Linken-Kandidat Klaus Lederer zur Berlin-Wahl: "So ein Weiter-so-Kurs wäre fatal"
In einem Gastbeitrag erklärt der Linken-Kandidat Klaus Lederer, warum der SPD Nachdenklichkeit fehlt. Außerdem kritisiert er das "Versagen des Senats".
Eigentlich könnte die Ankündigung Michael Müllers, die Koalition mit der CDU nach den Wahlen am 18. September nicht fortführen zu wollen, ein Signal der Hoffnung sein. Ein Zeichen des Neustarts nach fünf verlorenen Jahren für Berlin, in denen die regierenden Parteien trotz sprudelnder Steuereinnahmen zugesehen haben, wie die Infrastruktur der Stadt verfiel, der öffentliche Dienst in wesentlichen Bereichen kollabierte, Menschen aus ihren Wohnungen und Kiezen verdrängt wurden, wie sich der Niedriglohnsektor ausweitete und wichtige Weichenstellungen für eine bezahlbare und klimaverträgliche Energieversorgung der Stadt verpasst wurden. Das Versagen des SPD-CDU-Senats ist unübersehbar, das Ende dieser Regierung in der Tat überfällig.
Und dennoch macht mich die Ankündigung von Michael Müller nicht wirklich froh. Nicht, wie manche vermuten werden, weil er sich nach der Wahl eine Zweierkoalition erhofft und dafür als Wunschpartner Bündnis 90/Die Grünen und nicht Die Linke genannt hat. Das betrachte ich eher als Anerkennung, zeigt es doch, dass uns die SPD nach den Erfahrungen mit Rot-Rot für unbequemer hält, als sie meistens zugibt. Das ist nicht der Punkt. Sondern dass Michael Müller in seinem Beitrag jeden Anflug von Nachdenklichkeit und Selbstkritik vermieden hat.
SPD ist Gespür für Realität verloren gegangen
Genau das hätte ich aber erwartet von einer SPD, die seit 15 Jahren den Regierenden Bürgermeister stellt. Die sich vor fünf Jahren – mangelndes Verhandlungsgeschick der Grünen hin oder her – lieber für eine Koalition mit der Henkel-CDU entschied und damit den wohl unfähigsten Innensenator Berlins seit Jahrzehnten in den Sattel hievte, als auf ein verkehrspolitisch unsinniges und stadtzerstörerisches Projekt wie die Autobahn A100 zu verzichten.
Es war die SPD, die in rot-roten Zeiten ein Umsteuern in der Mietenpolitik, beim Personalabbau im öffentlichen Dienst oder bei der Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit blockierte, aber dann in der Koalition mit der CDU erst recht keine linken Politikansätze durchsetzen konnte. Dafür, dass in den vergangenen fünf Jahren die dringendsten Probleme in der Stadt nicht ernsthaft angepackt wurden, trägt die SPD nicht weniger Verantwortung als die CDU.
Dass sich Michael Müller und die SPD angesichts der realen sozialen Spaltung Berlins erneut als Garanten für das Wohl der ganzen Stadt präsentieren, zeugt von einer gewissen Chuzpe. Genau wie die Grünen lade ich Michael Müller gerne ein, sich in der Stadt dorthin zu begeben, wo das Heer der Flaschensammelnden unterwegs ist, wo Menschen mit den Jobcentern um ein paar Euro ringen oder Geflüchtete und ihre Helfer mit der Bürokratie der Ämter zu kämpfen haben.
Doch nicht nur in dieser Hinsicht ist der SPD das Gespür für die Realität offenbar verlorengegangen. Nicht nur die aktuellen Umfragen der Meinungsforscher stehen im Gegensatz zu Michael Müllers Wunsch, nur mit einer Zweierkoalition aus SPD und Grünen könne ein neues Kapitel für Berlin aufgeschlagen werden. Es sind die Berlinerinnen und Berliner selbst, die längst damit begonnen haben, die Stadt zu verändern. In den vergangenen Jahren ist eine vielfältige, aktive Stadtgesellschaft entstanden, die nicht mehr darauf wartet, bis Regierung und Verwaltung endlich aus der Hüfte kommen.
