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Torben Lehning.
© privat

Dating App: Flirtapps und Selbstbestätigung – It’s a Match!

Vor kurzem schrieb unsere Autorin Jolinde Hüchtker an dieser Stelle: Ich bin bei Tinder, aber pssst. Unser Leser Torben Lehning meint: Ich benutz die App auch – weitersagen!

Dieser Text ist die Reaktion auf "Wir Tinder Kinder" von unserer Jugendblog-Autorin Jolinde Hüchtker

It´s a Match! Es passt also zwischen mir und Maria K. 23. Sie scheint viel herumgekommen zu sein. Fünf abenteuerliche Reisefotos zeugen von ihrem draufgängerischen Lebensstil. Die sympathisch aussehende, drei Kilometer von mir entfernte Frau beschreibt sich als „Einhorn im Auenland“ und ist „für keinen One Night Stand zu haben“. Liebe Maria K., was bringt es mir,  mit dir ein Match zu haben? Zunächst einmal eines: Selbstbestätigung.

Die Zeit der ersten Tinderpioniere, die sich für die Benutzung einer Flirtapp rechtfertigen mussten, könnte schon längst vorbei sein. Schließlich macht es doch jeder. Wenn ich mir die Selbstbeschreibungen vieler TinderuserInnen ansehe, muss ich feststellen, dass dies nicht der Fall ist. „Wenn jemand fragt, wir haben uns im Supermarkt kennengelernt“, ist eine von vielen Rechtfertigungen, die immer wieder in den Beschreibungstexten der Tinderellas auftauchen.  Warum eigentlich? Tindern ist auch nichts anderes als das, was jeder von uns tagtäglich macht. Ob in der U-Bahn, beim Einkaufen oder in der Uni - wir  scannen unser Umfeld.

Ob dir jemand „auf den ersten Blick“ sympathisch erscheint oder nicht, entscheidest du innerhalb von Sekunden. Um oberflächlich zu sein, brauchst du sie also nicht, die App mit dem kleinen Flammenemblem.

Die Ansprüche hat man ohnehin

Wer Tinder benutzt, senkt seine Ansprüche, sagt „Tinderkind“ Jolinde Hüchtker.  Das glaube ich nicht. Ob du den leicht creepigen Versuch startest, jemanden in der Warteschlange vorm Kino zu einem Date mit dir zu überreden oder dir in der zauberhaften Welt der Sommerurlaubsfotos und Sonnenuntergangsselfies ein erstes Treffen erchattest, es läuft im besten Falle aufs Gleiche hinaus: Ihr werdet euch verabreden. Und dann kommt sie, die Realität. Knallhart und erbarmungslos wirst du mit deinen eigenen Ansprüchen konfrontiert. Es sei denn, du bist gerade wirklich sehr verzweifelt und hast eben jene Ansprüche längst heruntergeschraubt. Dann bleibt dir im schlimmsten Fall das peinliche Erwachen am nächsten Morgen, ob mit oder ohne Tinder, nicht erspart.

Wir wollen Likes, Comments, Matches

Auch wenn eine israelische Soziologin feststellt, dass Sexyness, Männlichkeit oder Weiblichkeit nicht übers Internet beurteilbar wären, versuchen wir es doch trotzdem alle. Jeder, der jüngst sein Facebookprofilbild geändert hat, kann das bestätigen. Wir möchten uns nach außen hin positiv verkaufen und unseren Marktwert steigern.

Wir wollen Likes, Comments, Matches. Man muss diesen Umstand nicht feiern, aber es ist auf jeden Fall in Ordnung, sich das einzugestehen. Die Sozialwissenschaftler Mummendey und Bolten benannten dieses Verhalten bereits 1985 als „Impression Management“. Menschen versuchen, den Eindruck, den sie auf andere Menschen hinterlassen, zu steuern, zu kontrollieren. Wer das schlimm findet, meint auch, dass sich das Internet nie durchsetzen wird und sitzt bei Kerzenschein vor der Schreibmaschine.

Ob bei Tinder durch ein schickes „Oberkörperfrei-Foto“ und Goethezitate im Beschreibungskästchen oder in der „echten Welt da draußen“ durch das Tragen eines ACAB-T-Shirts, das Kommunistische Manifest unterm Arm. Wir wollen uns eben präsentieren. Und wofür? Fürs Selbstwertgefühl. Anders ist die Tatsache, dass 42 % der TinderuserInnen liiert und 30% verheiratet sind, kaum zu erklären.

Impression Management in der Hauptstadt                                  

Bei dem Versuch, sich möglichst gut zu verkaufen, kann einiges schief gehen. Nochmal: nicht nur im Netz, auch vor deiner Haustür. Während sich Berlins Tindernovas gerne mal bei Mc Fit im Spiegel ablichten und bei der ersten Kontaktaufnahme davon ausgehen, dass ein: „Willst du ficken?“ eine adäquate Begrüßungsformel ist, haben auch die Frauen Berlins einige Fauxpas in petto.

Im Tinderspace wimmelt es von „Ich-blicke-nicht-in-die-Kamera-sondern-zum-Horizont-Fotos“ auf dem Klunkerkranich und leicht irritierender Weise auch von sexy Selfies vor dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Dazu ein passender Spruch, der die Ernsthaftigkeit der verzweifelten Liebeslage unterstreicht. „Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir für immer.“ Mir geht das Herz zu.

Und, was gelernt?

Warum sollten wir uns für Tinder schämen, wenn es fast jeder benutzt? Wir sind auf dem Frischfleischmarkt und jedem ist es selbst überlassen, für welchen Preis er sich verkaufen mag. Ob zu billig oder nicht, das sei doch bitte jedem selbst überlassen. Was macht Tinder mehr,  als die Möglichkeit zu bieten, Menschen kennenzulernen, die man sonst nicht sehen, treffen, daten würde? Es ist keine Schande, sich einzugestehen, dass man seiner amourösen Flaute auf die Sprünge helfen will oder einfach ein bisschen Bestätigung braucht. Ob mit dem roten Herzballon vorm Café oder mit der vierten Flasche Bier am U-Bahnhof - trefft euch und versucht es. Vielleicht springt ein One-Night-Stand dabei heraus, vielleicht wird es eine Beziehung, vielleicht war alles komplett für den Arsch. Herausfinden kann man es nur, in dem man es macht. Eines ist klar: Flirtapps und Selbstbestätigung – It’s a Match!

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Torben Lehning

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