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Regierendes Partygirl. Als der Jetset nach Berlin kam, kamen auch die „Partyluder“. ImMai 2000 stieg It-Girl Ariane Sommer in eine Badewanne voller Mousse au Chocolat.
© picture-alliance / dpa

Die Berliner Gesellschaft: Erst die Einheit, dann die Party

Früher traf man sich mal bei den Kommandanten der West-Alliierten. Eine gute Gesellschaft, wie es sie anderswo gibt, musste sich in Berlin nach der Einheit erst wieder etablieren. 25 Jahre später ist sie heute aufregender denn je. Unsere Reporterin beschreibt den Aufstieg.

Vielleicht war es der feierlichste Ball-Moment, den Berlin je erlebt hat. Nur wenige Wochen nach dem Fall der Mauer eröffneten Ost-Berliner Balletttänzer der Deutschen Staatsoper den West-Berliner Presseball. Ein Gänsehautgefühl, als die Ballerinas aus dem anderen Weltreich zu den Klängen des Kaiserwalzers übers Parkett schwebten. Anfang Januar 1990 war das Wort „Wahnsinn“ omnipräsent. Noch kaum einer dachte damals an Wiedervereinigung. Aber in der Ergriffenheit jenes Augenblicks lag doch eine Ahnung all dessen, was kommen würde: die große Party „Neues Berlin“.

Im Bann der Stadtkommandanten

Erst mit der Wiedervereinigung blühte das gesellschaftliche Leben wieder auf in Berlin. Im Ostteil hatte man sich zu Mauerzeiten in die privaten Nischen zurückgezogen. Sozialismus und Glamour vertrugen sich nicht. In West-Berlin traf sich die gehobene Gesellschaft bei den Stadtkommandanten der West-Alliierten, die für Sicherheit und Freiheit der Inselstadt garantierten. Das ging weitgehend diskret zu. Nur einmal im Jahr wurde es etwas lauter, wenn bei der Parade auf der Straße des 17. Juni Panzer und Kampfhubschrauber an der VIP-Tribüne vorbeidröhnten. Abseits davon gab es den berüchtigten Berliner Sumpf, jene Melange aus Politikern, Unternehmern und sonstigen Strippenziehern. In die verräucherten Hinterzimmer führten keine roten Teppiche, und keine Kameras säumten die Wege.

Immer mittendrin. Elisabeth Binder, Gesellschaftsreporterin des Tagesspiegels.
Immer mittendrin. Elisabeth Binder, Gesellschaftsreporterin des Tagesspiegels.
© Doris Spiekermann-Klaas

Lediglich zwei Ereignisse im Jahr erreichten die Öffentlichkeit ziemlich zuverlässig. Zum einen die Berlinale-Eröffnung. Ursprünglich hatten die Amerikaner das Filmfestival als Propagandainstrument gegen den Osten erfunden. Entsprechend glamourös wurde es mit Hollywood-Stars inszeniert. Und dann gab es, lange vor dem Umzug des Bundespresseballs von Bonn nach Berlin, den Berliner Presseball im ICC, ein Pflichttermin für alle, die in Berlin eine gesellschaftliche Stellung behaupten wollten. Auch dort hielten die Stadtkommandanten Hof. Die Tombola war in jenen Zeiten, als die Senatsreserve für den Fall einer erneuten Blockade noch eine Rolle spielte, meist gut bestückt mit praktischen Haushaltsgeräten.

Das wiedervereinigte Berlin sortiert sich

Nach der Wiedervereinigung gab es plötzlich Bedarf für neue Formen des Zusammenkommens. Vieles ergab sich zufällig, man experimentierte, es waren auch in dieser Hinsicht Jahre des Aufbruchs. Bald sondierten „Spitzenvertreter aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien“ das Terrain. Spätestens nach dem Umzugsbeschluss 1991 war klar, dass sich in Berlin eine neue gehobene Gesellschaftsschicht etablieren würde mit Politikern, Diplomaten, Landesvertretern, Spitzenmanagern, Lobbyisten und Künstlern. Die Alteingesessenen mussten sich neu sortieren.