Mit Volksbegehren erzwangen die Berlinerinnen und Berliner Zugeständnisse in der Mietenpolitik, setzten die Rekommunalisierung der Energiewirtschaft auf die politische Agenda und sorgten dafür, dass das Tempelhofer Feld nicht an Immobilienhaie verhökert, sondern als einzigartige Freifläche geschützt wurde. Sie packen auch an. Bei der Integration der geflüchteten Menschen, beim Renovieren von Schulen und Kitas, in Sportvereinen, der Nachbarschaftshilfe und vielem anderen mehr, das sonst nicht laufen würde. Im Gegenzug erwarten sie mit Recht, dass nicht über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. Michael Müllers Forderung nach klaren politischen Verhältnissen muss in ihren Ohren klingen wie die bekannte Sehnsucht der Berliner Sozialdemokratie, im Zweifel einfach durchzuregieren.
Die Stadt muss wieder funktionieren
So ein Weiter-so-Kurs wäre fatal. Nicht nur, weil er das Engagement und die Kreativität der hier lebenden Menschen vor allem als Störfaktor wahrnimmt und nicht als das wichtigste Potenzial, über das unsere Stadt verfügt. Sondern auch, weil er die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung weiter befördert. Diese aber ist, in Kombination mit sozialchauvinistischen und autoritäreren Ansichten sowie tief verwurzelten rassistischen Ressentiments, die Quelle, aus der die Rechtspopulisten der AfD gegenwärtig schöpfen.
Wer sie trockenlegen will, muss sich zuerst der Realität stellen. Eine künftige Berliner Regierung muss dafür sorgen, dass die Stadt wieder funktioniert. Investitionen in die maroden Schulen, in Straßen, Nahverkehr und Radwege dulden keinen Aufschub. Deshalb will Die Linke ein großes Investitionsprogramm in Berlins Infrastruktur, so schnell wie möglich. Wo Lehrerinnen und Lehrer fehlen, Polizei, Bürgerämter und Gerichte überlastet sind, muss eingestellt werden. Nicht kleckerweise, sondern massiv. Wir fordern das seit Jahren und es ist gut, dass das, wie hier zu lesen war, auch bei SPD und Grünen angekommen zu sein scheint.
Die Bekämpfung von Armut, insbesondere von Kinder- und Altersarmut muss zu einem vorrangigen Ziel werden. Die Schere zwischen Arm und Reich darf nicht weiter aufgehen. Zwangsräumungen, Arbeitslosigkeit, Verdrängung armer und älterer Menschen aus ihren Kiezen, Kinderarmut: Das geht so nicht weiter. Ein Armutsbekämpfungsprogramm muss her, das jetzt Not lindert. Darauf werden wir als Linke bestehen.
Neue Kultur des Regierens
Und es bedarf einer neuen Kultur des Regierens. In unserem aktuellen Diskussionsangebot machen wir deutlich: Nicht die Frage, wer sich gegen wen durchsetzt, sondern wie man gemeinsam zu besseren Lösungen kommt, muss handlungsleitend werden. Auch im Umgang zwischen Koalitionspartnern.
Offen bleibt, ob das mit dieser SPD möglich ist. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Doch dafür braucht es Druck aus der Gesellschaft. So wie 2001, als sie erst unter dem Eindruck von Bankenskandal und gewachsener linker Wahlergebnisse den Mut zum Bruch mit der Diepgen-Landowsky-CDU aufbrachte.
Die Linke zieht mit realistischen und finanziell machbaren Vorschlägen in den Wahlkampf und sucht darüber die Debatte mit den anderen Parteien, vor allem aber mit den Berlinerinnen und Berlinern. Über Konstellationen, Zweier- oder Dreierbündnisse werden wir nach dem 18. September auf Grundlage des Wahlergebnisses und von Inhalten entscheiden.
Klaus Lederer