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Jetzt geht's los. Am Anfang des Experiments ist unser Reporter noch voller Tatendrang.
© Fabian Jonas

24 Stunden Rundfunk Berlin-Brandenburg: Selbstversuch: Die volle Dröhnung RBB

„Das volle Programm“ – so preist der Rundfunk Berlin-Brandenburg seine Fernsehsparte. Aber was erlebt, wer sich davon die volle Dröhnung gönnt? Unser Autor hat 24 Stunden lang hingeschaut.

06:00 Der Wecker klingelt 45 Minuten früher als sonst. Wie ein Liebender, der am Vorabend verlassen wurde und für ein paar wenige Stunden Schlafes vergessen hatte, dass seine Welt ja in Trümmern liegt, weiß ich schlagartig wieder, worauf ich mich eingelassen habe. Nur nicht mehr, warum.

06:05 Wäre meinem vorpubertären Ich vor 25 Jahren prophezeit worden, dass ich einmal 24 Stunden am Stück fernsehen dürfte, ich wäre begeistert gewesen. Nun ist es allerdings Arbeit: Ich unterziehe vor dem anstehenden Intendantinnenwechsel den RBB einer Belastungsprobe, durch Nonstop-Rezeption des Programms eines beliebigen Werktags. Lebe ich einen Traum oder steht mir ein Albtraum bevor?

06:15 Während ich in der Küche Kaffee koche, überlege ich, was ich über den RBB, meinen Heimatsender, weiß. Viel ist es nicht. Ein öffentlich-rechtlicher Fusionskoloss, der in den letzten 13 Jahren von Dagmar Reim geleitet wurde und nun von Patricia Schlesinger als Intendantin übernommen wird. Sein Fernsehprogramm habe ich zwar pflichtschuldig auf Platz drei meiner Fernbedienung eingespeichert, ansonsten bleibe ich dort aber höchstens zufällig einmal hängen, wenn ein guter Film oder eine gute Doku läuft. Michael Kessler ist mir ein Begriff, ebenso der Kulturreporter Max Moor, formerly known as Dieter. „Polylux“ und Kurt Krömer mochte ich früher. Und natürlich Ulli Zelle, den Frank Sinatra der Mattscheibe. Der Mann, der sie alle am Mikrofon hatte. Arbeitet der eigentlich noch? Das wäre schön.

06:20 Und Action! Es geht los mit einer Wiederholung der ARD-Telenovela „Rote Rosen“ vom Vortag und dem Satz: „Und du hast das gewusst?“ Wie gesagt: Nein.

Die Latte liegt nicht hoch. Der RBB beginnt den Tag mit seichten Soaps.
Die Latte liegt nicht hoch. Der RBB beginnt den Tag mit seichten Soaps.
© Fabian Jonas

06:23 Was ein wenig beruhigt: Ich kenne wider Erwarten ein paar der Schauspieler, den taxifahrenden Vater aus dem Münsteraner Tatort etwa, vor allem aber Anja Franke, die vor 25 Jahren „Nachwuchsschauspielerin des Jahres“ und Sekretärin bei „Liebling Kreuzberg“ war. Laut Wikipedia spielt sie in „Rote Rosen“ seit 2011 „die deutsch-niederländische Blumenhändlerin, Geschäftsfrau und Hobbypilotin Merle Vanlohen“. Auch wenn es natürlich arrogant ist: Ich habe Mitleid mit ihr. Mit mir auch.

07:08 Wobei, brauche ich das Mitleid wirklich? Erste Sendung geschafft. Es geht mir gut, sehr gut sogar. Wenn es weiter so läuft, wird das ein Kinderspiel. Doch schon bei „Sturm der Liebe“, Folge 2475, wird klar: Es läuft nicht so weiter, es geht bergab. In der ersten Szene erzählt ein Mann einer todgeweihten Frau von einer neuen Therapiemöglichkeit, worauf diese sich umgehend für geheilt hält und vor Glück in Tränen ausbricht: „Ich liebe dich!“ Ist der RBB, Quoten-Patient unter den dritten Programmen, ebenso leicht zu retten?

07:19 Während für einen kurzen Moment die Sonne ins Zimmer linst und sich nebenan die Kinder in den Tag quengeln, habe ich das dringende Bedürfnis, mich bei Anja Franke zu entschuldigen. Verglichen mit dem, was in „Sturm der Liebe“ dargeboten wird, war ihre Performance in „Rote Rosen“ echte Schauspielkunst.

