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Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) äußert sich zu dem möglichen Justizskandal.
© Britta Pedersen/dp

Vorwürfe gegen Staatsanwalt nach rechter Anschlagsserie in Berlin: So reagieren Justizsenator, Grüne, Linke und die Opposition

Die Linke will einen U-Ausschuss. Dirk Behrendt würde dessen Arbeit unterstützen. CDU schlägt Sonderermittler vor. Grüne sehen keinen Fehler beim Senat.

Berlins Justizsenator Dirk Behrendt hat sich besorgt gezeigt angesichts des Befangenheitsverdachts gegen einen Staatsanwalt im Zusammenhang mit einer rechten Anschlägen in Berlin-Neukölln. Zwei Verdächtige aus der rechtsextremen Szene sollen laut Generalstaatsanwältin Margarete Koppers über den Staatsanwalt gesagt haben, dass er nach eigenen Äußerungen der AfD nahe stehe und man von ihm nichts zu befürchten habe.

„Es darf keinen Zweifel daran geben, dass die Strafverfolgungsbehörden rechtsextreme Straftaten verfolgen“, erklärte der Grünen-Politiker am Donnerstag. „Bei den Ermittlungen zur Anschlagsserie in Neukölln gab es inzwischen zu viele Anlässe, die Zweifel nähren. Das besorgt mich.“

Berlins Generalstaatsanwaltschaft hatte am Mittwoch bekanntgegeben, sämtliche Ermittlungsverfahren zu Straftaten gegen Menschen zu übernehmen, die sich in Neukölln gegen Rechtsextremismus engagieren. Grund ist der Verdacht, dass ein Staatsanwalt befangen sein könnte.

Zwei Verdächtige aus der rechtsextremen Szene sollen laut Generalstaatsanwältin Margarete Koppers über einen Staatsanwalt gesagt haben, dass er nach eigenen Äußerungen der AfD nahe stehe und man von ihm nichts zu befürchten habe.

„Ich finde es richtig, dass die Generalstaatsanwältin konsequent und schnell reagiert hat“, bemerkte Behrendt. „Die Sicherheitsorgane des Landes Berlin müssen fest auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. Bereits dem bösen Schein, dass die Strafverfolgung befangen erfolgt, ist entgegenzutreten.“

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Aufgrund der aktuellen Entwicklungen sind die Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss lauter geworden. Dazu sagte Behrendt: „Es ist das vornehmste Recht des Parlaments, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Da ist nicht die Exekutive gefragt. Wir würden selbstverständlich vonseiten der Justiz die Arbeit des Ausschusses mit Akten und Informationen unterstützen.“

Linke sehen sich mit Forderung nach U-Ausschuss bestätigt

Der Kommunalpolitiker der Linken, Ferat Kocak, dessen Auto im Februar 2018 angezündet wurde, twitterte am Donnerstag: „Die Ermittlungen zum rechter Terror in Neukölln werden immer komplexer. Ein Skandal folgt dem Anderen. Wenn wir nun neben den Sicherheitsbehörden auch ein rechtsoffenes Probleme mit der Staatsanwaltschaft haben, ist ein Untersuchungsausschuss unabdingbar!“

Im November 2019 gab es in Neukölln eine Solidaritätskundgebung für die Betroffenen der Anschlagsserie - auch Ferat Kocak war dabei.
Im November 2019 gab es in Neukölln eine Solidaritätskundgebung für die Betroffenen der Anschlagsserie - auch Ferat Kocak war dabei.
© imago images / Christian Mang

Der Vorsitzende der Berliner Linke-Fraktion, Carsten Schatz, sagte, er sehe sich in seiner Forderung nach einem Untersuchungsausschuss bestätigt. „Erstens gibt es jetzt noch mehr Verdachtsmomente, dass die Sicherheitsbehörden tendenziös oder gar nicht richtig ermittelt haben“, sagte Schatz.

„Zweitens zeigt der Vorgang, dass die interne Untersuchung der Polizei mit der Sonderermittlungsgruppe Fokus gescheitert ist.“ Die Ermittlungen hätten keine nennenswerte Erkenntnisse zu Tage gebracht.

Grüne sehen keine Fehler beim Senat

Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Petra Vandrey, sagte am Donnerstag, ein Untersuchungsausschuss sei angesichts der aktuellen Erkenntnisse in Betracht zu ziehen. Die Fraktion werde über das Thema aber noch diskutieren.

