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Partnerschaft, Freundschaft, Vertrauen. Romantische Zweierbeziehungen haben ihre Vorteile - gerade in der schnellebigen Großstadt.
© Julian Stratenschulte/dpa

Beziehungen in Berlin: Liebe? Unmöglich!

Vor kurzem wurde auf Tagesspiegel.de die Promiskuität gelobt, als einzige Spielart der Liebe, die zum schnellen Berlin passt. Genau diese Haltung macht es schwierig, hier tiefere Beziehungen zu knüpfen – obwohl viele danach suchen. Ein Appell.

Das mit Berlin und der Liebe ist so eine Sache. Unverbindlicher Flirt, Spaß, Sex? Kein Problem. Hier jemanden kennenlernen und lieben lernen? So richtig, was Ernstes, was für länger? Schwierig.

Um das festzustellen, reicht ein Blick in meinen Freundeskreis, alle Ende zwanzig, Anfang dreißig: Ungefähr neunzig Prozent der Paare haben sich außerhalb von Berlin kennengelernt, im Auslandspraktikum in Kapstadt, im Erasmussemester in Spanien, während des Studiums in Köln – überall, nur eben nicht hier. Und meine Single-Freunde? Sind und bleiben Single. Klar, sie daten mal hier, haben da mal eine Affäre, einen Flirt für ein paar Wochen. Aber einen Partner in Berlin zu finden, mit dem man eine ernsthafte Beziehung führen kann, scheint völlig unmöglich.

Berlin ist die Stadt der Selbstverwirklicher und Hedonisten, der Flexibilität und der Unverbindlichkeit. Der Berliner – oder sicherlich treffender: der zugezogene Neu-Berliner – zelebriert es, mit wichtiger Miene und gleichermaßen mit sich selbst wie mit seinem Macbook beschäftigt im Café zu sitzen. Mit seinem Rennrad durch die Straßen zu heizen. Und nachts tanzend durch die Clubs zu ziehen. Nicht einmal für Letzteres braucht er Gesellschaft, die kommt irgendwann von alleine, und falls mal nicht, hilft Tinder. Neue Bekanntschaften? Super! Spaß! Party! Sex! Alles mitnehmen! Nur wenn die Bekanntschaft nicht mehr ganz so neu ist, wird es langweilig. Bloß nicht festlegen! Man könnte ja den nächsten Kandidaten verpassen, mit dem man noch mehr Spaß haben könnte. Neulich wurde ich von einem Typen in einer Bar angesprochen, er fand, ich sähe so nett aus, dass er einfach mal rüberkommen wollte. Eine halbe Stunde später gesteht er, dass er eigentlich eine Freundin hat. Meine Handynummer will er trotzdem. Was ist da los?

Gerade in unsicheren Zeiten ist Vertrauen doch etwas Großartiges

Laut meinem Kollegen, der letzte Woche an dieser Stelle das Hohelied auf die Polyamorie (eigentlich eher: Promiskuität) anstimmte, ist der Mensch in der monogamen Zweierbeziehung ein auf der Stelle tretender, die Dynamik der Stadt bremsender Provinzler und, Hilfe, auch noch Vegetarier. Fleisches-Unlust in jeder Hinsicht also. Abgesehen davon, dass das Quatsch ist, frage ich mich, was an der Liebe eigentlich so verkehrt sein soll? Nicht der rein körperlichen, sondern der Liebe, in der es auch um Partnerschaft, Vertrauen, Freundschaft geht. Ist die nicht gerade im schnelllebigen Berlin, wo Jobs unsicher sind, die Mieten steigen und ganze Kieze sich rasant wandeln, etwas besonders Großartiges und Wichtiges?

Eine Freundin, die kürzlich mit ihrem Freund zusammengezogen ist (sie haben sich übrigens in Weimar kennengelernt), fragte, ob sie noch zeitgemäß sei, weil sie eine glückliche, monogame Zweierbeziehung führe. Ist man in Berlin Spießer oder Exot, wenn man unter 35 ist und weder eine offene Beziehung führt noch in polyamourösen Konstellationen verkehrt, sondern mit einem einzigen Partner liiert ist – und das auch noch mit dem Übereinkommen, einander treu zu bleiben?

Wenn solche Pärchen von den Flirt- und Bumswütigen dieser Stadt in die Wüste – wahlweise nach Großburgwedel, wie von meinem Kollegen – gewünscht werden, finde ich das problematisch. Das hedonistische Partyvolk, das tindernd durch Berlin zieht, führt dazu, dass die Stadt in hormongesteuerter Dauerpubertät verharrt. Tiefergehende Beziehungen werden skeptisch beäugt oder schlicht nicht mehr geführt.

Dabei ist das Tolle an dieser Stadt doch ihre Toleranz, gerade in Liebesdingen. Sämtliche Spielarten der Hetero-, Homo-, Trans- und Sternchensexualität, Patchwork-Familien und klar, auch Polyamorie – alles kein Problem. Ganz ehrlich, liebe Hedonisten, die Phase, in der wir uns ausprobieren, auf Abenteuersuche sind und feiern, als gäbe es kein Morgen, die hatten wir doch alle mal. Aber irgendwann wird doch auch das langweilig. Tobt euch aus, stoßt euch die Hörner ab. Und dann werdet einfach mal erwachsen. Und lasst bitte in der Zwischenzeit den hiesigen Romantikern (falls es sie noch gibt) Raum für ihre eigenen Beziehungs-, Liebes- und Lebensformen. So viel Toleranz muss möglich sein. Wir leben schließlich in Berlin.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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