Isa Gräfin von Hardenberg war schon als Schülerin beliebt gewesen für ihr Talent, schöne Feste zu organisieren. Das tat sie nun, Anfang der 90er Jahre, in ihrer Zehlendorfer Villa. Und die alteingesessenen Berliner, die dabei waren, staunten über den weltläufigen Charme dieser Feste, die Kombination aus einer gelungenen Gästemischung aus Wirtschaft, Kultur und Politik, feinen Speisen und einem entspannt eleganten Ambiente. Genau so etwas wollte Bernd Schultz, der Chef des Auktionshauses Villa Grisebach, seinen Kunden auch gern bieten. Es war die Zeit, in der man schöne Feste als Werkzeug zur Gewinnung und Pflege von Geschäftspartnern entdeckte. Zunächst nahm Schultz die Hilfe als Freundschaftsdienst an, aber das ging auf Dauer nicht. Also überredete er die studierte Lehrerin, ihr Talent zu professionalisieren. Die gründete ein Unternehmen, engagierte „Töchter aus gutem Hause“ als Hostessen und wurde so zu einer Pionierin der Eventbranche.

Die schon wieder. Noch vor wenigen Jahren war es Stadtgespräch, wenn die Stones zur Berlinale kamen. Heute ist Berlin cooler.
Die schon wieder. Noch vor wenigen Jahren war es Stadtgespräch, wenn die Stones zur Berlinale kamen. Heute ist Berlin cooler.
© picture alliance / dpa

Nur Außenseiter gaben sich der Illusion hin, professionell organisierte Partys seien zum Vergnügen da. Viele nahmen sie als das, was sie waren: Arbeit – mit dem Glas in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen. Wer die Räume gut durcharbeitete, konnte vieles en passant erledigen. Einmal ging es darum, im Mai einen Gesprächstermin mit einem bekannten Verleger zu bekommen. Die Sekretärin sagte, ja, da gebe es eventuell diesen Mittwochnachmittag im Oktober, allerdings müsse sie da noch Rücksprache … Ein paar Tage später, bei einer Preisverleihung im Französischen Dom, saß der Verleger direkt auf der anderen Seite des Mittelgangs. Während Laudatoren und Preisträger aufmarschierten, plauderte man über das Thema. „Ein Treffen? Kein Problem“, sagte er. „Wie wäre es mit morgen um elf?“

Anfang der 90er Jahre lud der frühere Kölner Sozialarbeiter Manfred Schmidt während der Internationalen Funkausstellung zu ersten Medientreffs ins Hotel Esplanade. Finanziert wurden diese Partys von Unternehmen, zum Beispiel aus der Telekommunikationsbranche. Es trafen sich Minister, Unternehmensvorstände und Moderatoren zu Speis und Trank, aber vor allem zum Netzwerken. Dabei entstand so manche Talkshow-Runde, die später im Fernsehen zusammenkam. Etwa zur gleichen Zeit begannen die Hamburgerin Alexandra von Rehlingen und die Münchnerin Andrea Schoeller, die auf einer Restaurant-Serviette ihr gemeinsames PR-Unternehmen gegründet hatten, mit der Event-Arbeit, vor allem zum Ruhme der Modeindustrie.

Finanziert wurden die Events meist von Unternehmen, die Aufmerksamkeit brauchten und keine Ahnung hatten, wen sie einladen sollten. Neben den Bällen wurden im Laufe der Zeit vor allem Charity-Events und Preisverleihungen immer wichtiger. Live im Fernsehen übertragen bedeuteten „Bambi“ oder „Goldene Kamera“ für die veranstaltenden Verlage stundenlange Werbung für die eigenen Produkte, und dem Image half es auch, wenn internationale Stars sich artig für die güldenen Trophäen bedankten. Und anschließend konnten auf der After-Show-Party neue Kooperationen angeschoben werden.

