zum Hauptinhalt
Zieeeeeh! Den Klimmzug schafft er inzwischen.
© Gesa Johannsen

Quantified Self: Ich habe eine Woche lang mein Leben optimiert. Glücklicher gemacht hat es mich nicht.

Eine Woche lang hat unser Autor Sport getrieben, seine Schritte zählen lassen und sich ausgewogen ernährt. Es war nicht immer leicht.

„Warum habe ich mich auf den Quatsch eingelassen?“ frage ich mich, während ich in einem Park an einer Metallstange hänge. Meine Arme habe ich durchgestreckt, meine Fußspitzen baumeln kurz über dem Boden. Es ist Anfang Januar, es ist kalt, es regnet. Und ich hänge an der Stange wie ein nasser Sack. Warum? Ich bin ein Versuchskaninchen der Redaktion: Eine Woche soll ich mich selbst optimieren,

mithilfe von Apps, Internet und guten Vorsätzen. Wir wollen herausfinden, was das mit uns macht. Oder besser gesagt: mit mir. Deshalb lasse ich mir seit ein paar Tagen von meinem Smartphone sagen, ob ich gut geschlafen habe.

Heute schon genug gelaufen? Die App folgt mir auf Schritt und Tritt.
Heute schon genug gelaufen? Die App folgt mir auf Schritt und Tritt.
© Gesa Johannsen

Eine andere App zählt meine Schritte durch Berlin. Anfangs habe ich auch meine Kalorienzufuhr im Smartphone notiert, aber das war mir schon nach zwei Tagen zu blöd: Habe ich nun 200 Gramm Nudeln gegessen, oder 250 Gramm? Wie viel Kalorien hat die Bratensauce in der Mensa? Mir doch egal. Stattdessen helfe ich mir mit guten Vorsätzen aus: keine Süßigkeiten aus dem Supermarkt nur selbst zubereitetes Süßes ist erlaubt. Keinen Alkohol. Viel Gemüse. Und viel Sport.

Mein Gesicht verzerrt sich zu einer Fratze

Möglichst günstig soll der Spaß sein. Im Internet bin ich auf eine Community gestoßen, deren Mitglieder „Body Weight Training“ betreiben. Das sind Kraftübungen, die ich mit wenigen Hilfsmitteln mit dem eigenen Körpergewicht ausüben kann. Fast überall, ohne Fitnesscenter. Deshalb hänge ich jetzt bei Regen im Park an einer Stange herum und soll mich hochziehen, einen Klimmzug machen. Ich spanne meine Bauchmuskeln an, spüre meinen ganzen Körper. Meine Gesichtsmuskeln verziehen sich zu einer Fratze. Ich ziehe und ziehe, aber die Stange kommt nicht näher. So wird das nichts.

Nach dem Training trinke ich einen Eiweißshake. Er schmeckt scheußlich

Die Leute im Internet predigen in diesem Fall: „no excuses“, keine Entschuldigungen. Wer noch keinen Klimmzug kann, beginnt nicht mit ausgestreckten Armen, sondern springt in die Endposition und lässt sich langsam herunter. Bis zu acht Mal. Oder bis ich keine Kraft mehr habe. Ich schaffe fünf Wiederholungen. Vor den Kraftübungen habe ich bereits zehn Minuten lang einen Handstand an der Wand geübt. Eine Stunde geht das Training, danach laufe ich nach Hause und trinke einen Eiweißshake, um meine Muskeln mit Proteinen zu versorgen. Die Leute im Internet sagen, das muss ich machen, sonst ist alles umsonst. Er schmeckt scheußlich.

Wenigstens das Smartphone kann er noch anheben. Unser Autor beim Workout.
Wenigstens das Smartphone kann er noch anheben. Unser Autor beim Workout.
© Gesa Johannsen

Mein Handy sagt, ich soll weiterlaufen. Also laufe ich

Gesund leben ist ein Trend: Bio-Supermärkte öffnen in Teilen Berlins, wo bisher nur Dönerbuden waren. Früher war es etwas besonderes, Vegetarierin zu sein. Die Zeiten sind vor bei, die cool kids ernähren sich heute vegan. Es gibt Yoga für Studierende, für Kinder, für Mütter, für Senioren. Und im Silicon Valley werden Arm- und Halsbänder erfunden, die unsere Schritte zählen, uns beim Schlafen überwachen, uns helfen wollen, uns besser zu ernähren. „There’s a better version of you out there. Get up and find it.“ – Eine bessere Version von mir verspricht mir ein Hersteller eines Fitness-Armbands. In seinem Werbevideo sind lauter schönen Menschen, die in der Abendsonne laufen gehen. An sie muss ich denken, als ich an einem düsteren Nachmittag joggen gehe.

Ich schwitze und spüre meine Hände kaum, weil der Wind so kalt ist. Ich fühle mich schrecklich, aber mein Handy sagt, ich muss noch zwei Kilometer weiterlaufen. Also laufe ich.

