Nach Breitscheidplatz-Anschlag: Polizei-Interna mit AfD geteilt – LKA prüft Bezug zu Pegida-Bachmann
Ein Polizist soll AfD-Freunde mit Infos zum Amri-Anschlag versorgt haben, der Staatsanwalt ermittelt. Es gibt auch einen Bezug zur Neuköllner Anschlagsserie.
Bei den Ermittlungen zur rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln hat die Soko „Fokus“ der Berliner Polizei eine undichte Stelle in den eigene Reihen gefunden. Es handelt sich um Polizeihauptkommissar Detlef M., der im Abschnitt 65 in Treptow als Wachleiter seinen Dienst versieht. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln gegen ihn seit einigen Wochen wegen des Verdachts des Verrats von Dienstgeheimnissen.
M. soll wenige Stunden nach dem Terroranschlag des Islamisten Anis Amri auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember 2016 und am Folgetag erste Erkenntnisse der Polizei in einer Chatgruppe von zwölf Neuköllner AfD-Mitgliedern und Rechtsextremisten geteilt haben. Zuerst hatten rbb und NDR darüber berichtet – allerdings nicht, um welche Informationen es sich gehandelt hat. Doch daran macht sich zumindest beim Strafvorwurf die Fallhöhe des Vorgangs fest.
Klar ist zumindest, dass die Details, wären sie öffentlich geworden, die Ermittlungen hätten erheblich belasten und den flüchtigen Täter warnen können. Tatsächlich waren die Informationen etwa zum Tatort, zu Opfern und Tatfahrzeug vorläufig und nur aus dem internen Polizeigebrauch – sie waren allerdings nicht als geheim zu haltende Verschlusssache eingestuft.
Aus Polizeikreisen hieß es am Freitag, dass sich Beamte der Polizei wegen der unübersichtlichen Lage nach dem Anschlag die ersten spärlichen Informationen über Messengerdienste geteilt haben, um den Polizeifunk für den Großeinsatz freizuhalten. Zudem war das Bedürfnis nach Information bei allen Polizisten groß.
Die von M. an seine AfD-Runde weitergeleiteten Informationen könnten auch einfach aus den Chatgruppen von Beamten und nicht aus Ermittlungsvorgängen stammen, hieß es. M. soll am Tag des Anschlags nicht im Dienst gewesen sein, aber am Folgetag.
Erste Infos schon 90 Minuten nach der Tat
Das Landeskriminalamt (LKA) prüft nach Tagesspiegel-Informationen auch mögliche Verbindungen zu Lutz Bachmann, dem Initiator der rechtsextremen Dresdner Pegida-Bewegung. Denn Hauptkommissar M. teilte bereits 90 Minuten nach dem Anschlag die ersten groben Erkenntnisse aus der Polizei in seiner Chatgruppe.
Wenige Stunden nach dem Anschlag behauptete Bachmann dann auf Twitter, er habe eine „interne Info“ aus der Berliner Polizeiführung, demnach sei der Täter ein „tunesischer Moslem“. Anis Amri stammte tatsächlich aus Tunesien. Später erklärte Bachmann, er habe doch keinen Informanten gehabt.
Auch sonst ist fraglich, wie heikel die Informationen von Detlef in der Chatgruppe gewesen sein können. Denn 90 Minuten nach dem Attentat ging die Polizeiführung noch nicht einmal von einem Anschlag aus. Lediglich Beamte im Staatsschutz mutmaßten intern, dass es sich um einen Anschlag handeln müsse.
Erst drei Stunden nach dem Attentat, also um 23.02 Uhr stufte die Einsatzleitung die Lage nicht mehr als Amok, sondern als Terroranschlag ein. Der Name Anis Amri aber fiel zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht. Erst 19 Stunden später wurden das Portemonnaie mitsamt Duldungspapieren in dem Lkw-Führerhaus gefunden. Das war um 16.45 Uhr am 20. Dezember.
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Die Ermittler der Soko „Fokus“ stießen im Zuge des Verfahrens gegen Tilo P. auf besagte AfD-Chatgruppe. P., einst selbst bei der AfD, ist einer von drei Verdächtigen, gegen die wegen der Anschlagsserie von Neukölln seit Jahren ermittelt wird. Auf der beschlagnahmten Technik fanden die Ermittler den Chatverlauf und prüften die Kontakte – darunter war Detlef M.
Er ist nicht nur AfD-Mitglied, wollte Stadtrat in Neukölln werden, er war auch Sicherheitschef der AfD im Bezirk. Durch seine Aktivität im AfD-Verband stand der Polizeibeamte mit einem Fuß im braunen Neuköllner Sumpf. Die engen Kontakte der Partei in dem Bezirk zu Neonazis und die Bezüge zur rechtsextremistischen Anschlagsserie auf Nazi-Gegner sind schon seit einiger Zeit bekannt und belegt.