07:25 Meine Frau macht die Kinder für Schule und Kita fertig. Ich teile ihr meine Bestürzung über die Diskrepanz in der Qualität der beiden Formate mit, die ich vorher für quasi identisch gehalten habe. „Du siehst richtig betroffen aus“, sagt sie und lacht. Ich lache mit. Die Kinder, die kaum mehr als den „Sandmann“ und die „Sendung mit der Maus“ sehen dürfen, betrachten mein barrierefreies Bildschirmleben hingegen mit unverhohlenem Argwohn. Alles so unfair.

07:38 „Es gibt Hoffnung, mehr als Hoffnung“, jauchzt die Todkranke. Stimmt nicht, nichts stimmt hier.

08:00 Rette mich mit letzter Kraft zu „Brandenburg aktuell“. Wobei „aktuell“ nicht ganz zutrifft. Es ist die Aufzeichnung von gestern Abend. Zwölfeinhalb Stunden alt. Offenbar noch keiner wach beim RBB. Oder noch in der „Sturm der Liebe“-Schockstarre. Alle 3000 Mitarbeiter. Wo ist Ulli Zelle?

Den kenn' ich doch! Man staunt, wer so alles in Schmonzetten mitspielt.
Den kenn' ich doch! Man staunt, wer so alles in Schmonzetten mitspielt.
© Fabian Jonas

08:30 Auf „Brandenburg aktuell“ folgt die „Abendschau“ beziehungsweise natürlich die Gesternabendschau. Weil die beiden Formate abends zeitgleich ausgestrahlt werden, eines für Brandenburg, eines für Berlin, eröffnen sie beide verständlicherweise mit dem Prozessauftakt wegen der schrecklichen Morde an den Kindern Elias und Mohammed. Mit dem exakt selben Bericht. Auch der Beitrag über die Abschiedsparty von RBB-Intendantin Dagmar Reim, wegen der ich gewissermaßen hier bin, ist identisch. Für die Erstausstrahlung am Vorabend ist das unproblematisch, in der kurzen Abfolge der Wiederholungen jetzt ist es eigentlich ein Umschaltbefehl. Abgelehnt, ich bin ja nicht zum Spaß hier.

08:32 Der Slogan der Fernsehabteilung des RBB lautet ja „Das volle Programm“. Vielleicht ist es unfair, einfach einen beliebigen Werktag herauszupicken, noch dazu während der Fußballeuropameisterschaft und das Ganze auch noch im Juni, wo im öffentlich-rechtlichen Rundfunk schon die ewig lange Sommerpause beginnt. Nur: Während draußen der Berufsverkehr rollt, vor den Einschränkungen im Bahnverkehr von gestern Abend zu warnen, ist gar kein Programm.

08:37 Immerhin ergibt sich so eine Gelegenheit, einen Blick in die Kulissen zu werfen. Während bei „Brandenburg aktuell“ eine ruhige Panoramaansicht von Potsdam mit viel Wasser den Hintergrund bildet, türmt sich in der „Abendschau“ alles, was es in Berlin an etwas höheren Gebäuden gibt, zu einem M.-C.-Escher-artigen Architekturalbtraum in Pastellfarben auf.

08:50 Und plötzlich ist alles wieder gut. Da ist Ulli Zelle! In der Waldbühne! Berichtet über einen anderen der Allergrößten: Paul McCartney! Dass bei der Anmoderation einiges danebengeht und letztlich nur Fans ihre Erwartungshaltung für das nun natürlich längst wieder zurückliegende Konzert kundtun – geschenkt. Da ist Ulli Zelle!

Ein Sender für alle und keinen

Noch geht's. Der Reporter um halb neun.
Noch geht's. Der Reporter um halb neun.
© Fabian Jonas

09:20 Eine Kurzrecherche ergibt: Im WDR läuft gerade ein 30-minütiges Live-Gespräch mit dem Berliner SPD-Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh über die bevorstehenden Abgeordnetenhauswahlen und die Themen, die die Berliner so bewegen. Im RBB läuft die Wiederholung von „Zibb – Zuhause in Berlin und Brandenburg“ von gestern Nachmittag.