Macht mal Lala! Mit dem Regierungsumzug kam 1999 die große Politik nach Berlin.
Macht mal Lala! Mit dem Regierungsumzug kam 1999 die große Politik nach Berlin. Der Bundespresseball dieses Jahres ist ein Urereignis der Machtgesellschaft Berlins. Bundeskanzler Gerhard Schröder (mit Doris Schröder-Köpf) konnte sie führen – geradeweil er zu später Stunde gern leger wurde.
© picture-alliance / dpa

In den nuller Jahren wurden Events zum Gegenstand systematischer Berichterstattung in Print und Fernsehen. In der zunächst völlig unübersichtlich neu sich bildenden bürgerlichen Gesellschaft brauchte es schließlich Informationen darüber, wo die Musik spielte und wer die Trommel schlug. Das Ausrichten großer Feste wurde besonders unmittelbar nach dem Regierungsumzug zu einem beliebten Selbstdarstellungsinstrument von Unternehmen und Lobbyisten. Der höchste Ritterschlag für ein Fest war das Erscheinen des Bundeskanzlers, später der Bundeskanzlerin. Die auch mal bei Partys großer Medien wie dem „Stern“ auftauchte, beim ZDF oder bei den Landesvertretungen. In einer Ecke auf einem solchen Abend konnte man vielleicht den inzwischen verstorbenen Maueröffner Günter Schabowski treffen, der einmal völlig unvermittelt erzählte, dass er gerade sein erstes Bier nach der Haftentlassung trank. Auch Minister waren gern gesehen. Allerdings legte man Wert darauf, die Macht mit Schönheit zu vermischen. Schauspielerinnen und Models halfen, das Bild gefällig und medientauglich zu halten. Je weniger Programm, desto besser – reden will man schließlich selber.

Nicht alles fand vor laufenden Kameras statt. Während Gerhard Schröder damals in Brioni-Anzügen die Toskana-Fraktion pflegte, standen hinter den Kulissen in manchen hauptstädtischen Salons schon die Zeichen auf Veränderung. Als Angela Merkel als Bundeskanzlerin vereidigt wurde, saßen auf der Zuschauertribüne Friede Springer, Isa von Hardenberg, Inga Griese und Sabine Christiansen. Wie viele andere Damen der Gesellschaft hatten sie Merkel beratend in der einen oder anderen Weise geholfen, das Image von „Kohls Mädchen mit den Rüschenblusen“ abzustreifen, um auch stilistisch kanzlertauglich zu werden.

Neue Traditionen

In den 90er Jahren ging man noch etwas bescheidener an die Vernetzung heran, der große Jahrmarkt der Eitelkeiten war noch nicht eröffnet. Die Botschaften waren noch in Bonn. Aber sie hatten Außenstellen in Berlin, und dort entfaltete sich durchaus ein reges gesellschaftliches Leben. Miss Rosemary Spencer, die Gesandte der Briten, etablierte einen Kreis von anglophilen Repräsentanten aus Kultur, Wirtschaft und Politik um sich herum. Der Gesandte der Amerikaner, Joel Levy, erfand im Zusammenwirken mit dem damaligen Botschafter Richard Holbrooke die „New Traditions“, neue Traditionen, die in Gestalt von Institutionen oder Stiftungen helfen sollten, den Abzug der West-Alliierten im September 1994 zu verkraften, ohne dass die alten Bande zu den USA verloren gingen.

Auf diese Weise entstand die American Academy, die sich unter der Führung von Gary Smith rasch zum hochkarätigen Treffpunkt für Intellektuelle und Künstler aus Berlin und den USA etablierte und heute als Leuchtturm gilt, der weit ins Land hinein strahlt. Der Dramatiker Arthur Miller setzte als Eröffnungsgast die Standards für das Niveau, das hier nach wie vor angestrebt wird.

Ost-Prominenz dringend gesucht

Immer wieder wurde im frisch vereinigten Berlin Ausschau gehalten nach Prominenten aus dem Ostteil der Stadt. Die frühere Marketingchefin des Grand Hotels in der Friedrichstraße, Jenny Gsell, hatte sich bereits im Wiedervereinigungsjahr 1990 mit einer Eventagentur selbstständig gemacht. Wie die Kolleginnen im Westen wollte sie gezielt auch Prominente aufbauen und hatte dabei vor allem Professoren im Blick, als sie 1991 eine erste große Gala für krebskranke russische Kinder im Konzerthaus am Gendarmenmarkt organisierte. Bekannte Namen wurden im Laufe der Zeit mehr und mehr zu einer Währung, an der sich die Bedeutung eines Events maß. Je mehr VIPs eine Gästeliste aufwies, desto höher wurde ein Ereignis eingeschätzt. Manche Veranstalter buchen über Agenturen Schauspieler, die für ihr Erscheinen Geld bekommen.