Hauptkommissar M. noch im Dienst
Vor zwei Monaten, im April rückten die LKA-Ermittler bei Hauptkommissar M. an, bei der Durchsuchung wurde auch Kommunikationstechnik beschlagnahmt. Ein Sprecher der Polizei hob hervor, dass Staatsanwaltschaft und Polizei selbst durch ihre „akribischen Ermittlungen“ den Fall „aufgetan und verfolgt“ haben.
„Das Disziplinarverfahren ruht bis zum Abschluss des Strafermittlungsverfahrens“, sagte der Sprecher. "Auch wenn wir grundsätzlich transparent mit derlei Verdachtsmomenten umgehen möchten, verbieten uns die Persönlichkeitsrechte sowie die laufenden Ermittlungen die Weitergabe weitergehender Informationen, wie zu Inhalten und Umständen der Ermittlungen, zu dienstrechtlichen Maßnahmen oder zur Person im Allgemeinen", erklärte der Sprecher.
Nach Tagesspiegel-Informationen ist M. ist weiter im Dienst, es soll jetzt aber offenbar geprüft werde, ihn auf einen anderen Posten zu versetzen. Doch so einfach ist das beamtenrechtlich nicht. Der Sprecher wollte sich nicht dazu äußern.
Erneut rechtsextreme Symbole in Neukölln
Unbekannte Täter haben indes in Neukölln erneut mehrere Lokale und ein Gebäude mit rechtsextremen Symbolen beschmiert. Betroffen sind eine Kneipe sowie ein Imbiss in der Wildenbruchstraße. Außerdem mit einem Hakenkreuz sowie dem Schriftzug „SS“ beschmiert wurde der Hausflur eines Wohngebäudes in der zuletzt immer wieder von rechtsextremen Anschlägen heimgesuchten Straße.
Laut Polizeimeldung wurden einige der Schmierereien in der Nacht zu Freitag von einem Mitarbeiter des Zentralen Objektschutzes der Polizei festgestellt. Der für politisch motivierte Straftaten verantwortliche Polizeiliche Staatsschutz beim LKA hat die Ermittlungen übernommen.
Zuletzt gab es im Februar und März Anschläge, in Neukölln wird der Verdacht geäußert, dass dies im Zusammenhang mit der Anschlagserie steht.
Im Dezember 2019 tauchten rechtsextreme Symbole an einem Imbiss sowie einem Wohnhaus in der Wildenbruchstraße auf. Im Fall des Wohnhauses schlugen die Täter nun doppelt zu. Ebenfalls erneut betroffen: Die alternative Kneipe „k-fetisch“. Auf das Lokal war bereits im Dezember 2016 ein Brandanschlag verübt worden – ohne größeren Schaden.
Nun sprühten die unbekannten Täter den Schriftzug „SS“ auf die Jalousie der Kneipe. Die Taten reihen sich ein in eine lange Serie rechtsextremer Straftaten im Bezirk Neukölln – Schmierereien, Sachbeschädigungen, Bedrohungen und Brandanschläge.
Fall wird Thema im Berliner Innenausschuss
Die neuesten Entwicklungen beschäftigen auch die Landespolitik. Dass Detlef M. Dienstgeheimnisse an eine AfD-Chatgruppe verraten hat, in der offenbar auch ein Beschuldigter der Neuköllner Anschlagsserie teilgenommen hat, will Innenpolitiker Niklas Schrader (Linke) am Montag im Innenausschuss thematisieren.
„Was hatte er für einen Zugang zu Polizeidaten, wer war noch in der Chatgruppe, und gab es im Zusammenhang mit den Anschlägen ein Leck bei der Polizei“, will Schrader wissen. Die Linke fordert seit längerem die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses. „Wir haben ein Problem in der Berliner Polizei. Und das muss unabhängig untersucht werden.“
M. als Zeuge im Amri-Untersuchungsausschuss?
Mit der Datenweitergabe in eine AfD-Chatgruppe wird sich wohl auch der Amri-Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus befassen. SPD-Innenpolitiker Frank Zimmermann sagte: „Die Sache ist dringend aufklärungsbedürftig. Offenbar hat der Polizeibeamte sensible Daten weitergegeben. Wir werden uns im Ausschuss darum kümmern.“
Grünen-Innenpolitiker Benedikt Lux will prüfen, ob Detlef M. als Zeuge vernommen werden kann. Und auch Karsten Woldeit, Obmann der AfD im Ausschuss, will wissen, „welche sensiblen Daten“ der Polizeibeamte Detlef M. weitergegeben haben soll. Der Untersuchungsausschuss tagt am kommenden Freitag zum letzten Mal vor der Sommerpause. Für weitere Zeugenvernehmungen hat der Ausschuss nach den Parlamentsferien noch Zeit eingeräumt.