09:33 Was Hoffnung macht: wie schnell die Zeit bisher vergeht. Was betroffen macht: Zum dritten Mal innerhalb von nur 80 Minuten wird über die toten Kinder Mohammed und Elias berichtet, nun, bei „Zibb“, allerdings in einer anderen Tonlage: melodramatisch, pathetisch, boulevardesk, mit getragenem Klavier das Entsetzen über eine Tat unterstreichend, das nicht unterstrichen werden muss. Wie wohltuend ist es da, dass die Gerichtsreporterin von Antenne Brandenburg anschließend zu Gast im Studio ist und den gefühligen Suggestivfragen seriöse, informative, ruhige Antworten entgegensetzt. Überhaupt scheinen ja die Radiosender des RBB besser aufgestellt zu sein als der große Bruder Fernsehen. Vielleicht, nur so ein Gedanke, weil sie da nicht versuchen, mit einem Sender sämtliche Zielgruppen zu bedienen.

09:40 In „Zibb“ hingegen versuchen sie offensichtlich, mit einer einzigen Sendung alle potenziellen Zuschauer Berlins und Brandenburgs auf einmal zu erreichen. Die Folge ist ein Themenmix, der sich einmal quer durch alle Tonlagen pflügt. Neben dem Prozessauftakt wegen der Kindermorde geht es unter anderem um Raser in Berlin, einen Biofutterladen für Hunde im Prenzlauer Berg, Kitagebühren in Brandenburg/Havel, ein Buch mit Fußballerflüchen und noch mal Paul McCartney in der Waldbühne. Ohne Ulli Zelle allerdings. Buuuuh!

Olle Kamellen zum Frühstück. Bis zur Mittagszeit hat beim RBB die Wiederholung (das) Programm.
Olle Kamellen zum Frühstück. Bis zur Mittagszeit hat beim RBB die Wiederholung (das) Programm.
© Fabian Jonas

09:55 Die nächste Sendung beziehungsweise die nächste Wiederholung: das „ARD Buffet“ von gestern. Hört das denn nie auf mit dem gefühlten Frühstücksfernsehen? Beschließe, erst mal zu frühstücken.

10:40 Während „Ein Engel und Paul“ beginnt, ein deutscher Fernsehfilm von 2003, versuche ich, die ersten Stunden zu rekapitulieren. Sie bestanden ausnahmslos aus Wiederholungen und haben doch schon ein Grundproblem deutlich gemacht. Der RBB ist, wie schon sein Name sagt, ein Sender für Berlin und Brandenburg. Also ein Sender für Metropole und Provinz gleichermaßen – und damit so richtig für niemanden.

12:00 Die Zeit beim RBB, sagte die scheidende Intendantin Dagmar Reim kürzlich in einem Interview, seien „die schnellsten 13 Jahre meines Lebens“ gewesen. Da hat sie wohl nie ihr Fernsehprogramm länger als drei Stunden am Stück verfolgt.

12:14 Folge 66 von „Verrückt nach Meer“, einer Doku-Serie über das Kreuzfahrtschiff „Grand Lady“. Ein Triptychon aus Bingo, Schlager und Folklore.

13:00 Jetzt geht’s los! Vielleicht wirklich. Nach beinahe sieben Stunden Sendezeit sehe ich nun die erste Sendung von heute. „RBB Aktuell“, die Nachrichten mit Christina Derlien. Habe zum ersten Mal das Gefühl, etwas Relevantem beizuwohnen: Die Mietpreisbremse funktioniert nicht, die Planungen für das Einheitsdenkmal wurden verschoben, die Ausstellung über den Mauerfall in der alten Stasizentrale ist super. Hört sich nach dem Berlin an, das auch ich kenne.

Schloss? Einstein! Wer sich nach den ersten Nachrichten des Tages wie ein verliebter Teenager fühlt, ist hier richtig.
Schloss? Einstein! Wer sich nach den ersten Nachrichten des Tages wie ein verliebter Teenager fühlt, ist hier richtig.
© Fabian Jonas

13:05 Was? Schon vorbei? Fühle mich wie ein verliebter Jugendlicher, der wochenlang auf ein Date hingefiebert hat und dann nach fünf Minuten und einer hastig hinuntergekippten Cola erfährt, dass seine Angebetete Verabredungen wie diese im Akkord abarbeitet. „Du, ich muss wieder los. War aber voll nett mit dir. Tschüssi.“ Christina! Bleib hier! Was hab ich denn falsch gemacht?