Jenny Gsell musste in ihren Pioniertagen irgendwann einsehen, dass sich Menschen aus dem Ostteil der Stadt im Scheinwerferlicht einfach nicht wohlfühlten. Selbstdarstellung und die Pflege der Eitelkeiten waren im Osten für die Karriere nicht so wichtig gewesen und entsprechend auch nicht trainiert worden. Doch gab es durchaus Profis, die schneller als andere lernten. Mit Kati Witt, Maybrit Illner, Wolfgang Thierse unter anderem war irgendwann auch die einstmals östliche Gesellschaft gut vertreten auf den roten Teppichen. „Und so tolle Prominente gab es in West-Berlin auch nicht“, sagt Jenny Dreyer-Gsell, wie sie nach ihrer Heirat heißt, heute im Rückblick spitz. West-Berliner Größen waren etwa Atze Brauner, der noch heute in seinem weißen Bungalow in Grunewald wie ein Filmproduzent aus dem Film residiert. Oder Harald Juhnke, der immer wieder mit seinen berühmten Abstürzen unterhielt, bei denen junge Mädchen und reichlich Champagner die wichtigsten Zutaten waren. Sie konnten aber einfach nicht die abgeklärten A-Promi-Bilder liefern, wie heute Matt Damon im Bocca di Bacco oder George Clooney bei einer Kunstausstellung im Hamburger Bahnhof.

Glamour für Berlin. Nadja Auermann bei der Aidsgala.
Glamour für Berlin. Nadja Auermann bei der Aidsgala.
© imago/Mauersberger

Um das Zusammenwachsen von Ost und West hat sich in den 90er Jahren besonders der Erfinder der Brandenburgischen Sommerkonzerte, Werner Martin, verdient gemacht. Der Pfarrerssohn aus Brandenburg hatte in West-Berlin Karriere als Rechtsanwalt gemacht und dabei einen riesigen, einflussreichen Freundeskreis aufgebaut. Nach dem Motto „Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass wir ein gutes Glas Wein zusammen trinken“ baute Martin von seinem Stammtisch in der Paris Bar aus ein einzigartiges privat finanziertes Musikfestival auf. Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten trafen sich mit herausragenden Musikern aus Ost und West und aller Welt in teils noch verfallenen brandenburgischen Dorfkirchen zu Konzerten. Bootsfahrten und Wanderungen durch verwunschene Wälder gehörten zum Vorprogramm und waren in den 90er Jahren noch Abenteuer für die Berliner, die Brandenburg gar nicht kannten. Die Kaffeetafeln in den Pfarrgärten, für die Bewohnerinnen des jeweiligen Dorfes Apfelkuchen backten, und das Abendliedersingen beim Wein danach wurden zu Markenzeichen. Da schaute um die Jahrtausendwende auch der damalige Bundespräsident Johannes Rau gern vorbei.

Karneval per Kopfhörer

Mitte der 90er Jahre glaubten viele Bonner noch, dass es nicht so wild werden würde mit dem Umzug, dass der Großteil des Arbeitsheeres mit seinen noch nicht abbezahlten Einfamilienhäuschen am Rhein bleiben würde. Dabei gab es durchaus erste Anzeichen für den bevorstehenden Rutschbahneffekt. Ausgerechnet der Gründer der Initiative „Ja zu Bonn“ trug dazu bei. Friedel Drautzburg war in Bonn eine Größe, Wirt von populären Restaurants und vor allem ein energischer Kämpfer gegen den Umzug. In der Politik war er bestens vernetzt. Unter anderem hatte er Willy Brandt 1969 beim Wahlkampf geholfen. Aber er war auch ein Geschäftsmann mit Gespür für aufkommende Veränderungen. Als er 1997 bekannt gab, dass er in Berlin eine „Ständige Vertretung“ aufmachen würde, schlug die Nachricht in Bonn ein wie ein Bombe. Plötzlich wurde er als „Hochverräter“ beschimpft.

