euro pro Quadratmeter erschwinglich sind. Wolf dagegen hält das für viel zu wenig.

Im Wahlkampf setzen beide auf das Thema Familienfreundlichkeit – denn immer mehr junge Familien ziehen in den Bezirk. „Prognosen gehen davon aus, dass die Zahl der Kinder im Süden Lichtenbergs bis 2030 um fast 50 Prozent steigen wird. Wir können nicht länger warten“, sagt Geisel. Er will deshalb mehr Grundschul- und Oberschulplätze schaffen. Wolf sind außerdem die kleinen kommunalpolitischen Themen wichtig: Wo muss ein Bürgersteig abgesenkt werden? Wo kann ein dunkler Weg mit Laternen sicherer gemacht werden?

Im Wahlkampf hilft Geisel seine mediale Präsenz als Senator. „Aber man kennt mich hier auch einfach.“ Vor 15 Jahren ist er in den Kiez gezogen. Damals sei Lichtenberg assoziiert gewesen mit Stasi, Nazis und Plattenbauten. Das habe sich radikal verändert. „Heute ist die Gegend um die Rummelsburger Bucht eines der attraktivsten Wohngebiete in ganz Berlin.“

Auch wenn Prognosen derzeit die Linke als wahrscheinlichen Gewinner sehen, ist Geisel selbstbewusst: „Ich trete an, um den Wahlkreis für die SPD direkt zu gewinnen.“

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