13:15 Immerhin bin ich als verliebter Jugendlicher nicht verkehrt bei „Schloss Einstein“, Folge 762.

13:30 Es geht aufwärts, es ist gerade überhaupt nicht mehr schlimm. Grund: Es beginnen die einzigen 45 Minuten des heutigen Tages, um die mich meine Frau vielleicht sogar ein wenig beneidet. Das Finale der dritten Staffel von „Mord mit Aussicht“ steht an. Auch schon wieder anderthalb Jahre alt, aber immer noch gut. Denn hier lässt sich ja wunderbar beobachten, wie viel mit vergleichsweise wenig Aufwand möglich ist, wenn Witz, mutige Drehbücher und gute Schauspieler aufeinandertreffen. Die Produktionskosten von „Mord mit Aussicht“ wurden aber nach 39 erfolgreichen Folgen so weit eingekürzt, dass sich das Ensemble nicht mehr in der Lage sah, weiterzuarbeiten. Noch mal zur Erinnerung: Rote Rosen – 2213 Folgen. Sturm der Liebe – 2475, Schloss Einstein – siehe oben.

Mahlzeit! Zum Mittagessen gibt's "Mord mit Aussicht". Auch nicht ganz frisch, aber immer noch gut.
Mahlzeit! Zum Mittagessen gibt's "Mord mit Aussicht". Auch nicht ganz frisch, aber immer noch gut.
© Fabian Jonas

14:15 Wie spät ist es? Steinzeit? Kreidezeit? Getreidezeit? Ich habe schon jedes Zeitgefühl verloren. Und das Magazin „Planet Wissen“, in dem es um Urgetreide und Heilkräuter geht, kann es mir nicht zurückgeben. Brühe mir trotzdem, wie dort empfohlen, einen Pfefferminztee auf. Sicher ist sicher.

15:00 Die Zeit verrinnt mittlerweile so langsam, dass ich befürchte, sie werde bald rückwärts laufen, da reißt mich das Klingeln des Paketboten vom Sofa. Mit einem verächtlichen Blick macht mir der Mann bewusst, dass die Verwahrlosung durch Fernsehdauerkonsum bereits eingesetzt hat. Ich bin noch im Schlafanzug!

15:10 Frage mich angesichts der Ernährungstipps, um die es bei „Planet Wissen“ immer noch geht, ob Gesundheitsapostel vielleicht gar nicht länger, sondern angesichts ihres langweiligen Lebensthemas einfach nur langsamer leben.

Und Gesundheit! Schön und gut, aber müssen ihre Apostel so langweilig sein?
Und Gesundheit! Schön und gut, aber müssen ihre Apostel so langweilig sein?
© Fabian Jonas

15:15 Endlich vorbei. Es beginnt eine NDR-Doku des preisgekrönten Filmers Klaus Scherer, der von Sibirien nach Japan gereist ist. Von 2007 zwar, aber das ist jetzt auch egal. Tolle Bilder, schärfstes Falten-HD, jedes graue Haar in den gegerbten Gesichtern der Fischer und Schmuggler ist einzeln sichtbar. Es ist ein Traum.

15:25 Es ist tatsächlich ein Traum. Es ist ein Jammer. Mein RBB-Jetlag ist einfach zu stark, mir fallen jetzt schon die Augen zu. Träume von einem Schiff, das mich hier rausholt.

15:50 Wie aus einer anderen Welt poltern meine Frau und meine siebenjährige Tochter in die Wohnung. Sitze augenblicklich wieder kerzengerade. Während meine Frau meine Hinfälligkeit (bin froh, dass ich inzwischen eine Hose anhabe) mit einem Stirnrunzeln quittiert, ignoriert meine Tochter den sonst als Kindermagneten wirkenden Fernseher zu meiner Verwunderung vollkommen.

Nichtbenutzung? Also, bitte!
Nichtbenutzung? Also, bitte!
© Fabian Jonas

15:58 Ist der Fernseher überhaupt noch an? Oder ist es nur noch mein überlastetes Gehirn, das hier unzuverlässig ausstrahlt? Auf dem Bildschirm, den ich zu sehen meine, erscheint jedenfalls die Ankündigung, das Gerät werde sich in Kürze „wegen Nichtbenutzung“ deaktivieren. „Eine beliebige Taste drücken, um den Fernseher nicht auszuschalten.“ Frau und Kind gehen wieder. Ich drücke auf OK, doch das ist es nicht.