Mit seinen rheinischen Reliquien machte Drautzburg ein Ecklokal am Schiffbauerdamm zum Treffpunkt für heimwehkranke Bonner. Hier trafen sich gelegentlich Umzugskanzler Gerhard Schröder und Johannes Rau beim Bier. Das Speisenprogramm war schlicht, es gab Himmel un Äd und anderes aus der alten Heimat. Schlagzeilen machte Drautzburg, als er von einem Nachbarn verfolgt wurde, der sich über närrisch laute Musik beschwerte. Kurzerhand setzte er eine Karnevalsfeier mit Kopfhörern an – über die Bilder amüsierte sich die ganze Republik.

Millenium im Partyrausch

Dabei zeigte sich im heißen Umzugsherbst 1999, dass die preußische Metropole durchaus das Zeug zu ausgelassenen Feiern hatte. Diskussionen, ob die Bundespressekonferenz mit ihrem Bundespresseball oder der Berliner Journalistenverband mit dem bestens etablierten Berliner Presseball das Rennen um das bedeutungsvollste Ereignis des Jahres machen würde, endeten regelmäßig mit der Bemerkung, dass Platz für beide sei. Beim ersten Bundespresseball im Hotel Interconti wurde allerdings offenbar, dass die Politik hier einen ganz anderen Aufmerksamkeitsgrad bekommen würde als im beschaulichen Bonn. Der Kanzlertisch war so dicht umringt von Kameraleuten, dass deren Kabel die Hors d’Oeuvres ruinierten. Die Schlachtrufe der Fotografen wurden zum Markenzeichen der neuen Republik. Plötzlich war die Stadt, die so lange Gegenstand von pathetischen Solidaritäts- und Durchhaltereden gewesen war, zur Bühne geworden, und dazu einer ganz schön glitzrigen. Mit dem Regierungsumzug wurde die Republik bunter, freier, offener. Auch lustiger.

Tuuuut, Aufmerksamkeit! Die Botschaftergattin Shawne Borer-Fielding brachte ab 1999 ziemlich viel Trara nach Berlin.
Tuuuut, Aufmerksamkeit! Die Botschaftergattin Shawne Borer-Fielding brachte ab 1999 ziemlich viel Trara nach Berlin.
© Mike Wolff

Ausgerechnet die Schweizer lieferten mit ihrem Botschafter Thomas Borer und dessen amerikanischer Ehefrau Shawne Fielding in jenen Jahren eine Art Live-Soap-Opera mit Skandalstoff. Dass die Ex-Schauspielerin auf einem Schimmel durch die heiligen Botschaftshallen ritt, schockierte die Eidgenossen ebenso wie die Affäre des Botschafters mit einer Kosmetikverkäuferin, bei der auch der große Tisch in den Repräsentationsräumen eine wichtige Rolle gespielt haben soll. Von der Tiefgarage nicht zu reden.

Es war die Zeit der „Partyluder“ – junge Mädchen, die sich selbst skandalisierten, um aufzufallen und auf die Gästelisten zu kommen. Bald nach der Abberufung des Botschafters zählte auch jene Verkäuferin dazu. Natürlich waren das manchmal ziemlich intelligente Frauen, denen es einen postpubertären Spaß machte, aufzufallen, und sei es unangenehm. Berühmtestes Beispiel war Ariane Sommer, Nichte des damaligen „Zeit“-Herausgebers Theo Sommer. Sie tanzte im angesagten „90 Grad“ bis zum Morgen und badete um der Aufmerksamkeit willen in Mousse au Chocolat, bevor sich die Diplomatentochter zum Theologiestudium in ein seriöseres Leben verabschiedete. Später zog sie dann als Ehefrau und Schriftstellerin nach Beverly Hills.

In jenen Tagen, als es auch darum ging, aufzufallen, um seinen Platz am neuen Ort zu erobern, war vieles anders und vieles möglich. Dass so viel gefeiert wurde, schockte manche Fernsehzuschauer in der Provinz. Aber die Dauerfete hatte gute Gründe. Die Karten wurden neu gemischt. Jeder musste sich vorstellen, die neuen Protagonisten kennenlernen.

