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Zweieinhalb Stunden Show: Ex-Beatle Paul McCartney in der Berliner Waldbühne
© dpa/Sophia Kembowski

Paul McCartney in der Berliner Waldbühne: Die süße Last, ein Beatle zu sein

Neu interpretiert hat er sich erwartungsgemäß nicht. Doch Paul McCartney spielte in der Waldbühne ein bemerkenswertes Konzert mit mehreren Höhepunkten.

Der Abend ist noch schön geworden, mild und sommerhell. Das Konzert beginnt mit vierzig Minuten Verspätung, dann aber gleich mit den zwei Klassikern „A Hard Day’s Night“ und „Can’t Buy Me Love“. Und plötzlich schleicht sich ein unfreundlicher Gedanke an: Da spielt eine Beatles-Cover-Revival-Band. Mit großem visuellen Aufwand und Riesenleinwänden. Vor 22.000 Menschen, nahezu ausverkauftes Haus. Seltsam nur, dass da fünf Musiker auf der Waldbühne stehen, also einer zu viel. Oder drei zu wenig.

Paul McCartney sieht man aber auch nicht jeden Tag. Bei aller Freude, Begeisterung und Pop-Heiligkeit, das muss alles erst einmal sortiert werden. Hier tritt Paul McCartney auf, nicht die Beatles, und doch – der Gründer, der Erbe, der Mann von 73 Jahren, der die Fackel weiterträgt. Ringo Starr kommt für diese Rolle nicht wirklich in Frage, und John Lennon und George Harrison sind lange tot. Und Paul McCartney ist eben nicht nur der Ex-Beatle. Die Vier hatten vor bald fünfzig Jahren ihren schöpferischen Höhepunkt. Jetzt spielt er nach dem Intro mit den frühen Hits erst einmal ein paar neue Sachen, gute Mainstream-Popmusik, rockiger Sound, aber das ist es irgendwie nicht, man fremdelt.

Erst als er sich die akustische Gitarre umhängt und „We Can Work It Out“ auspackt, rastet ein Mechanismus ein. Ja, wir schaffen das heute Abend, wir kriegen das hin. Immer besser und besser als erwartet, am Schluss. McCartney spricht gern und viel mit dem Publikum, hat deutsche Sätze gelernt, das wirkt ein wenig wie ein Politiker auf Staatsbesuch. Nicht steif, aber ein bisschen bemüht. Sympathisch, aber nahe geht es nicht. Was sich ändert im Lauf des Abends, der mehr Präsenz und, ja, Glücksgefühle bringt,  je direkter Paul McCartney die Geschichte angeht. Die bis heute unfassbare Geschichte einer Band, mit der die Pop-Musik eine andere wurde, die Musik überhaupt.

230 Euro für die besten Plätze

Im „New Yorker“ war kürzlich zu lesen, dass nur wenige Komponisten die wunderbare Gabe des Melodienfindens besitzen. Mozart und McCartney haben sie. Melodien, die im kollektiven Gedächtnis sitzen wie elementare historische Ereignisse, oder soll man sagen, Volkslieder?

„Black Bird“ singt er solo, hoch oben auf einem hydraulischen Podest, ein Mann auf einem Denkmal. Er erzählt, dass er das Lied in den Sechzigern für die Civil Rights- Bewegung im Süden der USA geschrieben hat. „Fool On the Hill“ erinnert an die surreale Poesie der Beatles, an John Lennon. Seinen „Kumpel John“ würdigt er mit einem kitschigen Liedchen – nichts gegen die fulminante Hommage an George Harrison, die bald folgt. Auf der Ukulele intoniert Paul „Something“, er singt wie auf Flügeln, und die Erinnerung an eine Jam Session der beiden mündet in eine große Pop-Arie.

Freundschaft, Liebe, Tod – im Hintergrund ziehen die alten Fotos der Beatles vorüber, und, komisch: Bei „Something“ ist es nicht sentimental, sondern tiefe Emotion. So weit man das bei einer solchen Veranstaltung sagen kann;  die besten Plätze kosten 230 Euro.

Paul McCartney erobert das Publikum nicht im Sturm. Manch einer seiner Witze kommt schal herüber, bei „Eleanor Rigby“ macht der Keyboard-Mann die elektronischen Streicher, es fehlt mal dies, mal das. Die Arrangements orientieren sich peinlich genau an den alten Aufnahmen, da ist wenig Luft zum Atmen, und doch: Paul McCartney wächst während des Konzerts in die Größe hinein, die er ohnehin schon immer hatte.

Wir schreiben das Jahr 2016 – und plötzlich singt die ganze Waldbühne „Ob-La-Di, Ob-La-Da“. Und jetzt „Band On the Run“, von den Wings: ein Riesending. Die Verdichtung von Hits, Klassikern und Atmosphäre ist enorm. „Back in the USSR“. Bei „Let It Be“ sitzt Paul wieder am Piano, bei „Hey Jude“ singt nochmal alles mit, und mit „Live and Let Die“ wird Pyrotechnik abgefeuert, wie es sich für einen James-Bond-Song gehört. Die Waldbühne wackelt. Pauls vorübergehende Heiserkeit ist weggeblasen. Große Oper.  Feuerwerksraketen zischen in den Himmel, Flammen schlagen hoch an der Rampe.

Ein Lied für die Terroropfer von Orlando

Das Konzert hat keinen Höhepunkt. Es hat mehrere. Sie kommen mit der Deutschlandfahne und dem Union Jack auf die Bühne, das sind schon die Zugaben. Eine Demonstration für Europa, gegen den Brexit? Paul McCartney spielt „Yesterday“, er widmet den Song den Terroropfern von Orlando und schwingt eine Regenbogenfahne. Immer noch nicht Schluss. Jetzt kommt das unwiderstehliche Medley vom „Abbey Road“-Album. „Boy, you gonna carry that weight, carry that weight a long time.“ Das hat er ohne Zweifel getan, mit Würde. Die Last getragen, ein Beatle zu sein und alt zu werden.

Gut sieht er aus, schlank, spielt zweieinhalb Stunden ohne Pause, gibt sich kokett und ironisch, und wenn er zu Beginn eine Party versprochen hat, muss man sagen: Es gab schon schlechtere. Klar ist aber auch: McCartney ist nicht, war nie der charismatische Performer. Kein Frontman. Er hat hochprofessionelle Musiker dabei, aber keine Band von extremen Individualisten. Am Ende ist er allein, mit seinem unerschöpflichen kompositorischen Schatz, den Melodien für die Ewigkeit. Und natürlich: Er interpretiert sich nicht neu. Das durfte man nicht erwarten.

In diesem Rahmen hat die Lockerheit, aber auch die Intensität zugenommen, Stück für Stück. Es bleibt ein Geheimnis um diese Band, das auch Paul McCartney weder lösen kann noch will. Wie diese jungen Typen aus Liverpool diese Musik erfinden, finden konnten, warum sie just zu ihnen kam, für ein paar Jahre, in den Sechzigern, als der Musikgott sein Füllhorn ohnehin großzügig ausgeschüttet hat.

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