zum Hauptinhalt
Hausfassaden im Berliner Bezirk Kreuzberg zu sehen.
© Wolfgang Kumm/dpa

Wahl-Serie: Wohnen: Der Häuserkampf der Berliner Parteien gegen Wohnungsnot

Steigende Mieten und Verdrängung betreffen immer mehr Bürger. Wer Stimmen gewinnen will, muss Ideen haben – ein Überblick über die Vorschläge der Parteien.

Die Rote Insel in Schöneberg war mal die Bastion des Widerstandes der Arbeiter gegen das Regime. Das war, als der Verlauf der Fronten noch übersichtlich war, bevor der Spätkapitalismus alle erfasste, alles in Ware ummünzte und der Spekulation auslieferte. Nun wird auch im Herzen der roten Insel mit einer Industriebrache spekuliert. Der Bezirk trotzte dem Investor zwar einen Park ab, das aber beschleunigt den Wandel des Refugiums günstigen Wohnraums in eine gefragte und teure Lage.

Kurzum, die Gentrifizierung hat auch dieses Gebiet nahe Ikea und Autobahn erreicht und bringt Freischaffende wie die Filmproduzentin Friederike Hamann (Name geändert) in Nöte. Hamann lebt seit sechs Jahren mit ihrem Partner auf der Insel und gebar vor zwei Jahren ihren Sohn Paul. Zwei Zimmer zu dritt, das ist zu wenig, wenn auch mal Arbeit ansteht.

Eine größere Wohnung im selben Kiez zu finden, damit Paul seine Freunde in der Kita nicht verliert, dauerte zwei Jahre und gelang nur mit viel Glück: Ein Nachbar gab den Tipp, dass zwei Straßen weiter eine größere Wohnung frei wurde. Doch jetzt zahlt die Kleinfamilie für ein Zimmer mehr das Doppelte: 926 Euro kalt, statt zuvor 430 warm. Das sind 233 Euro mehr als Mietspiegel und Mietpreisbremse erlauben.

Politiker müssen Rezepte liefern

Dit is’ Berlin – in der Wohnungsnot. Hamann erzählt von Besichtigungen, bei denen sich „gut 100 Wohnungssuchende“ in langen Schlangen bis auf die Straße einreihten und die Beine in den Bauch standen. Der vor sechs Jahren noch „schmuddelige“ Arbeiterkiez ohne Cafés und Restaurants ist heute „gute innerstädtische Lage“ – so wie das ganze Zentrum Berlins von Kreuzkölln bis Grunewald, von Wedding bis Tempelhof.

Politiker, die eine Chance bei diesen Wahlen haben wollen, müssen Rezepte liefern, wie die Wohnungsnot zu lindern ist. Die Mietpreisbremse, von der SPD im Bund eingeführt und den Sozialdemokraten in Berlin in Kraft gesetzt, hätte eigentlich auch den Hamanns helfen sollen. Aber der Vermieter sagt: Wir haben ein neues Bad eingebaut, aufwendig saniert. Deshalb greife die Bremse hier nicht, es gelte eine Ausnahme: Wenn die Sanierungskosten ein Drittel der Kosten einer Neubauwohnung betragen, ist die Mietpreisbremse außer Kraft. Ob das wirklich so ist, darüber streiten nun die Hamanns mit ihrem Vermieter vor Gericht.

300.000 Wohnungen gehören dem Land

Wäre die Wohnung eine von gut 300.000, die dem Land gehören, dann gäbe es diesen Streit nicht. Denn die große Koalition hat ihre sechs Firmen auf Sozialkurs gebracht. Deren Mieten müssen dem Ortsüblichen nach Mietspiegel entsprechen. Das sind in Berlin 5,84 Euro je Quadratmeter im Durchschnitt. Weil die Mieten im Bestand so günstig sind, aber keine Wohnungen mehr frei sind, können Vermieter bei einem Mieterwechsel den Preis kräftig erhöhen. Die wenigen freien Wohnungen, die auf den Markt kommen, werden für 8,26 Euro je Quadratmeter und Monat nettokalt angeboten – vor sechs Jahren waren es nur 5,59 Euro je Quadratmeter im Durchschnitt, so die Forscher vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Die landeseigenen Firmen erhöhen die Mieten bei ihren Miethäusern nicht so stark. Deshalb sollen sie nach dem Willen des Senats viel bauen und Häuser dazukaufen. Bis zum Jahr 2026 sollen sie ihren Bestand auf 400.000 Wohnungen erhöhen, fordert die SPD in ihrem Wahlprogramm. Die SPD will außerdem in Neubaugebieten ein Viertel aller Wohnungen für 6,50 Euro je Quadratmeter anbieten. Eine Verschärfung der Mietpreisbremse steht auch auf der Agenda. Denn Modernisierungen sind der einfachste Weg, um drastische Mieterhöhungen durchzusetzen – und der wird von Hauseigentümern laut Mieterverein zurzeit viel genutzt.