Berlin bot als Bühne unendliche Möglichkeiten. Als das Sony-Center eröffnet wurde, kam der damalige Sony-Vorstandsvorsitzende Norio Ohga aus Tokio und erfüllte sich einen Traum. In den 50er Jahren hatte er in Berlin Musik studiert – und wollte nun einmal die Philharmoniker dirigieren, natürlich Beethovens Neunte. Das können die zur Not auf Autopilot. Nach dem Konzert gab es eine Reisweinzeremonie unter dem schiefen Dach am Potsdamer Platz. Dabei überreichte Ohga, der zugleich seinen 70. Geburtstag feierte, den Dirigentenstab des Firmenchefs an seinen Nachfolger.

Nach dem 11. September

Regierender Partymeister. Im November 2001 ließ sich KlausWowereit bei der Bambi-Verleihung mit Champagner und Damenschuh fotografieren – und prägte damit nicht nur seinen eigenen Ruf.
Regierender Partymeister. Im November 2001 ließ sich KlausWowereit bei der Bambi-Verleihung mit Champagner und Damenschuh fotografieren – und prägte damit nicht nur seinen eigenen Ruf.
© picture alliance / dpa

In den Wochen nach den Anschlägen auf das World Trade Center war es sehr still auf dem Berliner Parkett. Aber schon im Spätherbst fiel die Hauptstadt in einen regelrechten Taumel – wie zum Trotz gegen die neuen Bedrohungen. Das Bild dazu lieferte ausgerechnet der noch neue Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der bei der Bambi-AfterShow-Party einen roten Damenschuh hochhielt und so tat, als wolle er Champagner daraus trinken. Das Wort vom „Regierenden Partymeister“ war geboren – und hielt sich noch Jahre später, als Wowereit längst nur noch Events besuchte, bei denen er sicher sein konnte, wirklich hochkarätige internationale Prominenz zu treffen.

Aber 2001 konnte man ihn noch sehen, wie er beim Bundespresseball ausgelassen mit Alice Schwarzer tanzte, als Udo Jürgens im Interconti live sein „Ich war noch niemals in New York“ sang und die Stimmung kochte. Neue Freundeskreise wurden erkennbar. Die damals mächtigste Moderatorin des Landes, Sabine Christiansen, war frisch von ihrem Mann getrennt und gern zusammen mit Wowereit und Schwarzer unterwegs, auch „Bunte“-Chefin Patricia Riekel und Prominentenfriseur Udo Walz tauchten in dieser Clique auf.

Ge(sell)schaf(f)t! Christian Wulff und Ehefrau Bettina waren mindestens zwischenzeitlich Teil der Berliner Gesellschaft.
Ge(sell)schaf(f)t! Christian Wulff und Ehefrau Bettina waren mindestens zwischenzeitlich Teil der Berliner Gesellschaft.
© picture alliance / dpa

Für Skandale war Berlin auch damals schon zu gelassen. Es gab mal Aufregung, als Dieter Bohlen 2003 beim Bundespresseball auftauchte, aber die verflog schnell angesichts der Frage, wer denn die nächste Frau Joschka Fischers werden würde. Man badete sich nicht in Tratsch. Wenn jemand wirklich nicht mitbekommen hatte, dass Minister X entschuldigt fehlte beim Ball, weil er gerade eine Affäre hatte, reichte ein kurzer Hinweis.

Hostessen mit Headsets

Überblick war gefragt in jenen Jahren. Eventmanager Manfred Schmidt stattete seine Hostessen mit wichtig aussehenden Headsets aus und legte am Empfangstresen zu seinen Medientreffs dicke Gästelisten aus. Wenn ein Lobbyist einen Staatssekretär suchte oder ein Botschafter einen Fernsehmoderator, war das kein Problem. Per Funk wurden die Gäste ausfindig gemacht und zusammen gebracht. In den nuller Jahren boomte Schmidts Geschäft. Reden waren streng verboten bei seinen Partys. Später organisierte er große Treffen an Wahlabenden, die überaus prominent besucht waren. Während Gäste wie Guido Westerwelle oder Sabine Christiansen immer im Blitzlichtgewitter standen, fiel ein etwas blass wirkender Landespolitiker aus Niedersachsen kaum auf. Selbst als Christian Wulff seine Bettina beim Bundespresseball in die Gesellschaft einführte, hielt sich die Aufregung sehr in Grenzen. Sonderlich interessant wirkten die beiden damals nicht – noch nicht.