Endlich die Bestandteile des Kaffees optimieren

Die Idee, alle möglichen alltäglichen Aktivitäten zu messen, kam der so genannten „Quantified Self“-Bewegung. Wenig überraschend wurde auch sie im Bereich um San Francisco gegründet. Und es geht nicht nur um Fitness: auf der Website der Bewegung sprechen junge und gut aussehende Menschen davon, wie sie Daten sammeln, um pünktlicher zu sein, ihre Zeitverteilung zwischen Zuhause und ihrem Arbeitsplatz zu optimieren und die Zusammensetzung ihres Kaffees zu messen.

Die Apps sagen mir: da geht noch was

Je mehr Daten, desto besser. Wer das eigene Verhalten aufzeichnet, der verbessert es auch, das ist die Logik. Diese Idee ist nicht neu: Wer zu viel Geld ausgibt, hat oft das Problem, dass sie nicht weiß, wofür. Und wer abnehmen möchte, dem empfehlen Ärzte, die eingenommenen  Mahlzeiten zu notieren. So hat man einen Ausgangspunkt und weiß, woran sich arbeiten lässt.

Das Smartphone unter dem Kopfkissen erkennt, wenn man sich nochmal umdrehen will - und aktiviert den Wecker.
Das Smartphone unter dem Kopfkissen erkennt, wenn man sich nochmal umdrehen will - und aktiviert den Wecker.
© Gesa Johannsen

Früher geschah das mit Papier und Stift. Neu ist jetzt, dass es Sensoren und Smartphones gibt, die jederzeit wissen, wo wir sind, was wir machen und ob uns das gut tut. Sie überwachen mich und sagen: Da geht noch was.

Eine App weiß genau, wann ich wo war. Inzwischen hat Facebook sie gekauft

Eine Woche gehe ich joggen, mache Klimmzüge und gehe zum Yoga. Meine Schrittzählerapp hält mich dazu an, jeden Tag mehr zu Fuß zu gehen. Mein Schlaftracker sagt mir: du hattest heute Nacht eine Schlafeffizienz von 82%. Weniger als 85% ist schlecht. Wie ich mich nach dem Aufstehen fühle, ist plötzlich egal. Die Apps wissen alles besser als ich. Sie wollen nur mein Bestes, sagen sie mir. Aber ich glaube das nicht. Was sie alle wollen: meine Daten. Ich soll ein Konto anlegen, um

meine Ernährungsdaten, meine Bewegungsmuster und mein Schlafverhalten auf die Server der Hersteller zu senden. Damit sie ihren Service verbessern können, sagen sie. Die App, die meine Schritte zählt, weiß genau wann ich wo war und wie ich dort hingekommen bin. Sie misst die Geschwindigkeit, mit der ich mich fortbewegt habe und weiß: du bist S-Bahn gefahren, um 9:58 Uhr bist du bei der Arbeit angekommen. Und sie will, dass ich diese Infos mit ihrem Hersteller teile. Früher war die App kostenpflichtig, dafür gehörten den Nutzerinnen ihre Daten. Inzwischen ist die App kostenlos. Facebook hat sie gekauft.

Dank Schlaftracker optimieren wir auch unsere bewusstlosen Zustände.
Dank Schlaftracker optimieren wir auch unsere bewusstlosen Zustände.
© Gesa Johannsen

Ich will wenigstens nachts meine Ruhe haben

Im Laufe der Woche merke ich vor allem wie zufrieden ich mit mir bin. Die angenehmste Zeit habe ich beim Yoga, bei der keine App mir sagt, was ich besser machen soll. Stattdessen entspanne ich mich einfach im „Abwärts schauenden Hund“. Danach schwebe ich über den Asphalt. Es ist wunderbar. Klar, ich mache zu wenig Sport und bin gelegentlich unpünktlich. Aber ich bastele deshalb keine App, sondern gehe früher von Zuhause los. Am leichtesten fallen mir die guten Vorsätze, die ganz ohne App auskommen: statt Pommes esse ich Bohnen zum Schnitzel.

Als die Woche rum ist, kann ich mich endlich betrinken

Statt einem Schokoriegel zum Nachtisch gibt es eine Banane. Schmeckt auch gut. Es ist mir unangenehm, dass ich nicht mal im Schlaf meine Ruhe vor meinem Handy habe, das unter dem Kopfkissen liegt, damit mir am nächsten Morgen eine App sagen kann, ich habe schlecht geschlafen. Als die Woche rum ist, lösche ich deshalb alle Apps von meinem Handy. Abends gehe ich auf eine Party und trinke mehr, als mir gut tut. Aber das ist mir egal. Das war es wert. Nur an dem Klimmzug arbeite ich noch.

Gefällt dir? Das ist ein Beitrag unserer Jugendredaktion "Schreiberling". Werdet unsere Freunde auf www.facebook.de/Schreiberlingberlin oder folgt uns aufwww.twitter.com/schreiberling_.

Hannes Schrader

Zur Startseite