16:00 Es beginnt nun, so die Programmankündigung, „die beste Zeit“, „RBB um vier“ nämlich. Moderator Arndt Breitfeld ist das komplette Gegenteil von mir. Jung, dynamisch, ausgeschlafen – und dabei, das zeigt ein Blick ins Internet, genauso alt wie ich. Es fragt sich allerdings, für wen das nun „die beste Zeit“ sein soll. Für niemanden, den ich kenne, so viel steht fest. Das mobile Studio, auf das sie mächtig stolz zu sein scheinen, ist zu Gast in Kyritz an der Knatter, einem kleinen Städtchen in Brandenburg mit wunderschönem See, ein bisschen wie das halb-fiktive Fürstenfelde in Saša Stanišićs Roman „Vor dem Fest“. Nur werden beim RBB leider keinen verschütteten Geheimnisse ausgegraben, stattdessen: Mittelaltertheater, Töpferei, Camping und die Trendsportart Kaninchenzucht. Alles wird seriös, ohne mit der Wimper zu zucken, wegmoderiert. Dabei könnte es doch ganz schön sein, ab und zu mit der Wimper zu zucken.

17:00 Christina Derlien wieder mit den Nachrichten. Die traut sich was, nachdem sie mich vorhin so übel hat abblitzen lassen!

17:05 Gorilla, Panda und Co. Klassiker! Strauße im Tierpark Berlin. Verlockend: den Kopf in den Sand stecken.

17:10 Hurra! Ich habe Besuch. Meine Vierjährige schaut mit mir die Tiere an. Yakbullen: süüüß. Braunbären: süüüß. Wölfe: süüüß. Versuche, die Grundhaltung meiner Tochter zu adaptieren und nichts außer ungefilterter Begeisterung zuzulassen. Der Beitrag über die Bonobo-Affen verschweigt zum Glück alles, was ich über Bonobos weiß. Süüüß!

Der Wiederholungssender erweckt zuverlässig Tote zum Leben.
Der Wiederholungssender erweckt zuverlässig Tote zum Leben.
© Fabian Jonas

17:45 Oha! Was weniger begeistert: Hatte angenommen, es mit einer halbwegs neuen Folge zu tun zu haben, da taucht der legendäre Affenpfleger Reimon Opitz auf. Ist der nicht schon lange tot? Ja, ist er, seit sechs Jahren, und im nächsten Moment krault auch schon Eisbär Knut († 2011) durch das Becken, in dem er bald aufs Jämmerlichste ersaufen wird. Wofür zahle ich eigentlich … ach nee, so wollte ich ja nicht anfangen. Knut: süüüß.

17:54 Ein Format, bei dem die Folgen hingegen gar nicht alt genug sein können: der „Sandmann“. Faszinosum Nostalgie.

DAS kann nicht alt genug sein. Faszinosum Nostalgie.
DAS kann nicht alt genug sein. Faszinosum Nostalgie.
© Fabian Jonas

17:59 Das auf sehr geringen Fernsehkonsum konditionierte Kind sagt beim Abspann des Sandmanns: „Und aus!“ Nur noch zwölf Stunden.

Ich halluziniere, oder?

Mate-Mate. Der Reporter um 18.40 Uhr beim Müdigkeitsmanagement.
Mate-Mate. Der Reporter um 18.40 Uhr beim Müdigkeitsmanagement.
© Fabian Jonas

18:00 Notiz: Nachrichtensprecher beim RBB werden bedeutend öfter abgelöst als ich. Christina Derlien hat mich verlassen. Ihr Nachfolger Raiko Thal hat den Berlin-Trend dabei. SPD vor Grünen, CDU, Linken, stark bei 15 Prozent: die AfD. Christina, komm zurück!

18:30 „Zibb“, die zweite. Wieder mit einem Themen-Potpourri zum Ohrenschlackern. Hier ist der RBB ganz bei sich. Relevantes, nicht so Relevantes, total Irrelevantes, alles in einen großen Topf. Fernsehen für alle und niemanden. Und so sieht das dann aus: Saison für Erdbeeren und Kirschen beginnt +++ Menschen mit Behinderung in Armut +++ Der Aussteiger von Kirchmöser +++ Gebrauchtwagen: Gerade gekauft, schon kaputt? +++ Backbeat – eine Beatles-Geschichte +++ Die Kirchstraße in Göhlsdorf ...

