RBB-Intendantin Dagmar Reim im Interview: „Den RBB gibt es seit 13 Jahren, Identitätsstiftung dauert“
Als Gründungsintendantin stand Dagmar Reim über 13 Jahre an der Spitze des RBB, im Juli übergibt sie ihr Amt an Patricia Schlesinger. Ein Gespräch über Programmereignisse, Quotentäler und den Abendhimmel über Berlin.
Frau Reim, worauf sind Sie nach 13 Jahren als Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg am meisten stolz, und worauf am wenigsten?
Das Wort Stolz gehört nicht zu meinem Kern-Wortbestand.
Dann nennen wir es Zufriedenheit.
Zufrieden war ich stets mit großen Programmereignissen und Programmerfolgen, so etwas wie „24 Stunden Berlin“ oder „25 Jahre Mauerfall“.
Was ist mit den neuen RBB-Krimis?
Ich freue mich über den deutsch-polnischen „Polizeiruf“ mit Maria Simon und Lucas Gregorowicz und den neuen Berliner „Tatort“ mit Mark Waschke und Meret Becker. Der Rhythmus, die Breite und die Farben dieser Stadt sind sehr gut getroffen. Nur mit der horizontalen Erzählweise tue ich mich schwer. Das überfordert das Publikum bei lediglich zwei Ausgaben im Jahr.
Aber das Wort Ärger kennen Sie auch?
Selbstverständlich. Geärgert habe ich mich immer dann, wenn ich den Eindruck hatte, wir seien unter unseren journalistischen Möglichkeiten geblieben.
Zum Ende ihrer Amtszeit steht das RBB-Fernsehen mit einem Marktanteil von 5,6 Prozent so schlecht da wie nie. Was ist da passiert?
Das wissen die Kollegen im Fernsehen, die ich frage, auch nicht. Sie strengen sich an, ein gutes Programm zu machen und hätten auch gerne mehr Zuschauer. Interessant ist, dass Journalisten diese Fragen stellen, die der ARD sonst immer gerne Quotengeilheit attestieren.
Auch wenn man nicht nur auf die Quote guckt, könnte man mehr extravagantes Programm machen wie Arte mit dänischen Serien.
Das ist ein schwieriger Spagat. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat beides zu leisten. Wir müssen Akzeptanz in breiten Bevölkerungsgruppen schaffen. Darum können wir auf die Quote nicht verzichten. Aber wir müssen immer auch Angebote für Minderheiten machen.
Als Zweiländeranstalt kennt sich der RBB mit Spagaten gut aus. Beim Programm bleibt oft das Gefühl, Stadt und Land passen nicht zusammen. War es 2003 ein Webfehler, statt zwei Programme nur eines haben zu wollen?
Nein, weil jeder Mehrländersender vor diese Aufgabe gestellt ist. Nehmen Sie den NDR. In Göttingen interessiert sich zum Beispiel niemand dafür, was in Aurich passiert. Es ist ein Irrtum, dass die Menschen ihre Interessen nach Ländergrenzen ausrichten.
Dass die Quote des RBB-Fernsehens hinten liegt, ist eine Entwicklung ...
... das ist keine Entwicklung, das war eigentlich fast immer so. Und bedenken Sie: Fernsehen hat auch mit Geld zu tun. Es gibt keinen anderen Sender, der so wenig Geld für sein Drittes Programm aufwenden kann.
Der RBB wird voraussichtlich überproportional von den Mehreinnahmen aus der neuen Rundfunkgebühr profitieren. Wohin sollten die zusätzlichen Gelder fließen?
Selbstverständlich ins Programm. Wie auch jetzt schon, unsere Verwaltung ist schlank. Wir haben uns auf schmerzliche Weise von 300 Stellen getrennt und von 100 Millionen Euro Aufwand.
Programm kann viel sein, was heißt das konkret?
Wir haben viel zu wenig im Bereich Fernsehfilm machen können. Dabei gibt es in dieser Region unglaublich viel kreatives Potenzial. Wir würden gern mehr Filme machen, wenn wir die Mittel dazu hätten. Schauen Sie sich den Bayerischen Rundfunk an, der sich mit „Dahoam ist dahoam“ eine eigene tägliche Serie gönnt.
Sie sprachen vom NDR, einer anderen Mehrländeranstalt. Der hat einen höheren Marktanteil. Liegt das nur am Geld?
Lassen Sie uns noch mal in 50 Jahren reden. Der Norddeutsche Rundfunk geht auf seinen 60. Geburtstag zu. Den RBB gibt es jetzt seit 13 Jahren. Identitätsstiftung dauert.
Stichwort Talkshow. Da fragt man sich doch: Wieso hat der RBB in dieser Stadt mit der Promi- und Politikerdichte keine eigene Talkshow hingekriegt, wie NDR, MDR, WDR etc.?
Ich habe nicht den Eindruck, es mangele im Deutschen Fernsehen an Talkshows. Als wir fünf Talkshows im Ersten hatten, haben uns viele Journalisten aufgeschrieben: Lasst uns damit mal zufrieden. Ich finde, Neuentwicklungen in Sachen Talk sollten über das hinausgehen, was andere Sender bereits machen, wie die erfolgreiche „NDR Talkshow“. Die wird auch bald 35 Jahre alt.
Zurück geblickt auf 13 Jahre RBB-Intendanz: Wen oder was werden Sie am meisten vermissen, wenn Sie Ende Juni gehen?
In erster Linie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das ist ja ein großer Vorteil eines solchen Amtes, so viele interessante Menschen kennenzulernen. Ansonsten werde ich garantiert den wunderbaren Blick aus meinem Büro im 13. Stock vermissen: den Himmel über Berlin, vom alten Funkturm bis zum Fernsehturm, übers Olympiastadion nach Brandenburg. Die Sonnenuntergänge über dem Teufelsberg sind sensationell.
Ist das nun ein Rückzug komplett ins Privatleben? Gehen Sie zurück nach Hamburg?
Ich habe ja einige Ehrenämter, die noch weitergehen. Ich bleibe in Berlin.
Und was kommt da: Arbeit im Garten hinterm Häuschen?
Ich habe kein Haus, sondern eine Wohnung, und auch keinen Garten, keine Terrasse. Ich habe mir noch nichts Bestimmtes vorgenommen, weil ich 42 Jahre ohne Pause gearbeitet habe.
Wie gut kennen Sie eigentlich Ihre Nachfolgerin, Frau Schlesinger?
Sie ist eine gute, mir vertraute Kollegin vom NDR. Wir haben da jahrelang gemeinsam gearbeitet.
Was wünschen Sie ihr?
Ich wünsche ihr, dass es ihr so gut gefällt wie mir. Da bin ich mir eigentlich sicher.
Sie sagten, in 50 Jahren könnte man über den RBB anders sprechen, wie jetzt auch über den NDR. Welche Vision des RBB in 50 Jahren haben Sie? Dass keiner mehr übers Programm meckert?
Das geht nicht, sonst wären wir ja nicht in Berlin. Der RBB soll ja in Berlin und Brandenburg bleiben. Es ist im Übrigen nicht so, dass mir das Meckern über den RBB nie etwas ausgemacht hätte. Dafür war und ist die Identifikation viel zu groß.
Das Interview führten Markus Ehrenberg und Kurt Sagatz.