Wer abends auf den roten Teppichen posierte, war mittags mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit im langjährigen Prominentenlokal Borchardt zu sehen. Während der Berlinale freuten sich dort vor allem Hollywoodgrößen an den für sie typisch deutschen Schnitzeln. Und auf dem roten Teppich vor dem Musicaltheater am Potsdamer Platz begrüßte Berlinale-Chef Dieter Kosslick mit Wangenküssen und Umarmungen Weltstars wie Cate Blanchett und die Rolling Stones und trug seinen Teil zum langsam auch draußen im Lande sympathischer wirkenden Berlin-Bild bei.

Auch Isa Gräfin von Hardenberg wuchs in jenen Jahren zur höchst gefragten Gastgeberin des neuen Berlin empor. Bald hatte sie 20 Mitarbeiter, konzentrierte sich auf große Feste für Kunst, Kultur, Lifestyle und Charity in ihrem eigenen Stil. Nach wie vor lud sie gern auch ihren alten Freundes- und Bekanntenkreis ein, den Mäzen Erich Marx zum Beispiel oder Gloria von Thurn und Taxis. Allerdings polarisierte sie auch – manch eine der höheren Töchter aus gutem Haus etwa sah überhaupt nicht ein, warum sie bei der Fete, bei der sie als Hostess jobbte, nicht ganz normal mit den Gästen essen und trinken durfte – und lästerte hinter den Kulissen.

Bälle der Selbstdarstellung

Im neuen Jahrtausend wurde der glanzvolle Ball als Instrument zur Selbstdarstellung neu entdeckt. Der frühere Präsident des Vereins der Berliner Kaufleute und Industriellen, Klaus von der Heyde, baute aus einem kleinen Tanzvergnügen den alljährlichen Wirtschaftsball systematisch auf und aus. Auch unter von der Heydes Nachfolger Markus Voigt blieb der „Ball der Wirtschaft“ der Ort, an dem die Berliner Gesellschaft es gerne funkeln ließ und eine Eleganz an den Tag legte, die man ihr früher nicht zugetraut hätte. Dazu trugen auch strenge Dresscodes und ein Smokingverleih direkt am Veranstaltungsort bei.

Gesellschaftliche Runde. Beim Ball der Wirtschaft im Hotel Interconti geht es höchst stilvoll zu.
Gesellschaftliche Runde. Beim Ball der Wirtschaft im Hotel Interconti geht es höchst stilvoll zu.
© Tsp

Glanzvolle Events wurden gerne zum Paare-Outing genutzt. Wowereit etwa hatte seinen Lebenspartner Jörn Kubicki bei der Aidsgala 2001 in die Gesellschaft eingeführt. Anne Will nutzte die Verleihung des Preises für Verständigung und Toleranz im Jüdischen Museum, um 2007 den Spitzen der Gesellschaft die Medienprofessorin Miriam Meckel als ihre Lebenspartnerin vorzustellen.

Mit dem russischen Botschafter Vladimir Kotenev und seiner Frau Maria hatte in dieser Ära die Stadt ein Botschafterpaar mit ausgeprägtem Sinn für Glamour. Unterstützt von deutschen Sponsoren, die in Russland gutes Geld verdienten, luden die beiden einmal im Jahr zum deutsch-russischen Wirtschaftsball in die Botschaftsräume Unter den Linden. Rasch geriet der Ball zur Leistungsschau internationaler Abendmode, für Prominente aus dem ganzen Land wurde er zum Muss-Termin. Unter dem Nachfolger schlief diese Art der Event-Diplomatie zur glamourösen Imageverbesserung Russlands dann freilich wieder ein.