19:09 ... und dann das: „Karsten Speck ist der geborene Entertainer. Denn auf der großen Bühne kann er alles zeigen, was er zu bieten hat.“ Speck ist, wenn man der „Zibb“-Anmoderation glaubt, offensichtlich die größte Nummer im deutschen Showbusiness. Suche mein Wohnzimmer nach versteckten Kameras ab.

19:19 Andererseits wäre der Name der DDR-Show, die Karsten Speck einmal moderiert hat, ja auch ein perfekter Slogan für den RBB: „Ein Kessel Buntes“. Ich hingegen bin besser mit dem Titel des Theaterstücks beschrieben, in dem er nun, wie dem Bericht zu entnehmen ist, am Schlosspark Theater brilliert: „Honig im Kopf“.

Sitzt solide wie zwei schwarze Sakkos: die Abendschau.
Sitzt solide wie zwei schwarze Sakkos: die Abendschau.
© Fabian Jonas

19:30 Ich möchte endlich mal wieder etwas gut finden. Da kommt die „Abendschau“ gerade recht. Das Flaggschiff. Was soll man sagen? Das verschachtelte Studiodesign ist zwar in den späten Neunzigern stecken geblieben. Aber unaufgeregte, informative Lokalnachrichten, jetzt auch aktuell.

20:00 „Tagesschau“! Die echte Tagesschau aus der ARD! LIVE! Fühle mich wie ein Schiffbrüchiger, der mit einem Ball, auf den er „Abendschau“ gekritzelt hat, auf einer einsamen Insel gestrandet ist, und nun, nach Wochen, fährt ein Schiff vorbei, ein Kreuzfahrtschiff, vielleicht die „Grand Lady“. Aber sie sehen mich nicht! HILFE! Hier bin ich! HILFE! Vorbei.

20:10 Erst jetzt, da ich die Spielzusammenfassungen sehe, fällt mir auf, dass von der Fußballeuropameisterschaft den ganzen Tag nicht die Rede war. Es ist nicht schön, aber ich habe Sehnsucht nach Cristiano Ronaldo.

20:15 Primetime. „Die große Show der Naturwunder“ mit Frank Elstner und Ranga Yogeshwar. Keine von letzter Woche oder von vor einem Monat, nein: eine Aufzeichnung von 2014. Frage mich, wer es sich sonst erlauben könnte, altes Material so penetrant noch mal vorzulegen.

20:16 Die Zeit beim RBB, sagte die scheidende Intendantin Dagmar Reim kürzlich in einem Interview, seien „die schnellsten 13 Jahre meines Lebens“ gewesen. (Wh.)

20:20 Beunruhigendes Zeichen: Ich bin zu schwach, um mich über die öffentlich-rechtliche Unterhaltungsindustrie aufzuregen, in der die immergleichen Prominenten von den immergleichen Moderatoren bearbeitet werden, wodurch immergleiche Shows auf dem immergleichen Humorniveau entstehen. Würde mich lieber für eine Weile hinter den Schlafzimmerlidern von Marie Bäumer verstecken, traue mich aber nicht an Guido Cantz und Horst Lichter vorbei.

Was ist das für 1e miese Abendunterhaltung? Aber Hauptsache, es schmeckt!
Was ist das für 1e miese Abendunterhaltung? Aber Hauptsache, es schmeckt!
© Fabian Jonas

20:25 Stefanie Stappenbeck erzählt vom Heiratsantrag ihres Mannes. Alles sei so toll gewesen, sie habe gar nicht gewusst, was sie sagen soll. „Ja“, nehme ich an, hätte am ehesten den Erwartungen entsprochen.

21:05 Ich halluziniere, oder? Die nächste Spielekategorie heißt „Tiere mit Migrationshintergrund“ beziehungsweise „Bio-Invasoren“. Erstaunlich, was vor zwei Jahren noch möglich war.

21:29 Irrer Gedanke: Vielleicht wollen sie Patricia Schlesinger den Amtsantritt auch nur so leicht wie möglich machen.

21:44 Kurz weggenickt. Als ich wieder zu mir komme, haben ein Orang-Utan und eine Blondine die Show gewonnen. Herzlichen Glückwunsch.

21:45 Raiko Thal in „RBB aktuell“ mit dem Berlin-Trend. Schon wieder? Oder träume ich noch? Waren die 15 Prozent für die AfD eben schon nur ein Albtraum? Oder sendet der RBB jetzt ganz real in den nächsten dreißig Minuten alle Nachrichtenbeiträge der letzten Stunden einfach noch mal? Mama!