Einkommensorientierte Mieten

Vor Entmietungen durch Modernisierungen will die SPD die Berliner mit „Härtefall“-Regelungen schützen, wonach die Miete nicht über einen bestimmten Anteil des Haushaltseinkommens steigen darf. „Einkommensorientiert“ sollen auch die Sozialwohnungen in der Stadt angeboten werden. Zudem sollen 5.000 Wohnungen jährlich für „untere und mittlere Einkommensgruppen“ gebaut werden und Extra-Millionen aus dem Haushalt in einen neuen Fonds fließen. Mit diesem Geld sollen die Bezirke ihr Vorkaufsrecht beim Erwerb von Immobilien öfters ausüben können.

Die CDU dagegen will Durchschnittsverdiener dabei unterstützen, eine eigene Wohnung zu kaufen, damit nicht mehr überwiegend Luxuswohnungen für Kapitalanleger entstehen. Ein Vorschlag: Das Land soll beim Kauf der ersten eigenen Wohnung auf die Grunderwerbsteuer verzichten. Und weil vielen die Ersparnisse fehlen, um das notwendige Eigenkapital aufzubringen, das Banken bei der Finanzierung verlangen, soll die landeseigene Investitionsbank helfen. In neuen Siedlungsgebieten fordert die CDU eine Quote bezahlbarer Eigentumswohnungen für förderfähige Haushalte mit geringen Einkommen. Mieter landeseigener Firmen sollten außerdem Wohnungen kaufen dürfen.

Bezahlbare Eigentumswohnungen

Die Grünen wollen einkommensorientierte Mieten bei Sozialwohnungen einführen. Neu entstehende Sozialwohnungen sollen dauerhaft durch eine „neue Gemeinnützigkeit“ geschützt werden. Im Kampf gegen die Wohnungsnot soll der Milieuschutz auf neue Gebiete ausgeweitet werden, um diese vor Sanierungsexzessen zu schützen. Die Umlage von Modernisierungskosten auf Mieter wollen die Grünen abschaffen. Die Grunderwerbsteuer soll geringer für private Käufer und städtische Firmen ausfallen als bei „primär gewinnorientierten Käufen“.

Die Linke hält „höchstens 30 Prozent des Einkommens für die Bruttowarmmiete“ für tragbar und will das im Wohnraumversorgungsgesetz festschreiben. Im sozialen Wohnungsbau sollen Mieterhöhungen ausgeschlossen werden. Wer Hartz IV erhält, müsse so viel Geld für Miete erhalten, dass er in jeder Lage seine Wohnung bezahlen kann. Die Ämter müssten auch hohe Mieten von Sozialwohnungen übernehmen. Zwangsräumungen müssten verhindert werten. Bei der Wiedervermietung von Wohnungen dürfe deren Miete höchstens so hoch steigen, wie es die Inflation vorgibt, wenn der Wohnwert sich nicht verbessert hat.

Einen „Non-Profit-Sektor“ mit günstigen Wohnungen für „soziale Zielgruppen“ will die Linke schaffen. Bei Siedlungsprojekten müsse jede zweite Wohnung an Haushalte mit geringen Einkommen gehen. Die städtischen Firmen müssten einen Pool von Sozialwohnungen mit Höchstmieten von 5,50 Euro je Quadratmeter aufbauen.

Und welche dieser Ideen verdient es, umgesetzt zu werden? Das haben die Wähler zu entscheiden.

Dieser Text ist Teil unserer Serie Berlin Wahl 2016. In der ersten Folge diskutieren wir Wahlfragen rund um das Thema Wohnen. Welche Maßnahmen der rot-schwarze Senat in der ablaufende Legislaturperiode gegen Wohnungsnot getroffen hat, können Sie hier nachlesen. Was Wohnraum-Experten empfehlen, lesen Sie hier.

Die nächsten Folgen: Kinder, 3.8., Gesundheit, 5.8., Klima, 7.8., Verkehr, 9.8., Sicherheit, 11.8., Integration, 13.8., Wirtschaft, 15.8., Ämter, 17.8., Demokratie, 19.8.

Den Auswirkungen von Ferienwohnungen auf den den Wohnungsmarkt sind wir im vergangenen Jahr in unserem Mehr-Berlin-Special "Häuserkampf" nachgegangen.

Zur Startseite