Das Breiten-Networking funktionierte auch deshalb gut, weil die Stadt so unkonventionell war. Anders als in München, wo sich die immer gleiche Bussi-Gang auf abgeschotteten Feten traf, oder in Hamburg, wo eine Familie seit 400 Jahren ansässig sein musste, um zu wichtigen Empfängen geladen zu werden, trafen sich Akademiepräsident und Vorstandsvorsitzender auf einer Modenschau und fanden nichts dabei. Berlin – ein Abenteuerspielplatz.

Interessen im Wandel

Friedel Drautzburg pendelte eine Weile zwischen Bonn und Berlin. Eine ICE-Bekanntschaft führte dazu, dass er spät im Leben noch Vater einer kleinen Berlinerin wurde. Seine StäV ist meist proppenvoll, inzwischen allerdings mit Touristen.

Manfred Schmidt lebt heute in Thailand und Spanien, kommt allenfalls mal zu Arztterminen nach Berlin. Seit der Wulff-Affäre ist er vom gesellschaftlichen Parkett weitgehend verschwunden. Die bis heute anhaltende Freundschaft mit dem damaligen Bundespräsidenten-Sprecher hatte ihm damals den Vorwurf der Bestechung eingetragen. Im März plant er ein Comeback. Dann organisiert Schmidt für das Magazin „Focus“ eine große Wahlparty am Abend dreier Landtagswahlen.

Ballsaal für die Seele. Heute sind in Berlin Bundespresseball und der Ball der Wirtschaft etabliert. Bei Ersterem tanzt gar Bundespräsident Joachim Gauck (mit Daniela Schadt) persönlich an.
Ballsaal für die Seele. Heute sind in Berlin Bundespresseball und der Ball der Wirtschaft etabliert. Bei Ersterem tanzt gar Bundespräsident Joachim Gauck (mit Daniela Schadt) persönlich an.
© dpa

Isa Gräfin von Hardenberg hat sich nach den Feierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen ihres Unternehmens sukzessive aus dem Eventgeschäft zurückgezogen. Sie schult jetzt Führungskräfte in kommunikativer Kompetenz.

Andrea Schoeller und Alexandra von Rehlingen haben ihr Berliner Büro behalten und betreiben regelmäßig die VIP-Zelte vor dem Brandenburger Tor während der Fashion Week. Nicht nur Bonn, auch München hat den Rutschbahneffekt Richtung Berlin zu spüren bekommen. Das merkt man, wenn wieder mal ein Flieger mit teuer gekleideten Gästen, beispielsweise einer Bambi-Verleihung, in Tegel gelandet ist.

Be cool, be Berlin

Als Ende November der Bundespresseball zum ersten Mal im Hotel Adlon stattfand, das in Filmen so oft Symbolbilder geliefert hat für den rauschhaften Tanz der Goldenen Zwanziger auf dem Vulkan, suchte man unwillkürlich nach den dicken Zigarren, die in alten Zeiten, aber sogar noch während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders eine Rolle spielten. Doch Zigarren sind, mal abgesehen von den geschrumpften Raucherzonen in der iPhone-Ära, längst keine Statussymbole mehr.

Es ist cool geworden an der Spree. Die Bundeskanzlerin kam auch diesmal nicht zum Bundespresseball. Tanzveranstaltungen liegen ihr nicht. Aber das macht nichts. Berlin bietet viele andere Möglichkeiten und Orte zur Vernetzung. Die Eventbranche hat sich diversifiziert. Viele Unternehmen haben, nachdem sie die Gästelisten von Agenturen gekauft hatten, selbst die Organisation ihrer Feste übernommen.

Als kürzlich im Zoo-Palast Steven Spielbergs Film „Bridge of Spies“ Premiere feierte, beschrieb Hauptdarsteller Tom Hanks das Berlin-Gefühl so: „Es ist die größte, coolste College-Stadt auf dem Planeten.“ Und fügte hinzu, dass er bei jedem neuen Angebot frage, ob der Film in Berlin gedreht werde. Dass er unnötig behelligt wird, muss er nicht fürchten. An die Anwesenheit von Global Playern aus Wirtschaft und Showbiz hat man sich gewöhnt. Und auch das Geschrei der Fotografen klingt längst nicht mehr so aufgeregt.

Dieser Text erschien zunächst in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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