Fehler vonseiten des Senats gebe es nach ihrer Einschätzung nicht, das gelte auch für Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). „Die Generalstaatsanwältin hat aktiv gehandelt und das Verfahren an sich gezogen. Auch der Senat setzt auf konsequente Aufklärung.“

Der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader hatte bereits kritisiert: „Die Ermittler hatten die Aufgabe, jeden Stein umzudrehen - was machen die beruflich, frage ich mich? Wir brauchen unabhängige Aufklärung, am besten durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.“

In einer Petition mit 25.000 Unterschriften war bereits Ende 2019 ein derartiger Ausschuss gefordert worden. Grüne und SPD lehnten das ab und forderten einen Sonderermittler, der die gesamten Vorgänge untersuchen soll.

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Auch der Berliner CDU-Vorsitzende Kai Wegner hat einen Sonderermittler angesichts des Befangenheitsverdachts gegen einen Staatsanwalt im Zusammenhang mit der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln ins Gespräch gebracht.

CDU: „Gibt kein Rassismusproblem bei der Berliner Polizei oder Justiz“

„Zunächst ist der Justizsenator in der Verantwortung, zu diesen Vorwürfen Stellung zu nehmen und sie aufzuklären“, sagte Wegner am Donnerstag. „Wenn das nicht befriedigend läuft, dann kann ich mir einen Sonderermittler gut vorstellen.“

Dies wäre dann eine andere Möglichkeit, für Aufklärung zu sorgen. Einen Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus hält Wegner in diesem Fall nicht für zielführend.

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Wegner warnte vor einem Generalverdacht gegen die Justiz oder die Polizei. „Es gibt kein Rassismusproblem bei der Berliner Polizei oder in der Justiz, genausowenig wie ein Extremismusproblem“, unterstrich er. „Aber es mag einzelne schwarze Schafe geben. Da muss der Rechtsstaat dann konsequent reagieren.“

Der Landesvorsitzende der CDU-Berlin Kai Wegner will Polizei und Justiz nicht unter Generalverdacht stellen.
Der Landesvorsitzende der CDU-Berlin Kai Wegner will Polizei und Justiz nicht unter Generalverdacht stellen.
© Kay Nietfeld/dpa

Nach früheren Angaben rechnet die Polizei der Serie rechtsextremer Taten in Neukölln 72 Fälle zu, darunter 23 Brandstiftungen. Viele davon wurden 2016 und 2017 begangen.

Nach Brandanschlägen Anfang 2018 auf die Autos des Linken-Kommunalpolitikers Kocak und eines Buchhändlers hatte die Polizei Wohnungen von Rechtsextremisten durchsucht. Überführt werden konnten die Brandstifter aber nicht. Die Polizei geht von insgesamt drei Verdächtigen aus.

FDP: Generalstaatsanwaltschaft hat zu spät reagiert

Die FDP zeigt sich tief besorgt. Wenn die Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen an sich ziehe, sei das ein „deutliches Signal“, sagte der Vizevorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Stephan Thomae, am Donnerstag in Berlin.

„Gerichte und Staatsanwaltschaften verfügen über große Macht, in die Freiheit des Einzelnen einzugreifen. Sie müssen daher über jeden Zweifel erhaben sein“, betonte der FDP-Rechtspolitiker.

Der Staat müsse gegen rechtes Gedankengut und rechte Gewalt entschlossen vorgehen. „Es darf an keiner Stelle auch nur der Eindruck entstehen, dass staatliche Institutionen dieser Gefahr nicht konsequent entgegentreten.“

Die Generalstaatsanwaltschaft habe leider zu spät reagiert, sagte sein Fraktionskollege Benjamin Strasser. Der Innenpolitiker betonte: „Die merkwürdigen Verbindungen von AfD und Sicherheitsbehörden in Berlin-Neukölln sind nicht erst seit gestern bekannt.“

Schließlich sei schon vor einiger Zeit herausgekommen, „dass wohl interne Informationen zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz von Polizisten in AfD-Chatgruppen veröffentlicht wurden“.

Der Berliner Senat solle prüfen, ob sein Konzept gegen rechtsextreme Einstellungen bei der Polizei womöglich auf alle Justiz- und Sicherheitsbehörden der Hauptstadt ausgeweitet werden müsse. (dpa)

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