22:08 Schon klar. Kein Programm ist darauf ausgelegt, dass jemand es 24 Stunden am Stück ansieht. Es ist übrigens auch kein Mensch darauf ausgelegt, das zu tun. Und dennoch: Wer im RBB um 19:30 Uhr die „Abendschau“ sieht, braucht „RBB aktuell“ um 21:45 Uhr nicht mehr einzuschalten, denn es laufen dort die identischen Beiträge, erweitert mit denen von „Brandenburg aktuell“. Das ist, als wiederholte die ARD nach dem Hauptprogramm die „Tagesschau“. Tja, Thomas Roth.

22:10 Im Hintergrundpanorama fehlen hier übrigens all die markanten Gebäude, die sich in der „Abendschau“ so fiebertraumartig ineinanderschachteln. Bei „RBB aktuell“ gleicht Berlin, falls es das sein soll, eher einer Plattenbausiedlung am Rande Hoyerswerdas – nach dem Abriss.

22:13 „Berlin, Hauptstadt der Schmerzen“, heißt es in der Presseschau am Ende von „RBB aktuell“. Ich bin jetzt anscheinend live drauf.

So ist das. Und es wird nicht besser.
So ist das. Und es wird nicht besser.
© Fabian Jonas

22:15 Schmerzen bereitet auch die nächste Sendung, das lokale Politmagazin „Klartext“, von dem ich noch nie gehört habe, das aber erstaunlich gut ist. Kippe immer wieder hinter meine Frau aufs Sofa. Aus Erschöpfung. Aber auch aus Kapitulation vor den Themen. Wutmilieu, Entmenschlichung – Schlagworte des Wahnsinns. Wird Zeit für ’nen Spielfilm.

22:47 Bin eine Minute auf der Toilette und verpasse prompt eine – aaaaaaaaaaaaaaaaaaaah – Sexszene, wollte ich grad schreiben, da ereignet sich in „Zeit der Trauer“, US-Drama von 2009, schon ein postkoitaler tödlicher Auffahrunfall, mit dem ich nicht ansatzweise gerechnet habe und der mich vor Schreck fast vom Sofa haut. Immerhin weiß ich jetzt: Ich lebe noch.

23:00 Ohne überragend zu sein, ist der Film gut, zu gut für mich. Vier Menschen trauern um einen 18-Jährigen, der bei dem Autounfall ums Leben kommt. Jeder auf seine Weise und jedem von ihnen wird das Drehbuch gerecht, das ganz behutsam und plausibel Schritt für Schritt voranschreitet. Der Vater, gespielt von Pierce Brosnan, vermag den Trümmern, in denen seine Welt liegt, lange nur mit einem einzigen Satz zu begegnen: „Es geht mir gut.“ Wie es mir gerade geht, weiß ich nicht mehr.

Schluchz. Melodram läuft, Tränentrockner liegt links bereit: Nach knapp 18 Stunden sind die Nerven am Ende.
Schluchz. Melodram läuft, Tränentrockner liegt links bereit: Nach knapp 18 Stunden sind die Nerven am Ende.
© Fabian Jonas

00:06 Ich habe generell recht nahe am Wasser gebaut, was Filme betrifft, aber was gerade mit mir geschieht, spottet jeder Beschreibung. Mit jeder Filmminute brechen bei mir weitere Dämme, und am Ende kommt alles hoch. Ich kann nicht mehr. Der Schlafmangel, die Dauerbeschallung, die Trauer über die Filmtoten, das Glück einer guten Geschichte und das Unglück der vielen schlechten, die ich in den letzten 18 Stunden gesehen habe, fügen sich zusammen zu einem ausgewachsenen Nervenzusammenbruch, ich sitze heulend auf dem Sofa und bin glücklich und unglücklich zugleich.

00:20 Und wie um mir den Rest zu geben, bringt der RBB nach diesem Melodram jetzt noch einmal die blaustichige Schmonzette „Ein Engel und Paul“ von heute Vormittag, diesen hingelallten Nonsens, in dem nichts stimmt. Vollkommen grundlos verliebt sich hier eine Heiratsschwindlerin in einen Trottel. Vollkommen grundlos erwidert er diese Liebe, nachdem sie ihn aggressiv zu stalken beginnt. Es passt nichts zusammen in diesem Film, der Satz nicht zur Situation, die Musik nicht zur Szene, das Hemd nicht zum Anzug. Ich passe – nicht. Noch sechs Stunden.

01:45 Es wird nicht einfacher dadurch, dass auch „Klartext“ und die „Abendschau“ nun noch einmal wiederholt werden.

Ohne scharf. Der Reporter um zwei Uhr morgens.
Ohne scharf. Der Reporter um zwei Uhr morgens.
© Fabian Jonas

03:15 Ein Text von Daniil Charms lautet: „Da ging einmal ein Mensch ins Büro und traf unterwegs einen anderen Menschen, der soeben ein französisches Weißbrot gekauft hatte und sich auf dem Heimweg befand. Das ist eigentlich alles.“ Der Filmbeitrag „Die Kirchstraße in Göhlsdorf“ von „Zibb“, nun auch wieder auf Sendung, geht so: „Im brandenburgischen Göhlsdorf wurde einmal die Dorfstraße in Kirchstraße umbenannt. Der Küster kann ,Alle meine Entlein‘ auf der Orgel der renovierten Kirche spielen. Und wenn Sie schon mal da sind, filmen Sie doch noch meinen Sohn. Das ist eigentlich alles.“

04:15 Träume ich, bin ich wach? Vor mir drehen sich Kuchen, sehr viele Kuchen. Die „RBB-Reporter“ sind einem ganz großen Ding auf der Spur: Käsekuchen. In der Kreuzberger Markthalle. Mehr Hipness, so viel ist nach 22 Stunden klar, ist beim RBB nicht möglich. Markthalle! Krass! Aber eben auch: Käsekuchen! Nicht sooo krass. Wenn man mich fragt, und ich bin mir längst nicht mehr sicher, ob es tatsächlich jemand getan hat, nehmen sie sich angesichts ihres Themas ein bisschen zu ernst. Auch dies ist, logo, eine Wiederholung von 2014.

Die Welt ist ein Käsekuchen. Der Reporter um fünf Uhr morgens.
Die Welt ist ein Käsekuchen. Der Reporter um fünf Uhr morgens.
© Fabian Jonas

05:03 „Täter – Opfer – Polizei“. Plötzlich linst meine Frau ins Zimmer, interessiert sich anscheinend dafür, ob ich noch lebe. Ich interessiere mich für nichts mehr. Kinder, die gerade von einer Polizistin für den Umgang mit Fremden geschult werden, rufen laut im Chor: „Lass mich in RUHE!“ Danke, Kinder.

05:25 Noch eine Stunde, und ich bin bereit, alles gut zu finden. Das deutsch-polnische Magazin „Kowalski und Schmidt“: Optisch, inhaltlich – alles top. Leider stehe ich offenbar kurz vor einem Hörsturz. Der Synchronübersetzung der polnischen Moderatorin zuzuhören, ist so anstrengend, als müsste ich Untertitel durch eine Milchglasscheibe lesen.

05:40 Noch eine Sendung. „Potsdam erwacht“. Was das ist, war dem Online-Programm zuvor nicht zu entnehmen. Es ist: eine Diashow. Kann es einen schöneren Abschied geben?

06:00 Ist das irre! Ich habe Hemmungen, den Fernseher auszuschalten. Bin ich zum Oliver Kahn des RBB mutiert? Weiter, immer weiter? Bitte nicht!

Morgenlicht leuchtet, rein wie am Anfang. Auf die Trümmer eines Fernsehtages.
Morgenlicht leuchtet, rein wie am Anfang. Auf die Trümmer eines Fernsehtages.
© Fabian Jonas

06:15 Tatsächlich bin ich, bei Lichte betrachtet, das jetzt wieder ins Zimmer scheint, eher der Homer Simpson des dritten Programms. Nur mit Mühe schaffe ich es, mich aus der Kuhle zu wuchten, die ich in den vergangenen 24 Stunden in das Sofa getrieben habe, und einen neuen Tag zu beginnen. Wird schon keine Wiederholung sein. Hoffentlich.

Dieser Text erschien zunächst am 25. Juni 2016 in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

Niemals geht man so ganz. Irgendwas von mir bleibt hier.
Niemals geht man so ganz. Irgendwas von mir bleibt hier.
© Fabian Jonas

Fabian Jonas

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